Leitartikel

Joschka, der Stehgeiger\r

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn Ulla Schmidt in den vergangenen Tagen und Wochen über ihr Gesundheitsreform-Gesetz gesprochen hat, dann ist sie meistens so richtig ins Schwärmen geraten. Das in den Konsensgesprächen ausgehandelte Papier sei der „bestmögliche Kompromiss“ gewesen, unterm Strich sei sogar „mehr erreicht worden“, als Regierung und Opposition in einer parlamentarischen Diskussion gegeneinander hätten durchsetzen können. Wie eine Löwenmutter wirft sich die Gesundheitsministerin vor ihr „Kind“ – und wehe dem, der dem Kleinen zu nahe kommt!

Aber was ist nun tatsächlich von diesem Kompromiss zu halten? Oder genauer: Hat das 400-Seiten-Werk mit der Schwindel erregenden Bezeichnung „Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz“ (GMG) überhaupt das Etikett „Kompromiss“ verdient? Eines ist wohl klar: Von den Zielen und Positionen, welche Angela Merkel und die Union zur Reform des deutschen Gesundheitswesens formuliert hatten, ist nach den heißen Verhandlungswochen des vergangenen Sommers so gut wie nichts übrig geblieben. Langsam aber sicher schmolzen die Forderungen nach Wettbewerb, Eigenbeteiligung und Transparenz dahin. Während Horst Seehofer zunehmend zu einer Wachsfigur in den Händen der Ministerin wurde, hatten die Liberalen die Faxen dicke – und verabschiedeten sich aus dem rot-grünen Schwitzkasten.

„Wendig war Seehofer immer schon“, kommentierte die „Zeit“ kürzlich das Konsensgerangel und folgerte: „Möglicherweise war dies nun eine Wendung zuviel.“

Nochmal: Das GMG, ein Kompromiss? Klar, aber nur, wenn man akzeptieren kann, dass es – mal über den Daumen gepeilt – zu 95 Prozent aus rot-grünem Gedankengut und zu mickrigen fünf Prozent aus Vorschlägen der Opposition besteht. Bei „Lahnstein I“ sah das Ganze noch ein bisschen anders aus als in der aktuellen Neuauflage. Damals trennten sich Seehofer und sein Kontrahent Rudolf Dressler mehr oder weniger „fifty-fifty“. Die Liberalen waren zwar auch nicht mit dabei – aber anders als bei „Lahnstein II“ waren sie seinerzeit gar nicht erst eingeladen worden. Mit parlamentarischer Gesetzgebung hatte das sicherlich nicht viel zu tun.

Das gegenseitige Schulterklopfen der großen Reformkoalition geht derweil weiter. Allein die FDP traut sich, diese Harmonie zu stören. Ihr Gesundheitsexperte Dieter Thomae benennt, was eigentlich Job der gesamten Opposition im Deutschen Bundestag wäre – dass mit dem Gesetz der Weg in die medizinische Planwirtschaft munter weiter beschritten und der staatliche Dirigismus zu neuen Blüten getrieben wird. Doch bis auf die Liberalen will (und darf) wohl niemand sehen, welches „bürokratische Monster“ da entsteht.

Unisono spielt das Schmidt’sche Orchester seine gruselige Sinfonie. Und bekommt jetzt noch Unterstützung durch einen neuen Solisten: Denn der Bundesaußenminister greift höchstpersönlich in die gesundheitspolitischen Saiten. In bester Tradition seiner Namensvetterin (und Ex-Gesundheitsministerin) macht Joschka Fischer munter mit bei der Diskussion um Bürgerversicherung, Kopfpauschalen und dem Einfrieren des Arbeitgeberanteils.

Es ist ja auch so einfach: Mal eben im Urlaub abschalten von der sorgenreichen Außenpolitik und sich intensiv mit Gesundheitspolitik, Zukunftsfähigkeit der GKV, Kassenlage der Kassen, Rolle der PKV und so weiter beschäftigen. Sozialpolitik im Schnelldurchgang. Da ist es kein Wunder, dass sich mancher Konzertmeister schnell als Stehgeiger wiederfindet.

Die GKV-Kakophonie geht weiter. Alle, die im politischen Orchestergraben sitzen, finden’s anscheinend klasse. Nur wir, die Zuhörer, können das Gedudel kaum noch ertragen. Bei so vielen Misstönen kann die Kritik gar nicht hart genug sein: Diese Reform ist nicht nur eine verpasste, sondern eine verpatzte Chance!

Mit kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzAmtierender Vorsitzender der KZBV

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