Kopfpauschale kontra Bürgerversicherung

Viel Zündstoff – wenig PS

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Am 8. September 2003 tagte die Handelsblatt-Konferenz „Reform der Sozialen Sicherungssysteme“ in Berlin. Die erste Liga hiesiger Experten reiste an, um mit rund 130 Vertretern aus Forschung, Wirtschaft und Gesundheitswesen die Zukunft der deutschen Sozialversicherung zu erörtern. In der Sache zeigte sich die Runde einig – strittig war der Weg zum Ziel.

Prof. Dr. Dr. Bert Rürup, Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach, Horst Seehofer, Dr. Eckart Fiedler, Josef Beutelmann – die Teilnehmerliste las sich wie das Who is Who deutscher Gesundheitspolitik und versprach viel Zündstoff.

Staatssekretär Heinrich Tiemann versuchte vorab schön Wetter zu machen: Die Vorschläge der Rürup-Kommission könnten das System nachhaltig reformieren – allerdings müssten die Reformen in allen Zweigen der Sozialversicherung konsequent umgesetzt werden. Wichtigste Voraussetzung dafür sei eine „aktive Gesellschaftspolitik“. Da stimmte Prof. Dr. Dr. Bert Rürup, Vorsitzender der gleichnamigen Kommission, zu. Er warnte davor, durch wahltaktische Versuche die Reformvorschläge zu verwässern, da insbesondere die „Kosten der Alterung nicht abgewählt, sondern nur anders verteilt werden können.“

Reform für die Enkel

Hoch interessant sei jedoch, dass die Rentnerverbände „massiv dagegen polemisieren“, obwohl sie gar nicht betroffen seien. Die Reform sei schließlich eine „Reform für die Enkel“: Gewinner seien die 1990 Geborenen, Verlierer die 1970er, welche hohe Beitragssätze, eine hohe private Vorsorge und ein niedriges Rentenniveau tragen müssten. Rürup machte seinem Ärger Luft: „Das Rentensystem ist keine Kuh, die im Himmel frisst und auf der Erde gemolken wird!“ Er plädierte für eine Mischfinanzierung – allein könne die gesetzliche Rente den Lebensstandard nicht mehr sichern. Jene könne in Zukunft beispielsweise 70, ergänzende Systeme 30 Prozent ausmachen. Die Riesterrente habe diesen Systemwechsel bereits vorgenommen. Zum Thema Gesundheitsreform sagte Rürup: „Das gegenwärtige System ist am Ende“. Er forderte die Politik auf, rasch eine Entscheidung zwischen Bürgerversicherung und Kopfpauschale zu treffen. Die Beitragsdynamik müsse so schnell wie möglich gebremst und wettbewerbsstimulierende Maßnahmen ergriffen werden. Die Ausgliederung des Zahnersatzes lehnte er indes ab, da es so zu immer mehr „Mini-Kopfpauschalen“ komme, die das System weiter verteuerten.

Scharfe Kritik an den Vorschlägen übte dagegen Prof. Dr. Friedrich Breyer von der Universität Konstanz. Er warf der Rürup-Kommission vor, Gleichbehandlung und Generationengerechtigkeit nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Es gebe keine Begründung für die Versicherungspflichtgrenze: Eine Solidargemeinschaft mache nur Sinn, wenn alle Mitglieder integriert seien. Die GKV hingegen sei wie ein aktiver Leichtathlet, der mit jeder Runde mehr Bleikugeln aufgebürdet bekäme und dadurch nicht so schnell laufen könne wie andere. Breyer plädierte für eine Ausweitung des Personenkreises der gesetzlich Versicherten: Vorstellbar wäre eine Art Schweizer-Modell mit Einheitstarif und Ausgleich über die Steuern.

Prof. Dr. Dr. Karl W. Lauterbach, Berater von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Mitglied der Rürup-Kommission, pflichtete Breyer bei: Für die Pflichtgrenze existiere weder eine ökonomische, geschweige denn eine ethische Begründung. Dass sich Gesunde und Einkommensstarke aus dem Solidarsystem verabschiedeten – das gebe es nur in Deutschland. Lauterbach erneuerte seine Forderung nach einer Bürgerversicherung. Der medizinische Bedarf der Versicherten müsse dabei im Vordergrund stehen – die Versorgung dürfe nicht vom sozialen Status, Beruf oder Einkommen abhängen.

Demgegenüber hielt Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Direktor des Instituts für Finanzwissenschaften in Freiburg, die Diskussionen um die Unterschiede bei den Einkommensschichten und Lebensaltern für müßig. Raffelhüschen warnte vor dem Streben nach allzu perfektionistischen Lösungen. Er sei eher „ein Mann fürs Grobe“ – alles müsse „in etwa passen“. Über Nachbesserungen könne man natürlich diskutieren, aber wenn in punkto Gerechtigkeit überall Differenzierungen gemacht würden, „kommen wir in Teufelsküche!“. Auch Horst Seehofer (CDU/CSU) nannte die „detailverliebte Kritik“ an den Reformvorschlägen überflüssig. Die Große Koalition sei voller Reformtheoretiker, doch gänzlich ohne Reformpraktiker.

Weichenstellung oder neuer Wein in alten Schläuchen

Positiv hob Seehofer hervor, dass die Politik nun parteiübergreifend umsteigen würde, weil man sich ein System, das nicht kapitalgedeckt sei, einfach nicht mehr leisten könne. „Wir können froh sein, dass eine Weichenstellung passiert, indem endlich die Arbeitgeberanteile gesenkt werden können.“ Eine grundsätzliche Reform des Gesundheitssystems stellte er in fünf bis sechs Jahren in Aussicht – dann will der Unionsvize die GKV auf eine Bürgerversicherung umstellen. Der jahrelange Reformstillstand sei endlich durchbrochen und das Verständnis der Bevölkerung wesentlich größer als noch ein paar Jahre zuvor.

Dieser Gesamteinschätzung erteilte Josef Beutelmann (Barmenia Krankenversicherung) bei der anschließenden Podiumsdiskussion, an der auch Heinz Putzhammer vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und Andreas Storm (CDU/CSU) teilnahmen, eine klare Absage. Die hier vorgetragenen Konzepte glichen neuem Wein in alten Schläuchen. Die Reformer von Regierung und Union hätten ihr Ziel, die GKV langfristig auf gesunde Füße zu stellen, verfehlt. Mit Dr. Eckart Fiedler, Chef der Barmer Ersatzkasse, lieferte sich Beutelmann ein beeindruckendes Wortgefecht: Während Fiedler das Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG) als eine Reform mit „unglaublichem Finanzvolumen“ bewertete und besonders in der integrierten Versorgung neue Möglichkeiten für die GKV sah, stellte Beutelmann fest, die Chance, Teile des Systems mit PKV-Elementen zu bestücken, sei verpasst worden.

Eine Lösung zur langfristigen GKV-Finanzierung steht bislang noch aus – eine Vorentscheidung wollen SPD und CDU auf ihren Parteitagen im Herbst treffen. „Die Ausgestaltung der Sozialsysteme entscheidet über die strukturelle Mehrheitsfähigkeit der großen Volksparteien“, zumindest da ist sich Horst Seehofer jetzt schon sicher.

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