Die doppelte Einheitskasse\r
Mit einer "munteren Diskussion" hatte CDU-Chefin Angela Merkel innerhalb ihrer Partei gerechnet, nachdem im vergangenen Monat die Herzog-Kommission ihren Bericht vorgelegt hatte. Tatsächlich ließ der Streit im eigenen Lager nicht lange auf sich warten - sondern war schon vor dem Bundesparteitag Ende dieses Monats in vollem Gange. Die Union reagierte auf die Vorschläge ihrer Experten ähnlich wie die rot-grüne Regierung kürzlich auf den Bericht der Rürup-Kommission reagiert hatte: Proteste gegen weitere Einschnitte, Leistungskürzungen und Privatisierungen bei Renten-, Pflege- und Krankenversicherung sorgten im Handumdrehen für Zoff zwischen den Parteifreunden.
Ein zentraler Punkt im Herzog-Papier ist die "ausdrückliche" Ablehnung der Bürgerversicherung (siehe Kasten). Stattdessen soll langfristig ein Prämienmodell her und der soziale Ausgleich durch höhere Steuern finanziert werden - also ein eindeutiges Bekenntnis zur Kopfpauschale (siehe Kasten). Außerdem soll der Arbeitgeberbeitrag bei 6,5 Prozent eingefroren und das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre heraufgesetzt werden.
"Das ist der Versuch, das Gesundheitssystem durch die Kranken zu sanieren", kritisiert Gesundheitsökonom Prof. Dr. Karl W. Lauterbach, der dem Modell der Unions-Kommission abspricht, die Finanzierungsprobleme der GKV lösen zu können. Eine weitere Privatisierung von Kassenleistungen brächte nichts; außerdem sei nicht zu gewährleisten, dass sich jeder Bürger zu "erschwinglichen Bedingungen" versichern könnte. Lauterbach weiter: "Langfristig gibt es keine Alternative zur Bürgerversicherung."
Auch von Seiten der Gewerkschaften ist wenig Sympathie für Herzogs Vorschläge zu erwarten. "Unverantwortlich" seien die Aussagen des Alt-Bundespräsidenten, wonach die sozialen Sicherungssysteme in der Bundesrepublik "kurz vor dem Zusammenbruch" stünden - meint zumindest Margret Mönig-Raane, Vize-Vorsitzende von ver.di.
Auch die stellvertretende DGB-Chefin Ursula Engelen-Kefer lässt kein gutes Haar an Herzogs Kommissions-Papier. "Es ist nicht richtig, die Sozialversicherungssysteme erst einmal schlecht zu reden und an den Rand des Absturzes zu bringen", so die Gewerkschaftsführerin, "um dann eine starke Aushöhlung zu verlangen." Für Engelen-Kefer ist klar: "Wir wollen die Bürgerversicherung stufenweise erreichen, indem mehr Personen in die Solidarität einbezogen werden und wenn erforderlich auch andere Einkunftsarten."
Gefallen findet die Bürgerversicherung auch im Lager des kleinen Koalitionspartners. Für Katrin Göring-Eckhardt, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, ist sie das "Thema der Zukunft". Bei richtiger Ausgestaltung sei die Bürgerversicherung "der sozial gerechte Weg zur Heilung des Gesundheitswesens". Göring-Eckhardt betont, sie wolle keine Einheitsversicherung, sondern mehr Wettbewerb - aber keine weitere Kürzung von Leistungen, "denn da sind wir am Ende der Belastungsfähigkeit". Geradezu schelmisch fällt der Kommentar aus, den Reinhard Bütikofer, Bundesvorsitzender der Grünen, zur Arbeit der Herzog-Kommission abgibt. "Der Bericht wird die Bürgerversicherung noch populärer machen", so Bütikofer. "Die Union zeigt deutlich auf, was die Alternative wäre: ein Kopfpauschalen-Modell, in dem die Telefonistin genauso viel zahlen muss wie ein Ex-Bundespräsident." Der steuerliche Ausgleich sei nicht solide finanziert - und die von Herzog vorgeschlagene "Finanzierung der Pflegeversicherung über den Verkauf des Bundesbank-Goldes" habe "nahezu Waigel'sche Qualitäten".
Der Streit zwischen Bürgerversicherung und Kopfpauschale ist gleichzeitig auch der Streit zwischen Lauterbach und seinem Kontrahenten Prof. Dr. Bert Rürup - beide sehen sich mit ihrem jeweiligen Reformmodell auf dem einzig richtigen Weg. "Beschäftigungsfreundlicher" sind die Kopfpauschalen für Rürup, weil sie die Gesundheitskosten "auf Dauer definitiv von Löhnen und Arbeitskosten" abkoppeln; und damit "Wachstumsbremsen lösen". Lauterbach kontert, dass es Unsinn sei, "dass das Modell der Kopfpauschale mehr Wettbewerb bringt". Ganz im Gegenteil: Die Bürgerversicherung würde zu einer Reduzierung der gesetzlichen und privaten Kassen und zu einer "harten und fairen" Konkurrenz führen. Lediglich medizinisch notwendige Leistungen würden von der GKV übernommen, alles andere müsse privat abgesichert werden.
Pro und Contra, hin und her - allein die Liberalen sehen in keinem der beiden diskutierten Konzepte eine Lösung. Die Bürgerversicherung ist aus Sicht der FDP nicht geeignet, um die Probleme im Gesundheitswesen zulösen, da es hier "unter dem Deckmantel angeblich Gerechtigkeit" nur darum ginge, den Versicherten "mehr Geld aus der Tasche zu ziehen". Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und Einbeziehung aller Einkunftsarten bedeuteten "de facto nichts anderes als eine Steuer, die von jedem Bürger ohne Wahlmöglichkeit des Versicherungsschutzes bezahlt werden muss."
Und auch das Kopfpauschalen-Modell ist aus liberaler Sicht kein Garant für "eine qualitativ gute Gesundheitsversorgung bei zahlbaren Beiträgen". Für die FDP-Bundestagsfraktion führt kein Weg daran vorbei, dass durch eine solide Steuerreform das verfügbare Einkommen der Bundesbürger steigt - damit endlich jeder Einzelne selbst so weit wie möglich dafür sorgen und darüber bestimmen kann, wie sein Versicherungsschutz aussehen soll.