Gesundheitssystem-Modernisierungs-Gesetz

Viele Punkte für eine Reform

Der Zeitpunkt hätte kaum besser gewählt sein können: Wenige Tage vor Beginn des 106. Deutschen Ärztetags in Köln wurde das Entwurfspapier zum Gesundheitssystem-Modernisierungs-Gesetz (GMG) vom Bundesgesundheitsministerium öffentlich gemacht. Die Kritik an dem Reformkonzept war mehr als deutlich; von ärztlicher Seite wurde es durch die Bank abgelehnt. Papier, das wurde klar, ist ungleich geduldiger als Mediziner.

Große Ziele hat das Ministerium mit seinem Gesetzesentwurf angepeilt. Direkt zu Beginn des Papiers werden die Vorstellungen auf den Punkt gebracht – genauer gesagt: auf vier Punkte.

• Die „Qualität der Gesundheitsversorgung“ soll nachdrücklich und dauerhaft verbessert und die „Effizienz des Mitteleinsatzes“ erhöht werden. Hierzu soll ein „qualitätsorientierter Wettbewerb“ etabliert werden – sowohl unter den Krankenkassen als auch „zwischen den Leistungserbringern“.

• Medizinisch notwendige Leistungen sollen dauerhaft gesichert werden. Die „Errungenschaften unseres solidarischen Gesundheitssystems“ sollen erhalten bleiben. Die Bevölkerung soll, so das Papier, nicht fürchten, „Krankheit werde sie finanziell ruinieren“.

• Was die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung betrifft, so wird eine nachhaltige Neuordnung angestrebt. Lohnzusatzkosten und Beitragssätze sollen deutlich gesenkt werden.

• Patientensouveränität und -rechte sollen gestärkt und die „Entscheidungsfreiheiten der Versicherten“ ausgeweitet werden. „Qualität“, „Wirtschaftlichkeit“ und „Produktivität“ sind die zentralen Begriffe im GMG-Entwurf. Was genau sich das Gesundheitsministerium hierunter vorstellt, wird schnell klar, wenn man einen Blick auf die wesentlichen Regelungen und Maßnahmen wirft.

Ein zentrales Element des GMG ist die Errichtung eines „Deutschen Zentrums für Qualität in der Medizin“.

Mit der Absicht, eine „Verbesserung der Qualität der Patientenversorgung“ zu erzielen, soll dieses „Zentrum“ errichtet werden. Patienten, Krankenkassen und Ärzte sollen hier mitwirken, um medizinischen Nutzen und Qualität von Leistungen zu bewerten, Empfehlungen für eine Fortschreibung des GKV-Leistungskatalogs erarbeiten, Kosten-Nutzen-Bewertungen von Arzneimitteln vornehmen und auch Leitlinien und Pflege-Standards bei bestimmten Krankheitsbildern entwickeln.

Außerdem sieht der ministeriale Entwurf vor, dass das „Zentrum“ einerseits zur Patienteninformation und andererseits zur „Implementierung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse in die medizinische Versorgung“ beiträgt. Hierzu zähle auch, dass „Empfehlungen für die Anerkennung von Fortbildungsmaßnahmen“ festgelegt würden. „Ärzte werden zur Fortbildung verpflichtet“, heißt es im Folgenden. „Sie müssen künftig regelmäßig nachweisen, dass sie ihre Fortbildungspflicht erfüllt haben.“

Um die „Qualitätssicherung in Praxen und Kassenärztlichen Vereinigungen“ zu verbessern, soll ein „internes Qualitätsmanagement“ eingeführt werden, über welches Rechenschaftsberichte vorgelegt werden müssen. Auch soll die Arzneimittelsicherheit „weiter vergrößert“ werden. In diesem Zusammenhang erwähnt der GMG-Entwurf die Einführung von elektronischem Rezept, elektronischer Gesundheitskarte und elektronischer Patientenakte als „zentrale Elemente“.

Die Teilung des Sicherstellungsauftrages ist wesentlicher Punkt bei den Vorstellungen des Ministeriums zur „Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen“. Kollektivverträge sollen künftig nur für die hausärztliche und kinderärztliche Versorgung gelten sowie für die von Augenärzten und Gynäkologen erbrachten Leistungen. Es sei dann Aufgabe der Krankenkassen, „Versorgungslücken zu schließen“.

Mit Ausnahme der Augenärzte und Gynäkologen würden Fachärzte in Zukunft keine kassenärztlichen Zulassungen mehr erhalten, sondern Einzelverträge mit den Krankenkassen schließen. Der Inhalt dieser Verträge wird, so der GMG-Entwurf, „soweit wie möglich den Vertragspartnern überlassen“. Es soll lediglich ein „gesetzlicher Mindestrahmen“ vorgegeben werden, der sich auf Qualifikation, Leistungskatalog und Arzneimittelversorgung bezieht. Auch das „Aushandeln der Vergütung“ sei „Sache der Vertragspartner“.

Pflichten und Regeln

Die Öffnung der Krankenhäuser für bestimmte ambulante Leistungen ist im GMG ebenso vorgesehen wie die Einrichtung von Gesundheitszentren, welche niedergelassenen Arztpraxen gleichgestellt sein sollen. Außerdem wären Krankenkassen künftig verpflichtet, ihren Versicherten die „Teilnahme an einem Hausarztsystem“ zu ermöglichen; die Teilnahme sei zwar freiwillig, würde aber durch Zuzahlungs-Ermäßigungen bei Arzneimitteln belohnt.

Generell sieht der GMG-Entwurf vor, die integrierte Versorgung weiter zu entwickeln. Ärzte und Kassen sollen autonom Verträge abschließen können – ohne dabei von Rahmenbedingungen beeinflusst zu werden. Ausdrücklich wird auch den Kassen die Möglichkeit eingeräumt, „Eigeneinrichtungen zur integrierten Versorgung“ zu gründen.

„Komplexgebühren“ und „Fallpauschalen“ lauten die Rezepte des Bundesgesundheitsministeriums zur „Weiterentwicklung des ärztlichen Vergütungs- und Abrechnungssystems“. In Hausarztsystemen sollen „Pauschalvergütungen“ gelten, bei „kooperativen Versorgungsformen“ Vergütungsanreize gesetzt werden. Die Krankenkassen will das GMG „stärker in die Verantwortung für eine leistungsgerechte Honorarverteilung“ einbinden und die „Effizienz der Wirtschaftlichkeitsprüfungen“ wirksamer gestalten.

KVen zusammenlegen

„Hauptamtliche Strukturen“ fordert der GMG-Entwurf in Bezug auf die Kassenärztlichen Vereinigungen: „Modernisierte“ und „professionalisierte“ Arbeitsweisen, eine Zusammenlegung kleinerer KVen zu größeren Einheiten und eine Stärkung der Hausärzte „in ihrer Repräsentanz“. Bis zur Neuregelung des Risikostrukturausgleichs ab dem Jahr 2007 sollen „Organisationsprivilegien für bestimmte Kassenarten“ ausgesetzt oder abgeschafft werden, um die Wettbewerbsbedingungen der Kassen „weiter anzugleichen“. Ab 2007 sollen außerdem Fusionen auch „kassenartenübergreifend“ möglich sein.

Einen großen Anteil am GMG-Entwurf hat die „Stärkung der Patientensouveränität“. So sollen Patientenverbände künftig „in alle relevanten kollektiven Entscheidungsprozesse“ eingebunden werden, Beteiligungsund Anhörungsrechte in den entsprechenden Gremien erhalten, im „Deutschen Zentrum für Qualität in der Medizin“ mitwirken und an Rahmenempfehlungen für den Rehabilitations- und Pflegebereich mitarbeiten.

Auch die Förderung der Prävention wird vom Bundesgesundheitsministerium in den Bereich „Patientensouveränität“ gefasst. Hierbei werden insbesondere die Krankenkassen in die Pflicht genommen: Sie sollen stärker untereinander kooperieren, einen Teil ihrer Präventionsmittel in gemeinsame Projekte investieren oder das entsprechende Geld in einen „Gemeinschaftsfonds für Prävention und Gesundheitsförderung“ einbringen. Ausdrücklich werden auch „kassenartenübergreifende Gemeinschaftsfonds für die Förderung der Selbsthilfe“ gefordert. Und: Ein eigenes Präventionsgesetz wird zumindest angekündigt.

Zur „Neuordnung der Finanzierung“ werden im GMG-Entwurf mehrere Punkte angesprochen.

Versicherungsfremde Leistungenwie Mutterschafts- und Entbindungsgeld, Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbruch sollen künftig aus Steuermitteln finanziert werden. Künstliche Befruchtung und Sterilisation sind dann von den Versicherten selbst zu finanzieren.

• DasKrankengeldsoll künftig allein durch die Versicherten finanziert und durch die GKV solidarisch abgesichert werden.

• Nicht verschreibungspflichtigeArzneimittelwerden grundsätzlich aus der GKV herausgenommen.

Renteneinkünftewerden bei GKV-Versicherten künftig mit dem vollen Beitragssatz belegt.

Brillen und andere Sehhilfenwerden nur noch bis zum 18. Lebensjahr und bei schweren Sehbehinderungen durch die GKV finanziert.

Was hierbei gespart wird, muss von den Krankenkassen mindestens zur Hälfte in Form von Beitragssenkungen umgesetzt werden.

Auch bei Zuzahlungen und Befreiungsmöglichkeiten dreht der GMG-Entwurf ein wenig an den Finanzschrauben. Der Eigenanteil bei Arzneimitteln soll je nach Packungsgröße und Patienteneinkommen gestaffelt werden. Für Patienten, die ohne Überweisung ihres Hausarztes einen Facharzt konsultieren, wird eine Praxisgebühr von 15 Euro je Quartal fällig. Die Zuzahlung im Krankenhaus wird auf zwölf Euro je Tag angehoben. Last but not least: Das GMG sieht die Einführung von therapiebezogenen Festzuschüssen bei Zahnersatz vor (siehe auch Leitartikel auf Seite 4).

Die Reaktionen der ärztlichen Selbstverwaltung und Verbände auf den Gesetzesentwurf waren von Skepsis, Kritik und Ablehnung geprägt. Als einen „Leitfaden für den direkten Weg in die Staatsmedizin“ bezeichnete Dr. Hans-Jürgen Thomas, Vorsitzender des Hartmannbundes, die Schmidtschen Reformvorschläge. Eine weiter zunehmende Bürokratisierung und die zunehmende Beschneidung der Freiräume für Ärzte und Patienten würden unausweichlich zu einer Verschlechterung der notwendigen qualitätsorientierten Versorgung führen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) kündigte massiven Widerstand gegen das GMG an. KBV-Vorsitzender Dr. Manfred Richter-Reichhelm betonte, dass alle zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft würden, um die Unterhöhlung der freien Arztwahl zu verhindern. „Die Pläne der Regierung laufen darauf hinaus, dass wir künftig in einem Krankenkassen-Staat leben“, so Richter-Reichhelm.

Der NAV-Virchow-Bund hat erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf die im GMG-Entwurf genannte partielle Aufhebung von Kollektivverträgen zwischen KVen und Krankenkassen. Auch sei hierdurch die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung gefährdet.

Und der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, macht klar, dass im Reformgesetz trotz „Qualitätszentrum“ und Zwangsfortbildung keine Reform zu erkennen sei: „An den grundlegenden, nicht mehr zeitgemäßen Strukturen eines vorgeblich solidarischen Sozialsystems, das auf ein stetes Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung baut, ändert sich nichts.“

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