Gewerkschaften verdrängen notwendige Reformen

Verschiebebahnhöfe sind keine Lösung

Mit einer Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz setzten die Gewerkschaften – ungeachtet interner Streitigkeiten – ihren Kampf gegen die „Agenda 2010“ fort. Doch ihre Gegenkonzepte stellen keine echte Alternativen dar. Sie bedeuten nichts anderes als eine Ausweitung von Verschiebebahnhöfen und eine Verdrängung notwendiger Reformen.

10 000 Menschen nahmen an der DGB-Kundgebung am 17. Mai auf dem Berliner Alexanderplatz gegen die Reformpläne des Kanzlers im Sozial- und Gesundheitswesen teil – 5 000 weniger als von den Veranstaltern erwartet. Die Protestveranstaltung war vom Deutschen Gewerkschaftsbund DGB, der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und dem „Netzwerk Gesundheit“ organisiert; bundesweit erfolgten am gleichen Tag weitere Protestveranstaltungen in verschiedenen Städten.

Die Gewerkschaften kämpfen, doch die Argumente bringen in der eigentlichen Sache, nämlich den Reformstau im deutschen Sozialwesen abzubauen, trotz großer Lippenbekenntnisse keine wirklich neuen Konzepte. „Derzeit wird uns blanker Sozialabbau als Reformpolitik verkauft“, so der Vorsitzende von ver.di, Frank Bsirske, in Berlin. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer bezeichnete die „Agenda 2010“ als sozial ungerecht. Beide Vertreter betonten die Notwendigkeit durchgreifender Strukturreformen. Man verstehe sich nicht als Blockierer, und es gehe nicht um das Ob, sondern um das Wie und Wohin der Veränderungen, hieß es bei der Kundgebung.

Das Patentrezept der Gewerkschaftler sind Verschiebebahnhöfe nach der Prämisse, dass mehr Geld ins System gehört. Nach Bsirskes Meinung bringe die Agenda weniger Arbeitsplätze. Notwendig sei stattdessen ein öffentliches Konjunkturprogramm im Umfang von 20 Milliarden Euro. Zur Finanzierung forderte er eine Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen, den Verzicht auf eine weitere Absenkung des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Engelen-Kefer bekräftigte: „Die anhaltende Wirtschaftskrise kann nur durch mutige Reformen in der Steuer- und Finanzpolitik überwunden werden.“

Hauskrach

Drei der acht DGB-Gewerkschaften waren zuvor aus der Ablehnungsfront gegen die „Agenda 2010“ ausgebrochen. Die Vorsitzenden der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) Hubertus Schmoldt, der Bahngewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, hatten ihre Absicht erklärt, auf die Bundesregierung zugehen zu wollen. Unter dem Motto „Ja zu Reformen“ hatten die drei Spitzen eine entsprechende Initiative gegründet. Zwar hält man Schröders Pläne auch für nachbesserungswürdig, was die geplante Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, den Kündigungsschutz, das Arbeitslosenund Krankengeld betrifft. Zustimmung gibt es jedoch bei Themen wie der Stärkung der kommunalen Finanzkraft oder der Ausbildungsinitiative. Das Ganze sieht nach einem Bruch in zwei Lager aus, doch beeilt man sich von beiden Seiten zu betonen, dass von einer Spaltung keine Rede sein könne. „Die Kritik an der „Agenda 2010 wird einmütig geteilt,“ hieß es dazu beim DGB. Und die NGG ließ verlauten, dass die Unterschiede im Gewerkschaftslager Fragen des Vorgehens und der Details beträfen, man sich aber in Hauptpunkten einig sei. Doch seitens der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wurden Stimmen laut, die dafür plädierten, die „Hahnenkämpfe“ endlich zu beenden, um den Gesamtverband nicht zu schwächen.

Schaut man sich den „Fünf-Punkte-Plan des DGB für Wachstum und Beschäftigung“ an, wird das schwächelnde Konzept deutlich: Umsteuerung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik heißt die Devise. Damit sollen neue Impulse für einen konjunkturellen Aufschwung gesetzt werden. Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln sparte nicht mit entsprechend heftiger Kritik: Das DGBKonzept, mit zusätzlichen, schuldnerfinanzierten Staatsausgaben die Konsum- und Investitionsnachfrage kurzfristig anzuheizen, führe ins Abseits. Mit einer kurzfristigen Nachfragestimulation könne keine Abhilfe erfolgen. Notwendig sei vielmehr eine nachhaltige Stärkung der Angebotskräfte. Dazu müsse vor allem das Steuersystem effizienter gestaltet und die Belastung für Haushalte und Unternehmen gesenkt werden. Das erfordere allerdings mutige Einschnitte in den öffentlichen Etats und in der Sozialversicherung.

Die Gewerkschaften sollten umdenken. Reihenweise laufen ihnen mittlerweile die Mitglieder davon. Der Deckmantel sozialer Gerechtigkeit reicht nicht mehr aus, um eines zu verbergen: dass sie sich in der schwersten Krise seit ihrer Gründung befinden.

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