eHealth 2002: Internationaler Kongress in Bonn

Schöne neue Telematik-Welt

Alexandra Pütz Während an den Symptomen eines angesichts demographischer und wirtschaftlicher Entwicklungen vollkommen überlasteten Gesundheitssystems hilflos herumgedoktert wird, klopft die Zukunft schon kräftig an die Türen von Politik und Selbstverwaltung: Auf dem Internationalen eHealth-Kongress vom 5. bis 7. März haben Experten jetzt – neben den drängenden Problemen der Gegenwart – auch das „Health-Science-Fiction“-Kapitel aufgeschlagen.

Der internationale Kongress eHealth 2002 in Bonn hat gezeigt, dass Schritte in die telematische Zukunft der Gesundheitsversorgung scheinbar für unumgänglich gehalten werden. Die gegenwärtigen Probleme seien nicht schneller und besser lösbar, wenn man die Diskussion über die Zukunft vermeidet. Und so mutet dann auch manches noch futuristisch an, was in drei bis fünf Jahren dem Stadium des Modellprojektes entwachsen sein soll.

Quo vadis Telematik

Für Versicherte, (Zahn-)Ärzte und Dienstleister im Gesundheitswesen soll die Telematik in Zukunft große Chancen eines intensiven und individualisierten Informationsaustausches über Befunde, Therapien und allgemeine Daten eröffnen. In vielen medizinischen Leistungsbereichen, so die Überzeugung vieler Teilnehmer, würden sich Verwaltungs- und Kommunikationsprozesse nicht nur einfacher und transparenter, sondern auch effizienter gestalten lassen. Die Potenziale und Impulse, die die Telematik im Gesundheitswesen mit Anwendungen vom elektronischen Rezept über den elektronischen Arztbrief bis hin zur digitalisierten Patientenakte biete, würden nicht nur von den Fachleuten allgemein anerkannt. Auch unter den Beteiligten aus Politik und Selbstverwaltung erhoffen sich manche klare Zukunftsperspektiven. Bei allem Enthusiasmus blickt die Zahnärzteschaft auch äußerst kritisch auf diese Entwicklungen. Nun gilt es, die eigenen Anforderungen mit den technischen Möglichkeiten und Standards abzugleichen. Ein kritischer Blick zeigt allerdings, dass jenseits aller zukunftsfrohen Erwartungen auch Risiken verborgen sind, die die Grundlagen der Kommunikation in einem hoch sensiblen Lebensbereich berühren.

„Big Brother“ und die Chipkarte

Krankenkassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung favorisieren beispielsweise Anwendungen wie das elektronische Rezept, die ihren Informations- und Kommunikationsbedürfnissen besonders entsprechen. Im Bundesgesundheitsministerium leuchtet als Fixstern zukünftiger telematischer Anwendungen bereits der Gesundheitspass auf, der neben dem „eRezept“ und dem „eArztbrief“, so manche Vorstellung, die Funktion einer digitalisierten Patientenakte übernehmen könnte. Behauptet wird, dass dies in Notfällen und bei Arztwechsel insbesondere für chronisch Kranke ein wichtiges – mitunter lebensrettendes – Informationsmedium sein kann. Auch die Einsparpotenziale in der Verwaltung von Patientenunterlagen seien nachvollziehbar. Doch die Ankündigung des BMG, damit den Patienten mehr Selbstbestimmung garantieren zu können, erscheint realitätsfern. Die Selbstbestimmung der Versicherten in Fragen ihrer Gesundheitsversorgung wird sich auch zukünftig nicht mit einer Chipkarte fördern lassen. Das vertrauensvolle Miteinander von (Zahn-) Arzt und Patient in Beratung und Therapie lässt sich nicht digitalisieren – hier wird auch zukünftig alles höchst persönlich bleiben.

Genauso menschlich wird auch die Abneigung sein, die die Patienten / Versicherten verspüren werden, wenn sich ihre Gesundheit in Datensätzen gespeichert auf Chipkarten wiederfindet. Für sie ist dies nicht nur ein besonders intimer Bereich. Die Wahrnehmung aller Aspekte rund um die eigene Gesundheit ist zudem in höchstem Maße subjektiv und hoch emotional. Entrückt man diesen Bereich aus vertrauten Kommunikationssphären, erzeugt man Verunsicherung statt Zutrauen, verstärkt das Gefühl der Fremdbestimmung und Kontrolle anstatt das Bewusstsein für die Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit zu fördern. Gerade in letzterem liegt einer der wesentlichen Faktoren für die Zukunft eines solidarisch organisierten Gesundheitssystems.

Viele Fragen offen

Derzeit ungeklärt ist die technische Ausgestaltung des vom BMG favorisierten Gesundheitspasses, ebenso wie die Frage der größtmöglichen Sicherheit bei Versand und Nutzung von Patientendaten und der Verwaltung der Daten-Schlüssel. Problematisch ist auch, wie neben den Leistungs- und Kostenträgern des Gesundheitswesens die Versicherten ausgerüstet werden können, um zumindest aus technischer Sicht Herr ihrer digitalisierten Patientenakte zu sein. Was geschieht mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung? Wer ist letztlich Besitzer der Daten? Unbeantwortete Fragen, die nicht auf dem Altar schneller – politisch motivierter – Lösungen geopfert werden dürfen.

Spitzenfunktionäre der Krankenkassenverbände ließen auf dem Kongress jedenfalls schon durchblicken, dass man zumindest den Ärzten bei notwendigen Investitionen in telematische Anwendungen „hilfreich zur Seite stehen“ wolle. Selbst wenn die Frage nach dem „Cui bono?“ leicht zu beantworten wäre, finanziert werden muss sie durch die Gemeinschaft der Gesetzlich Krankenversicherten.

Zur Schlüsselfrage aus Sicht der Datenschützer und der zahnärztlichen Selbstverwaltung wird aber die Verwendung der dieser Art gespeicherten Daten und die (gesundheits-) politischen Zwecke, denen sie dienlich gemacht werden. Hieran schieden sich auch auf dem Kongress in kontroversen Diskussionen die Geister. Denn das Ansinnen der Krankenkassen und des BMG, Planungsund Steuerungsaufgaben sowie die Gesundheitsberichterstattung mit der umfassenden Sammlung von Behandlungs- und Verordnungsdaten zu verbinden sowie der Option, diese personenbezogen zu verarbeiten und zu speichern, weckt Befürchtungen, die unter dem Begriff der Datentransparenz vor allem die (zahn-) ärztliche Selbstverwaltung alarmieren. Am Ende steht letztlich der gläserne Patient und der nicht weniger gläserne (Zahn-)Arzt. Trübe Aussichten also für eherne Grundsätze einer freiheitlichen Gesellschaft.

Dr. Günther E. Buchholz, Vorstandsmitglied der KZBV und für Telematik zuständig, stellte daher auf dem Kongress klar, „dass Telematik nicht Selbstzweck sein darf, sondern Werkzeug bleiben muss. Allerdings eines, das sinnvoll zum Einsatz kommt“, so Buchholz weiter. „Die Schaffung von Datentransparenz muss aus Sicht der Zahnärzteschaft auch im Zeitalter der modernen Informationstechnologie immer und unbedingt einhergehen mit einem Höchstmaß an Datenschutz und Datensicherheit, um jeglichen Missbrauch auszuschließen.“ Selbst das in Fachkreisen viel diskutierte Instrument der Pseudonymisierung von Daten bietet hier nach Ansicht von Buchholz nicht den ausreichenden Schutz. Datenschutz und entsprechende Maßnahmen hätten immer noch eine kontrollierende Funktion. „Die Reduktion des Datenschutzes auf dienende Funktionen ist aus Sicht der Zahnärzteschaft inakzeptabel“, bekräftigte das KZBV-Vorstandsmitglied.

Auf dem richtigen Weg – Zahnärzte Online

Kongresse bestechen für gewöhnlich durch Grußworte, Vorträge und gelegentlich Workshops. Das umfang- und facettenreiche Programm von eHealth 2002 wurde der Bandbreite der Telematikfragen vollauf gerecht und bot zudem einen Ausblick auf europäische Perspektiven.

Die Zahnärzte haben allerdings den Worten bereits Taten folgen lassen. Und so präsentierten am KZBV-Informationsstand Dr. Günther E. Buchholz als Vorstandsmitglied und Fachbereichsleiterin Irmgard Siebert anlässlich eHealth 2002 „Zahnärzte Online“, das Intranet der Deutschen Zahnärzteschaft – getragen von KZBV und FVDZ. Die Entwicklung und Schwerpunkte von „Zahnärzte Online“ verdeutlichen, dass die Zahnärzteschaft mit diesem Projekt besonderes Augenmerk auf die Schaffung einer sicheren und vertrauenswürdigen Kommunikationsplattform gelegt hat. Im Mittelpunkt stehen aktuelle Sicherheitsstandards und –architekturen. Am „Zahnärzte Online“-Informationsstand konnten sich die Kongressteilnehmer von Anwendungen, wie vertraulicher e-mail-Kommunikation, sicherer Nutzung von geschützten Dialog-Angeboten und differenzierten Zugangsmöglichkeiten zu exklusiven Inhalten der zahnärztlichen Organisationen, überzeugen.

„Insbesondere aber – und das ist das Wichtigste – liegt die Gestaltung des Netzes und die Entscheidung darüber, wer zu welchen Informationen Zugang hat, ausschließlich in der Hand der Zahnärzteschaft selbst“, erläuterte Buchholz den besonderen Anspruch von „Zahnärzte Online“, der weniger die politischen Zwecke fokussiert als die Schaffung einer anspruchsvollen Infrastruktur für die technische Kommunikation – und dies mit Blick auf die gemeinsame Nutzung von Kommunikationsplattformen im Gesundheitswesen. Der wortreichen Diskussion im Gesundheitswesen haben die Zahnärzte damit praktische Anschauung gegenübergestellt und die Science Fiction in die Gegenwart geholt. Mehr über „Zahnärzte Online“ unterhttp://www.kzbv.de.

Dr. Alexandra PützUniversitätsstraße 7350931 Köln

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