Der Trend darf nicht an unserem ZahnMediziner-Image wackeln
Zweifellos wird sich unser Berufsstand zukünftig noch intensiver mit ästhetischen und sogar kosmetischen Aspekten beschäftigen müssen, weil hierfür eine stetig steigende Nachfrage seitens der Bevölkerung besteht. Dieses Bewusstsein ist von der Industrie diktiert und von der Werbung suggeriert. Vergleichbar mit chirurgisch orientierten plastischen Schönheitsoperationen, entscheiden auch Eingriffe an Zähnen und Parodontien sehr wesentlich über das äußere Erscheinungsbild eines Individuums und damit auch über dessen Bereitschaft, hierfür nicht unerheblich zu investieren.
Leider wird vor diesem Hintergrund allzu häufig die medizinische Verantwortung vergessen, die unser Berufsstand als gleichberechtigter akademischer Teil der medizinischen Disziplinen tragen muss. Hierbei bleibt unbestritten, dass ästhetische Gesichtspunkte sehr wohl das psycho-emotionale Wohlbefinden eines Menschen – auch im medizinischen Sinn – entscheidend beeinflussen können. Aber das allein reicht nicht aus, das Berufsethos des ZahnArztes zu rechtfertigen. Beispielsweise können auch Modeschöpfer, Kosmetiker, Friseure, Masseure unter anderem in erheblichem Maße das individuelle Wohlbefinden beeinflussen, ohne sich dabei auf eine medizinischakademische Ausbildung berufen zu müssen.
Die ZahnMedizin ist deutlich mehr. Sie hat gerade heute aufgrund neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse die große Chance und Pflicht zugleich, medizinischer denn je zuvor zu sein: Zusammenhänge zwischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfällen, Frühgeburten und entzündlichen Parodontalerkrankungen sind heute bewiesen. Kopf-, Gesichts- und migräneartige Schmerzen sowie orthopädische Probleme zeigen ebenfalls einen hohen Anteil zahnmedizinischer Kausalität. Nächtliches Zähneknirschen mit hyperaktiver Muskulatur, geringe Tiefschlafphasen und häufige Schlafapnoe sowie verstärkte Adrenalinausschüttung konnten experimentell auf okklusale Störungen zurückgeführt werden. Psychosoziale Gesichtspunkte haben in der Zahnmedizin ebenso eine Bedeutung wie in anderen Teilbereichen der Medizin. Psychoemotionaler Stress in Wechselwirkung mit okklusalen Parafunktionen oder Parodontalerkrankungen sind hier ebenso zu nennen wie psychogenen Amalgambeziehungsweise Prothesenunverträglichkeiten.
Die Bioverträglichkeit moderner „ästhetischer“ zahnärztlicher Materialien scheint nicht unproblematisch: Von lokalen Allergien bis hin zu anaphylaktischen Reaktionen wird ebenso berichtet wie von mikrobiologischen Problemen. Es gilt auch hier, die medizinischen Aspekte nicht aus den Augen zu verlieren und den Einsatz dieser modernen Werkstoffe unter Miteinbeziehung des Patienten kritisch abzuwägen. Eine detaillierte Kenntnis der Ursachen von Mundschleimhautveränderungen dient der Früherkennung von Krankheiten – hier ist neben der Ästhetik vor allem der medizinische Blick des Zahnarztes gefragt.
Das alles erfordert eine hoch spezialisierte medizinische Ausbildung des Zahnarztes und seiner Mitarbeiter.
Es liegt nun an uns, die zahnärztliche Gratwanderung zwischen ästhetisch/kosmetischen Gesichtspunkten einerseits sowie interdisziplinär vernetzten medizinisch-psychologischsoziologischen Sachverhalten andererseits zu erkennen und geschickt und umsichtig zu nutzen. Und zwar allein zum Wohle unserer Patienten.
Gelingt uns das nicht, indem wir uns beispielsweise von Politikern und in der Öffentlichkeit allein in die ästhetisch/kosmetische Ecke drängen lassen, droht die große Gefahr, dass unser Berufsstand aus der (universitären) Medizin entlassen wird. Ein durchaus internationales Problem. Gerade die universitäre Zahnmedizin in Deutschland belegt aber sehr nachhaltig einen – auch im internationalen Vergleich – hohen wissenschaftlichen Standard durch die Vernetzung von Forschung und Lehre auf medizinischer Basis, denn nahezu alle Zahnkliniken sind Teile medizinischer Fakultäten, innerhalb derer sie jeweils zu den großen Fachdisziplinen gehören. Das setzt sich in den Zahnarztpraxen unseres Landes fort, wo auf Basis der akademischen Ausbildung eine wissenschaftliche und auf den jeweils aktuellen Stand ausgerichtete Krankenversorgung stattfindet. Und Qualität kostet Geld.
Prof. Dr. Georg MeyerZMK-KlinikRotgerberstraße 8, 17487 Greifswald