Klinische Funktionsanalyse\r
Die klinische beziehungsweise manuelle und die instrumentelle Funktionsanalyse sowie die bildgebenden und weiteren konsiliarischen Verfahren sind wissenschaftlich anerkannte diagnostische Methoden. Mit ihrer Hilfe wird der (Dys-)Funktionszustand des kraniomandibulären Systems erfasst, um Schlüsse für die geeignete Therapie zu ziehen.
Ohne funktionsanalytische Maßnahmen ist die Erkennung und Behandlung von funktionellen Störungen und Erkrankungen nicht möglich. Dabei ist die klinische Funktionsanalyse für die Untersuchung von Patienten mit kraniomandibulären Dysfunktionen als grundlegend anzusehen. Aus ihren Ergebnissen kann sich die Indikation für die Durchführung einer instrumentellen Funktionsanalyse, die Anwendung bildgebender sowie anderer konsiliarischer Verfahren ergeben.
Gegenstand dieser Stellungnahme ist die klinische Funktionsanalyse als einleitende Untersuchung Die instrumentellen sowie die konsiliarischen Verfahren einschließlich der bildgebenden Diagnostik sind in einer hierauf abgestimmten ergänzenden Stellungnahme beschrieben
Untersuchungsverfahren
Die klinische Funktionsanalyse dient der Überprüfung des funktionellen Zustandes und des Zusammenwirkens von Zähnen, Muskulatur und Kiefergelenken sowie der Erkennung von dysfunktionellen Symptomen und Erkrankungen.
Bei der klassischen klinischen Funktionsanalyse werden pathologische Veränderungen im Bereich der Zahnhartsubstanzen, der Okklusion (statische und dynamische Okklusion), der Parodontien, der Kau- und Hilfsmuskulatur sowie der Kiefergelenke durch Inspektion, Palpation und Auskultation festgestellt. Aus den Befunden können Rückschlüsse auf den Funktionszustand des Kauorgans, die Notwendigkeit weiter differenzierender Untersuchungen sowie gegebenenfalls für eine funktionelle Therapie gezogen werden.
Über diesen Untersuchungsumfang sowie bestimmte Reaktionstests (Provokationstest nach Krogh-Poulsen, Resilienztest nach Gerber) hinaus sind im Laufe der letzten Dekade ergänzende klinische Untersuchungsverfahren entwickelt worden, die mittels verschiedener funktioneller Belastungen die Dysfunktionen individuell weiter differenzieren (zum Beispiel isometrische Belastungstests, manuelle Testungen beziehungsweise Gelenkspieltechniken, wie passive Kompression, Traktion/Translation, dynamische Kompression der Kiefergelenke). Zu diesen Verfahren liegen inzwischen systematische Anwendungsvorschläge und Bestätigungen ihrer klinischen Eignung vor.
Ebenfalls seit dieser Zeit sind Verfahren zur systematisch-orientierenden Untersuchungen des Einflusses psychischer sowie orthopädischer Faktoren im Sinne von Screening- Tests durch den Zahnarzt zu anerkannten Ergänzungen der klinischen Funktionsanalyse geworden.
Indikationen
Der Indikationsbereich und die Ziele der klinischen Funktionsanalyse erstrecken sich auf:
a)Funktionelle Untersuchung des kraniomandibulären Systems bei Verdacht auf das Vorliegen funktionell bedingter Zahn-, Kiefergelenk- und Muskelerkrankungen (zusammenfassende Diagnose: kraniomandibuläre Dysfunktionen (CMD); historische
Synonyme: orofaziale Funktionsstörung, orofaziale Myoarthropathie, orofaziales Schmerzsyndrom, myofaziales Schmerzsyndrom, mandibuläres Dysfunktionssyndrom).
b)Entscheidung über die Notwendigkeit weiter differenzierender beziehungsweise bestätigender zahnärztlicher (instrumentelle Funktionsanalyse) und anderer ärztlicher Untersuchungsverfahren (psychosomatische und/oder bildgebende und/oder orthopädische sowie rheumatologischinternistische Diagnostik).
c)Funktionelle Untersuchung des kraniomandibulären Systems bei Notwendigkeit rekonstruktiver Maßnahmen im Kauorgan zur Aufdeckung gegebenenfalls latent vorhandener funktioneller Probleme und zur Behandlungsplanung.
d)Kieferorthopädische Behandlungsplanung (erste, zum Teil diskrete Symptome können bereits bei Kindern und Jugendlichen vorhanden sein und müssen daher auch im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung Berücksichtigung finden).
e)Funktionelle Nachuntersuchung des kraniomandibulären Systems im Rahmen der Funktionstherapie (Verlaufskontrolle).
f)Entscheidung über die Bedeutung psychogener und/oder orthopädischer Einflussfaktoren im Vergleich zu dentalen, insbesondere okklusalen Faktoren.
g)Konsiliarische Untersuchung bei Problemen des Halte- und Bewegungsapparats beziehungsweise des Hörorgans (Ko- Diagnostik bei Tinnitus).
Dokumentation
Die Initialbefunde sowie gegebenenfalls erhobene Zwischen- und Endbefunde sollten in einem Erhebungsbogen (Klinischer Funktionsstatus der Arbeitsgemeinschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (AFDT) in der DGZMK oder inhaltlich vergleichbare Formulare) eingetragen sein. Bei Kopf-/Gesichtsschmerzen sollte zum Ausschluss dentogener Ursachen ein Zahnstatus vorliegen beziehungsweise erhoben werden. Die aus den Befunden gestellte (Initial-)Diagnose sowie die Notwendigkeit gegebenenfalls erforderlicher weiterer diagnostischer beziehungsweise therapeutischer Schritte sollten in die Dokumentation aufgenommen werden.
Schlussfolgerungen aus der klinischen Funktionsanlyse
Aus der Auswertung der klinischen Funktionsanalyse ergibt sich die Entscheidung, ob ergänzende diagnostische Maßnahmen zur weiteren Eingrenzung und Überprüfung der Initialdiagnose erforderlich sind.
Bestätigen die klinischen und gegebenenfalls zusätzlichen instrumentellen beziehungsweise konsiliarischen Untersuchungsverfahren den Verdacht auf das Vorliegen einer kraniomandibulären Dysfunktion, so erfolgt deren Therapie mittels symptomund ursachenbezogener funktionstherapeutischer Maßnahmen.
M. Oliver Ahlers, Hamburg,Wolfgang B. Freesmeyer, Berlin,Gernot Göz, Tübingen,Holger A. Jakstat, Leipzig,Bernd Koeck, Bonn,Georg Meyer, Greifswald,Peter. Ottl, Frankfurt,Thomas Reiber, Leipzig,Wolf-Dieter Seeher, München
Nachdruck aus dzz 7/2003