Zur Reform erpresst
Am Ende war es dann doch nicht die Zitterpartie, die im Vorfeld von einigen befürchtet wurde. Mit 517 von 574 Stimmen verabschiedete der Deutsche Bundestag Ende vergangenen Monats das GMG. Selbst ohne die Stimmen der Opposition hätte es noch gereicht für Ministerin Ulla Schmidt und ihre Reform. Denn mit 305 Ja-Stimmen stand die rot-grüne „Kanzlermehrheit“ fest. Ganze 54 Gegenstimmen und drei Enthaltungen wurden gezählt – die Konsensgespräche im Vorfeld hatten dem Gesetzgebungsverfahren nahezu jeden oppositionellen Wind aus den Segeln genommen.
Gerumpelt und geknirscht hatte es freilich vor dem 26. September. Und zwar vornehmlich in der SPD-Fraktion. Bundeskanzler Gerhard Schröder nahm sich seine Genossen zur Brust, um sie auf eine einheitliche Linie einzuschwören. „Wenn wir die Mehrheit verfehlen, wird das auf das Ende der Koalition hinauslaufen“, ließ er die Fraktion wissen. Und schob in Richtung möglicher Nein-Sager noch die Drohung nach: „Dann ist das Spiel aus!“
Auch wenn das Reformgesetz zu keinem Zeitpunkt wirklich auf der Kippe stand: Die fehlende Gefolgschaft einiger SPD-Abgeordneter machte den Fraktionsfunktionären zu schaffen. Tatsächlich verweigerten sechs Sozialdemokraten ihrem Kanzler die Nibelungentreue – und warfen ein rotes Stimmkärtchen in die Abstimmungsurne (siehe Kasten).
Dass auch die Union ein schwaches Bild abgab – 23 Abgeordnete fehlten, es gab nur drei Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen – war für die Regierungskoalition da kaum tröstlich. Allein Außenminister Joschka Fischer fand einen launigen Kommentar: „Wir haben schwere Zeiten, aber Gott sei Dank auch Angela Merkel als Oppositionsführerin.“ Schröders Stimmung hatte sich nach getaner Arbeit deutlich gebessert. „Ich bin sehr zufrieden“, fasste er seine Stimmung am GMG-Vormittag zusammen. Auch Volker Kauder, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Fraktion konnte dem Kanzler die Laune nicht verderben. „Das war für Schröder eine noch vergleichsweise leichte Nummer“, so Kauder. „Wenn erst die schweren Brocken kommen, reichen solche Klimmzüge nicht mehr.“ Sein Konterpart in der SPD-Fraktion, Wieland Schmidt, sah’s ebenso gelassen wie der Regierungschef: „Das war ein erfolgreicher Vormittag, trotz Blessuren.“ FDP-Chef Guido Westerwelle hingegen wollte auch nach der Auszählung nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. „Das war ein Pyrrhussieg“, kommentierte er die GMGAbstimmung. „Er kam mit Erpressung, nicht mit Überzeugung zu Stande.“
Seinen wichtigsten Meilenstein hat das GMG also passiert. Der weitere Fahrplan sieht wie folgt aus:
• Am17. Oktobersoll der Bundesrat dem GMG zustimmen.
• Zum1. Januar 2004tritt die Reform in Kraft; Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen für die Patienten steigen.
• Ab2005wird die Zusatzversicherung für Zahnersatz eingeführt.
• Von2006an muss das Krankengeld alleinig vom Arbeitnehmer finanziert werden. Der Burgfrieden in der SPD-Fraktion war nach der GMG-Verabschiedung gleichwohl längst noch nicht wieder hergestellt. Bereits in der darauf folgenden Woche erneuerte Schröder seine Rücktrittsdrohungen – sollten die noch anstehenden Reformen im Sozialwesen nicht „bis Weihnachten“ durchgesetzt sein, dann ist für den Kanzler das Spiel aus. Mal wieder.