Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
ein Ruck sollte durch Deutschland gehen. So hatte es der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog noch zu Amtszeiten gefordert. Die Rezepte, die er mit seiner Kommission im Auftrag der CDU jetzt vorlegte, reichen indes nicht grundsätzlich über das hinaus, was andere Kommissionen, runde Tische und politische Programme bisher geboten haben.
Trotzdem bot das, was die CDU-Kommission erarbeitet hat – darunter auch der Vorschlag, die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung über eine Kopfpauschalprämie zu finanzieren –, Anlass für politischen Streit. Er zog sich wieder einmal quer durch die großen Parteien: Der zur Zeit „allumarmende“ Bundeskanzler steckte die Anstrengungen Herzogs als weiteres Material in seinen „Agenda 2010“-Reformsack, CDU-Chefin Angela Merkel verteidigte die Herzog-Linie, die Sozialausschüsse aller Parteien standen Kopf. CSU-Vizechef Horst Seehofer hielt – wie in jüngster Zeit gewohnt – voll dagegen.
„Reformgymnastik“ nennt das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ dieses emsige Treiben, das nach Meinung von Insidern eher der vorgezogenen Positionierung für Kanzlerkandidaturen dient, als dass es zur Lösung einer zentralen Staatsproblematik beitragen kann. Dabei war Herzogs Mahnung eindeutig: Wenn Deutschland der Schritt Richtung Wachstumspolitik nicht gelinge, „fliegt das System in die Luft“. Wohl wahr! Trotzdem kreist über Deutschlands Sozialgefüge nach wie vor ungehindert der Pleitegeier.
Denn der Streit um die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens, diesmal vorrangig bestimmt durch lautes Lamentieren um „Bürgerversicherung“ oder „Kopfpauschalen“, lässt eins mit Sicherheit außer Acht: All diese Versuche bewegen sich auf der alten Basis, die Reste des Bismarkschen Systems zu retten, sprich: die alten Schranken nicht zu verlassen. Und: Teurer werden soll das alles natürlich nicht.
Aber medizinischer Fortschritt und qualitativ hochwertige medizinische Betreuung kostet. Wer das in unserer industriealisierten Welt erreichte Niveau erhalten oder gar ausbauen will, muss auch künftig tiefer in die Taschen greifen. Wie tief, sollte allerdings den Bürgern, von denen ja immer wieder lautstark Eigenverantwortlichkeit und Mündigkeit gefordert wird, bis auf eine notwendige soziale Absicherung weitestgehend selbst überlassen bleiben.
Noch mehr Staat, noch mehr Bürokratie – wie sie auch das jetzt verabschiedete GKV Modernisierungsgesetz wieder einfordert – werden dem gebotenen Sparsamkeits- und Wachstumsdenken kaum voran helfen. Im Gegenteil: Die jetzt angeschobene Diskussion um die Ausweitung des Potentials der gesetzlichen Krankenversicherung via Bürgerversicherung oder Kopfprämienpauschale führt, so mehren sich die Meinungen, zur staatlich regulierten Einheitskasse. Und wo das endet, weiß der Geier.
Mit freundlichem Gruß
Egbert Maibach-Nagelzm-Chefredakteur