Eine vollkeramische Implantatversorgung als Einzelzahnersatz
Dentale Implantate werden in der Zahnmedizin zur Versorgung zahnloser, teilbezahnter Kiefer und Einzelzahnlücken angewendet [Adell et al. 1990, Buser et al. 1997, Henry et al. 1996, Jemt et al. 1996]. Das Material der Wahl hierfür stellt das kommerziell reine Titan dar. Dieses biokompatible Material [Kasemo & Lausmaa 1988, 1993] dient seit mittlerweile 30 bis 40 Jahren als dentales Implantatmaterial mit hohen Erfolgsraten [Adell et al. 1990, Albrektsson et al. 1988]. Jedoch kann die graue Farbe des Titanimplantates bei ungünstigen Weichgewebsverhältnissen im Bereich der oberen Front- und Prämolarenregion aus ästhetischen Gründen ein Problem darstellen [Heydecke et al. 1999, Wohlwend et al. 1996]. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass auf Grund von periimplantären Weichgewebsrezessionen der Implantatkopf sichtbar wird.
Obwohl Titan ein biokompatibles Material mit hoher Korrosionsresistenz darstellt [Kasemo & Lausmaa 1993], gibt es Hinweise darauf, dass Metalle – auch Titan – in der Lage sind, eine unspezifische Immunmodulation und Autoimmunerkrankungen hervorzurufen [Stejskal & Stejskal 1999]. Mit hochsensitiven immunologischen in vitro Tests [Lymphozyten-Transformations-Test [LTT]] konnte in einigen Fällen eine Sensibilisierung gegenüber Titan beobachtet werden [Lalor et al. 1991, Valentine-Thon & Schiwara 2003]. Die klinische Bedeutung dieser Resultate ist allerdings bisher umstritten. Darüber hinaus wurden erhöhte Titankonzentrationen in der Nähe von Titanimplantaten [Bianco et al. 1996] und regionalen Lymphknoten [Weingart et al. 1994] gefunden.
Keramische Materialien sind in der Zahnmedizin seit Jahren weit verbreitet. Dies ist hauptsächlich auf ihre positiven Materialeigenschaften [Kappert 1996], ihre Biokompatibilität und Ästhetik zurückzuführen [Dietschi & Spreafico 1997, McLean et al. 1994]. Kleine Brücken, Einzelkronen, Inlays, Onlays und Verblendschalen [Brodbeck 1997, Fradeani 1998, Pröbster 1996, Studer et al. 1998] können heute aus vollkeramischen Systemen hergestellt werden. Vollkeramische Materialien finden neben ihrem Einsatz in der Rekonstruktion von Zähnen auch Anwendung zur Versorgung von Implantaten [Andersson et al. 1998, Prestipino et al. 1998, Razzoog et al. 1997, Scholander 1999].
In den letzten Jahren wurde die Keramik Zirkonoxid als Metallersatz aufgrund seiner ausgezeichneten physikalischen und biologischen Eigenschaften in die Zahnmedizin eingeführt. Zu den besonderen Charakteristiken zählen seine hohe Biegefestigkeit [900-1200 MPa], Härte [1200 Vickers] und seine hohe Risszähigkeit [12 MPa m-] [Kappert 2003]. Zirkonoxid wurde 1789 von dem deutschen Chemiker Martin Heinrich Klaproth als Metalloxid entdeckt [ZrO2] [Piconi et al. 1998]. Für die medizinische Applikation wird ein synthetisch hergestelltes hochreines Zirkonoxid verwendet. Bei hohen Temperaturen [Schmelzpunkt: 2680°C] zeigt das Zirkonoxid eine kubische Kristallgitterstruktur, welche sich beim Abkühlen unter 2370°C in eine tetragonale Phase umwandelt. Unter 1170°C wechselt die tetragonale in die monokline Phase. Der Wechsel von der tetragonalen in die monokline Phase ist mit einer Volumenexpansion des Materials von ungefähr drei bis fünf Prozent verbunden. Diese Expansion führt zu hohen internen Spannungen und zu spontaner Rissbildung im Material. Durch Zusatz von stabilisierenden Oxiden wie MgO, CaO oder Y2O3 kann die Volumenexpansion kontrolliert und das Zirkonoxid teilweise in der tetragonalen Phase bei Raumtemperatur stabilisiert werden [Stevens 1986]. In Regionen mit Rissbildung bei yttrium-stabilisiertem tetragonalem Zirkonoxid oder teilweise stabilisiertem Zirkonoxid-Polykristall [PSZ] findet aufgrund der internen Spannungen eine lokale Transformation von der tetragonalen in die monokline Phase statt. Am Riss findet eine lokale Volumenausdehnung statt, welche der Rissausbreitung entgegenwirkt. Für die weitere Rissausbreitung sind nun höhere Kräfte, das heißt mehr Energie, notwendig [Garvie et al. 1975]. Dies ist der Grund für die größere Stabilität dieses keramischen Materials [Marx 1993, Stevens 1986]. Zirkonoxid wird zur Herstellung von Küchenmessern, industriellen Schneidwerkzeugen und von thermomechanisch stark beanspruchten Teilen in der Auto- und Luftfahrtindustrie verwendet. Neben seiner guten Stabilität [Christel et al. 1989, Ichikawa et al. 1992] ist es biokompatibel [Akagawa et al. 1993, Albrektsson et al. 1985, Ichikawa et al. 1992]. Aus diesem Grunde wird dieses Material in der Medizin [Cales et al. 1994] und Zahnmedizin [Ahmad 1999, Meyenberg et al. 1995] eingesetzt. Die weiße Farbe und die biotechnischen Charakteristika von Zirkonoxid scheinen die Herstellung von qualitativ und ästhetisch hochwertigen Rekonstruktionen zu erlauben. Darüber hinaus konnte dieses Material mit der Entwicklung dentaler CAD/CAM-Systeme [Computer-Aided Design/Computer-Aided Manufacturing] in die restaurative Zahnheilkunde für Kronen- und Brückengerüste eingeführt werden [Luthardt et al. 1999, Sturzenegger et al. 2000, Tinschert et al. 2001b].
Aufgrund der möglichen Probleme mit Titanimplantaten ist natürlich die Untersuchung von zahnfarbenem Zirkonoxid als Implantatmaterial von großem Interesse. Dieses Material könnte zukünftige eventuelle gesundheitliche und ästhetische Probleme vermeiden helfen. Bisherige keramische Materialien, wie zum Beispiel das Aluminiumoxid [Al2O3] zur Herstellung des Tübinger Sofortimplantates [Schulte 1984, Schulte & d'Hoedt 1988] zeigten exzellente biokompatible, aber ungenügende physikalische Eigenschaften [zum Beispiel unzureichende Biegefestigkeit] und eine hohe Frakturrate. Zirkonoxid hingegen dürfte aufgrund seiner Biokompatibilität [Akagawa et al. 1993, Akagawa et al. 1998, Albrektsson et al. 1985] und physikalischer Eigenschaft das keramische Material der Wahl sein. Bezüglich der Anwendung von Zirkonoxidimplantaten sind im Moment nur Tieruntersuchungen vorhanden. Über die klinische Anwendung von Zirkonoxid als Implantatmaterial wurde nach Kenntnis der Autoren noch nicht berichtet.
Fallpräsentation
Der vorliegende Fallbericht stellt einen Einzelzahnersatz mit Hilfe eines Zirkonoxidimplantates und einer vollkeramischen Krone dar. Die Patientin wurde an die Abteilung für Zahnärztliche Prothetik zur Beurteilung des linken oberen zentralen Schneidezahnes [Zahn 21] überwiesen. Die medizinische Anamnese war unauffällig. Neben kariesfreien Zähnen wies die Patienten ein gesundes Parodont auf. Die prothetische und konservierende Versorgung im Ober- und Unterkiefer [Kronen und Füllungen] war unauffällig. Die Zähne 21, 34 und 46 zeigten im Röntgenbild Wurzelkanalfüllungen [Abb. 1]. Zahn 34 wies eine seit einigen Jahren unveränderte apikale Pathologie auf, die gemäß den Angaben der Patientin keine Probleme bereitete. Am verfärbten linken oberen zentralen Schneidezahn wurde im September 1999 andernorts eine Wurzelspitzenresektion durchgeführt, wonach sich drei Monate nach Operation eine Fistel am Übergang zwischen keratinisierter Gingiva und Alveolarmukosa entwickelte [Abb. 2]. Klinisch konnte zu diesem Zeitpunkt eine Längsfraktur des Zahnes festgestellt werden, was zur Nichterhaltungswürdigkeit des Zahnes 21 führte. Da die Nachbarzähne ohne jedwede Versorgung waren, wünschte die Patientin den zu extrahierenden Zahn mit einer implantatgetragenen Einzelkrone versorgt zu bekommen. Die Patientin stimmte – nach Aufklärung – der Verwendung eines Zirkonoxidimplantates zu und unterzeichnete eine schriftliche Erklärung. Nachdem Zahn 21 ohne Lappenbildung extrahiert wurde [Abb. 3], konnte ein großer bukkaler Defekt der Restalveole festgestellt werden. Ein anschließend präparierter bukkaler Mukoperiostlappen erlaubte die gesamte Darstellung des Alveolarknochens mit dem ausgedehnten alveolären Defekt, der sich über den gesamten bukkalen Bereich erstreckte [Abb. 4]. In diesen Defekt wurde ein individuell hergestelltes Zirkonoxidimplantat gesetzt [Abb. 5]. Die Herstellung des Implantates erfolgte ad modum ReImplant [Kohal et al. 1997, Kohal et al. 2002]. Nach Auswertung der Röntgenbilder [Orthopantomogramm, konventionelle Tomogramme] wurde eine Kopie des zukünftigen Implantates in Kunststoff hergestellt. Mit Hilfe des ReImplant-Scanners wurde die Implantatkopie berührungslos abgetastet und anschließend durch einen hoch gesinterten Zirkonoxidzylinder [Durchmesser zehn Millimeter, Länge 18 Millimeter] ausgetauscht. Mittels einer Turbine wurde das Zirkonoxidimplantat gemäß den aus der Implantatkopie gewonnenen Scan-Daten aus dem Zylinder herausgefräst.
Der nach Implantatinsertion verbliebene Alveolarknochendefekt wurde mit einer bioresorbierbaren Membran – unterstützt durch ein Knochenersatzmaterial – aufgebaut [Abb. 6 und 7]. Die Distanzhülsenoperation unter Verwendung eines Zirkonoxidaufbaus wurde nach einer Einheilungszeit von sechs Monaten durchgeführt [Abb. 8]. Die Zahnkrone des extrahierten Zahnes 21 wurde zum Provisorium umgearbeitet, mit Kunststoff unterfüttert und eingesetzt [Abb. 9]. Nach einer einmonatigen Weichgewebsheilung wurde ein konventioneller individueller Abdruck des Oberkiefers genommen und ein Zirkonoxidgerüst mit Hilfe der CAD/CAM Technologie [Abb. 10] hergestellt. Das Gerüst wurde mit einer Verblendkeramik verblendet [Abb. 11 und 12] und die vollkeramische Einzelkrone anschließend mit Glasionomerzement auf dem Implantat befestigt [Abb. 13]. Zementüberschüsse wurden entfernt und die Okklusion sowie Artikulation überprüft. Nach abschließender Röntgenaufnahme [Abb. 14] wurde die Patientin eingehend über die optimale Mundhygiene informiert.
Diskussion und Schlussfolgerung
Mittlerweile liegen für vollkeramische Einzelzahnrestaurationen gute Langzeitergebnisse vor [Bindl & Mörmann 2002, Malament & Socransky 2001, Studer et al. 1998]. Zum Aufbau zerstörter Zähne im sichtbaren Bereich werden immer häufiger Zirkonoxidstifte mit individuellen Keramikaufbauten, welche dann der Aufnahme von Vollkeramikkronen dienen, verwendet [Ahmad 2002, Meyenberg et al. 1995]. Auch scheint die Herstellung von Zirkonoxidgerüsten für Kronen und Brücken möglich zu sein, wie erste experimentelle Ergebnisse zeigen [Luthardt et al. 1999, Tinschert et al. 2001b]. Zirkonoxidgerüste bieten aufgrund ihrer hohen Biegefestigkeit neue Perspektiven im Bereich der metallfreien Rekonstruktion von Einzelzähnen und bei Versorgung mit Brücken [Filser et al. 2001, Tinschert et al. 2001a]. Obwohl klinische Langzeitdaten bisher fehlen, zeigen in vitro Untersuchungen und erste klinische Erfahrungen erfolgsversprechende Resultate [Filser et al. 2001, Sturzenegger et al. 2000, Tinschert et al. 2001b]. Tinschert et al. [2002] berichteten über das Ergebnis von 46 zirkonoxidunterstützten Vollkeramikbrücken bei 32 Patienten. Nach durchschnittlich 15,5 Monaten beobachteten die Autoren keine Frakturen der Zirkonoxidgerüste. Eine Abplatzung von Verblendmaterial wurde festgestellt. Weitere Misserfolge wurden nicht beschrieben. Ähnlich stellten Zembic et al. [2002] in ihrem Patientengut nach zweibeziehungsweise drei Jahren keine Zirkonoxidgerüstfraktur fest. In der Zwei-Jahres-Gruppe wurden aber in zehn Prozent der Fälle und in der Drei-Jahres-Gruppe in einem Prozent der Fälle Abplatzungen der Verblendkeramik festgestellt. Beide Autorengruppen schlossen aufgrund ihrer Ergebnisse, dass zirkonoxidunterstützte Vollkeramikbrücken genügend Stabilität für die klinische Anwendung aufzuweisen scheinen. Die Autoren des vorliegenden Fallberichtes nehmen an, dass das klinische Verhalten von zirkonoxidgestützten Einzelkronen auf Implantaten dem von Brücken gleichen dürfte. Jedoch fehlen hier wissenschaftliche Langzeitdaten.
Problematisch scheint die Frage des Zirkonoxid-Verblendmaterials zu sein. In den oben erwähnten Untersuchungen von Tinschert et al. [2002] und Zembic et al. [2002] traten Verblendfrakturen auf. Im Moment wird im Bereich der Zirkonoxid-Verblendmassen intensiv geforscht. Unter anderem werden Titanverblendmaterialien, aufgrund ihres geeigneten thermischen Expansionskoeffizienten, für die Verblendung von Zirkonoxidgerüsten verwendet [Vitadur D [Tinschert et al. 2002], Vita, Deutschland]. Weitere, speziell auf Zirkon abgestimmte, Verblendmassen müssen in klinischen Langzeituntersuchungen ihre Eignung unter Beweis stellen.
Zirkonoxid als Implantatmaterial wurde bisher nur experimentell verwendet [Akagawa et al. 1993, Akagawa et al. 1998, Albrektsson et al. 1985, Dubruillé et al. 1999, Scarano et al. 2003]. Nach Wissensstand der Autoren ist der vorliegende Bericht die erste klinische Fallpräsentation eines Zirkonoxidimplantates. In einigen Untersuchungen zeigte Zirkonoxid eine ähnliche Biokompatibilität wie Titan [Akagawa et al. 1993, Akagawa et al. 1998, Albrektsson et al. 1985, Kohal et al. 2003]. In einem vergleichenden Tierexperiment betrug der Knochen-Implantat-Kontakt bei Zirkonoxidimplantaten 67 Prozent, bei Titanimplantaten 73 Prozent. Der Unterschied in der Osseointegration war in dieser Untersuchung statistisch nicht signifikant [Kohal et al. 2003]. Neben den Untersuchungen bezüglich der Biokompatibilität zeigten eine Finite Element Analyse [Kohal et al. 2002] und Tieruntersuchungen [Akagawa et al. 1993, Akagawa et al. 1998, Kohal et al. 2003], dass Zirkonoxidimplantate in der Lage sein dürften okklusalen Kräften über eine lange Zeitdauer zu widerstehen. Obwohl erste experimentelle und klinische Daten vielversprechend sind, müssen Langzeitdaten abgewartet werden, bevor die Anwendung von Zirkonoxidimplantaten in der Praxis empfohlen werden kann.
Die vorgestellte Behandlungsmethode könnte in Zukunft eine optimale Basis für die metallfreie, biokompatible und ästhetische Versorgung unserer Patienten darstellen.
DanksagungDie Autoren danken Herrn ZTM S. Wittkowski für die Herstellung der vollkeramischen Krone.
Priv. - Doz. Dr. Med. Dent. Ralf J. KohalAbteilung Poliklinik für Zahnärztliche ProthetikAlbert Ludwigs-Universität, FreiburgHugstetter Straße 5579106 FreiburgTelefon: 0761/ 270-4977Fax: 0761/ 270-4925E-Mail:kohal@zmk2.ukl.uni-freiburg.de