Sommertheater um die Sozialhilfe

Ein alter Hut

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt will die Zwangsmitgliedschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausdehnen. Im Visier hat sie diesmal die Sozialhilfeempfänger. Rund ein Fünftel von ihnen erfüllt bislang die Voraussetzungen für die GKV-Mitgliedschaft nicht. Für ihre Behandlungen bezahlen die Sozialhilfeträger – unbudgetiert.

So ist der status quo: Um als Bezieher von Sozialhilfe in die GKV zu kommen, muss man mindestens ein Jahr lang ununterbrochen versichert oder in den zurückliegenden fünf Jahren mindestens 24 Monate GKV-Mitglied gewesen sein. Nach Schätzungen erfüllen rund 20 Prozent der Sozialhilfeempfänger diese Voraussetzung nicht. Für die sie behandelnden Mediziner bedeutet dies, dass sie eine Rechnung an die Sozialhilfeträger ausstellen. Weil diese Leistungen nicht budgetiert sind, kommt es in unregelmäßigen Abständen immer wieder zu Protesten in der Öffentlichkeit wegen einer angeblichen „Luxusversorgung für Sozialhilfebezieher“.

Schon vor zehn Jahren im Gesetz

Neu ist die Diskussion nicht: Schon vor zehn Jahren wurde im Gesundheitsstrukturgesetz die Absicht zur Erweiterung der Versicherungspflicht festgehalten, das entsprechende Gesetz zur Realisierung dieser Absicht wurde aber nie umgesetzt. Mit einer Ankündigung in der „Welt am Sonntag“ hat Schmidt die Diskussion nun erneut entfacht. „Mein Ziel ist, dass alle Sozialhilfeempfänger gesetzlich krankenversichert sind“, so das Zitat der Ministerin.  

Rückendeckung erhält sie dafür vom Deutschen Städtetag. „Die Städte würden es sehr begrüßen, wenn Sozialhilfeempfänger künftig in den gesetzlichen Kassen versichert wären“ sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus. Dem Städtetag geht es um die Finanzen seiner schuldengeplagten Mitgliedskommunen. Geschätzte 1,2 Milliarden Euro zahlten die Kommunen im vergangenen Jahr für die Krankenhilfe der Sozialhilfebezieher. Mit einem Anstieg von 40 Prozent innerhalb von zehn Jahren ist dies der am stärksten wachsende Kostenfaktor in der Sozialhilfe. Was die Kommunen im Gegenzug die Versicherung der Sozialhilfebezieher in der GKV kosten würde, kann der Städtetag schon wegen der strittigen Bemessungsgrundlage nicht sagen. „Eine Gegenrechnung haben wir nicht“, räumte eine Sprecherin ein.  

Auch das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) will die Integration – und zwar, um eine „bestehende Diskriminierung“ zu beenden. Die Diakonie hält ausgerechnet die Patienten, deren Leistungen bislang noch nicht budgetiert sind, für diskriminiert. Begründung: Sozialhilfeempfänger ohne Chipkarte müssten sich schon an der Rezeption der Praxis als Sozialhilfebezieher outen.

Alle Jahre wieder ein Medienthema

Auch die Medien greifen das Thema meist undifferenziert auf. Im „Hamburger Abendblatt“ regte sich der sozialpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Frank Schira, über „untragbare Zustände zu Lasten der Steuerzahler“ auf. Erst einen Tag später klärte das Blatt nach Intervention durch die Kassenärztliche Vereinigung ihre Leser darüber auf, dass Leistungen für nicht GKV-versicherte Sozialhilfebezieher nur deshalb für Ärzte lukrativer sind, weil sie im GKV-Budget viele Leistungen umsonst erbringen müssen.

Chance auf Umsetzung ist zweifelhaft

Unterstützung können die Ärzte in dieser Sache von den Krankenkassen erwarten. Die wehren sich dagegen, zu Minimalbeiträgen Patienten zu versichern, die hohe Kosten verursachen. „Das wäre ein neuer Verschiebebahnhof zu Lasten der GKV“, warnt Doris Pfeiffer vom Bundesverband der Ersatzkassenverbände (VdAK/AEV). Ob Schmidts Ankündigung allerdings jemals in die Tat umgesetzt wird, ist zweifelhaft. Eine Sprecherin des BMG ruderte bereits leicht zurück: „Das ist ein Ziel. Man muss die Koalitionsgespräche nach der Wahl abwarten.“ Auch der Städtetag macht sich kaum Illusionen: „Uns fehlt derzeit der Glaube daran, dass das Bundesgesundheitsministerium diesen Plan auch tatsächlich umsetzen will.“

Dirk SchnackGesundheitspolitischer JournalistDorfstraße 14 a24589 Schülp

 

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.