Gastkommentar

Wer nicht hören will, muss fühlen

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Die Krankenkassen müssen Anfang kommenden Jahres ihre Beitragssätze erheblich anheben. Derzeit spricht – wegen der Bundestagswahlen – keine davon. Aber: Jetzt helfen keine Reförmchen mehr. Die Politik muss sich mehr einfallen lassen, um aktiv den Missstand zu beheben.

Rainer Vollmer
Gesundheitspolitischer Parlamentskorrespondent Berlin

Mir wurde schon von meiner Mutter beigebracht, dass der Volksmund mit seiner Aussage „Wer nicht hören will muss fühlen“ recht hat. Auch Parteien spüren das, leider nur bei Wahlen. In der Gesundheitspolitik sieht das etwas anders aus. Zwar muss auch der Gesundheitspolitiker, wenn er nicht hört, einiges fühlen. Aber die Beteiligten im Gesundheitswesen werden dafür bestraft. Der Versicherte mit höheren Beiträgen, die Leistungserbringer mit noch stärkeren Reglementierungen und staatlichen Eingriffen.  

Und jetzt ist es wieder soweit. Spätestens ab 1. Januar 2003 müssen viele Krankenkassen ihre Beitragssätze anheben. Sie werden dann deutlich über 14 Prozent liegen. Das steht bereits jetzt fest. Nur keiner spricht es aus. Dabei sind nicht die Leistungserbringer die Schuldigen. Die Politik hat vieles, vieles versäumt.  

Die Gründe für die Beitragssatzanhebungen sind deutlich aufzuzählen: Die Krankenkassen müssen ein Defizit von nunmehr mindestens 3,5 Milliarden Euro vor sich her schieben, ohne dass die Politik ihnen Möglichkeiten zur schnellen Reduzierung bietet. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Rücklagen größtenteils aufgebraucht und unter die gesetzlich vorgeschriebene Höhe abgesunken sind. Hier hätte die Aufsicht schon längst eingreifen müssen. Aber da die Bundestagswahl vor der Tür steht...

Hartnäckig wird kolportiert, dass einige Krankenkassen sich mit Krediten finanziell über Wasser halten. Das ist verboten. Auch Geldentnahmen aus der derzeit noch halbwegs gut finanzierten Pflegeversicherung müssen verzinst werden. Das ist oft nicht geschehen.

Zahlreiche Leistungen sind – als Wahlkampfgeschenke – in den Leistungskatalog der Kassen gestellt worden. Alle Fraktionen im Bundestag haben diesen Leistungen zugestimmt und sie sogar zum Teil erweitert. Sie werden rund 80 bis 90 Millionen Euro verschlingen. Da sind die erweiterten Badekuren mit etwa 20 Millionen Euro; die Pflichtleistung Mütter- und Väterkuren wird mit Sicherheit rund 30 Millionen Euro kosten – das Gesundheitsministerium hat nur fünf Millionen Euro Mehrkosten veranschlagt.  

Krankenkassen und Ärzteschaft haben selbst neue Leistungen beschlossen. Stichwörter dazu sind die Früherkennungsuntersuchungen Mammographie, Koloskopie und Hautkrebs. Allein die neue Finanzierung der künstlichen Befruchtung (ICSI) kostet 70 Millionen Euro. Die unsäglich lange dauernden Verhandlungen, zum Beispiel zu Disease-Management-Programmen und zu den diagnoseorientierten Fallpauschalen, und die Gründungen zusätzlicher Institute und Arbeitsgemeinschaften verschlingen viel Geld zu Lasten der Krankenkasse.  

Die Arbeitslosigkeit hat trotz meist anlaufender Sommerkonjunktur Höchststände erreicht. Damit müssen Krankenkassen die öfter krank werdenden Arbeitslosen bei viel zu niedrigen Beitragsüberweisungen der Bundesanstalt für Arbeit mit durchziehen: Hier hat sich die Bundesregierung durch ihre Reduzierungsgesetze am Beitragszahler versündigt.  

Schließlich diskutieren Krankenkassen und Krankenhaus-Verbände die Tatsache gar nicht erst an, dass die Krankenhäuser durch die Einstellung von neuen Ärzten (es sollen 15 000 sein) durch Abbau und/oder Bezahlung der Bereitschaftsdienste bis zu zwei Milliarden Euro mehr kosten können.

Die kleine Auswahl der Gründe und der Sünden der Vergangenheit könnte fortgesetzt werden. Fazit: An Beitragssatzanhebungen geht kein Weg vorbei.

Das alles verlangt Reformen, die ihren Namen verdienen. Herumbasteln mit Einzelreförmchen und Peanuts gilt nicht mehr. Unter anderen haben auch die Zahnärzte ihre Reformvorstellungen eingebracht. Sie sollten ernst genommen werden.  

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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