Leitartikel

Der kleinste gemeinsame Nenner

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der aufmerksame Deutsche denkt beim „kleinsten gemeinsamen Nenner“ sehr schnell an die Pisa-Studie, in diesem Fall geht es aber um Politik: Bis zur Bekanntgabe der „Eckpunkte der Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform“ war die Inszenierung nahezu perfekt. Noch am Vorabend des Abschlusses wurden die Verhandlungsführer Schmidt und Seehofer sehnsüchtig in Christiansens Polit-Talkshow erwartet. Dort wollte man „die größte Reform seit der Wiedervereinigung“ dem staunenden Publikum vorstellen.

Es kam anders: Das Aushandeln der Kompromisse erforderte ein weiteres Nachsitzen, der Zuschauer musste mit Abgesandten vorlieb nehmen, die – selbstverständlich – viel redeten, aber – natürlich – das Schweigegelübde einhielten. Was dann am kommenden Tag bekannt wurde, bestätigte die Skepsis vieler Beobachter. Das „neue Lahnstein“ war kein „großer Wurf“. Für die auf Nachhaltigkeit setzenden Fachleute war es wieder einmal der „Berg, der kreißte, und eine Maus gebar“.

Also keine Überraschung? Auch wenn die Arbeitgeber sich im Laufe der Verhandlungen immer mehr im Zentrum der politischen Gedankengänge wähnten, das Ergebnis dann als nicht ausreichend bezeichneten, gilt auf den ersten Blick: Das politisch gesteckte Ziel von über 20 Milliarden Euro an Einsparungen war rechnerisch erreicht. Rot, Grün und Schwarz sehen ihre Hausaufgaben erst einmal als erledigt an. Gelb-Blau mäkelt noch.

Dabei fängt die eigentliche Arbeit erst an. Das Eckpunkte-Papier schreit nach Konkretisierungen. Erst ein Gesetzesentwurf, der die wenig pointierten Forderungen umsetzen muss, wird klarer sehen lassen. Vordergründig verheißt das Papier für uns Zahnärzte durchaus Erfolge: Unser lange gefordertes Experiment ist da. Zwar wurde die Ausgrenzung der gesamten Zahnmedizin auf dem Altar der Kompromisse geopfert, aber zunächst steht für einen später intensiv zu prüfenden Zeitraum von fünf Jahren ab 2005 der Test, Zahnersatz nach befundorientierten Festzuschüssen abzurechnen. Wir Zahnärzte haben die Beweispflicht, dass dieser Weg für alle Beteiligten der richtige ist. Einfach wird das nicht. Denn die obligatorische Zusatzversicherung für die „Ausgrenzung“ des Zahnersatzes soll im freien Wettbewerb zwischen GKV und PKV erfolgen. Kostenerstattung – wir werden EU-kompatibel – ist optional und soll nur nach individueller Vorab-Beratung durch die GKV erfolgen. Wie die wohl aussehen mag?

Dennoch: Es ist ein Schritt nach vorn, wenn auch gekoppelt mit eventuell programmierten Rückschritten, die das so genannte „Kleingedruckte“ bereit hält. Auffällig ist, dass die meisten auf diesem „Polit-Basar“ ausgehandelten Forderungen derartige versteckte Fallen aufweisen. Das Schlimme daran: Wo die Politik als höchste Instanz durch klare Beschlüsse Umsetzungsstreitigkeiten hätte vermeiden können, hat sie – wieder einmal – breite Interpretationslöcher hinterlassen.

Die Selbstverwaltungen, insbesondere die KVen und KZVen, von denen manche angesichts der ebenfalls geöffneten Tore angemahnter Professionalisierung und möglicher Experimentierfelder für Einkaufsmodelle schon in Endzeitstimmung verfielen, haben angesichts dieses Eckpunkte-Papiers ein weites Feld neuer Aufgaben. Ob das dann noch im Sinne herkömmlicher Selbstverwaltung stattfinden kann, bleibt fraglich.

Vom ebenfalls im Papier geforderten Abbau der Bürokratie im Gesundheitswesen ist man jedenfalls weit entfernt. Die den Bundesausschüssen zugeordnete Aufgabe, eine Stiftung und ein Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen einzurichten, verspricht eher das Gegenteil – von Patientenquittungen, intelligenten Gesundheitskarten und anderem mehr ganz zu schweigen.

Wenn sich die Politik jetzt in die parlamentarische Sommerpause begibt, startet die eigentliche Arbeit am Gesetzesentwurf. Für uns gilt es, hier wachsam zu bleiben, falls die Beamten im BMG nicht in jedem Punkt auf der Linie der politischen Kompromisse liegen. Angedacht sind jedenfalls durchaus spannende Teillösungen. Aber den großen Wurf haben die Politiker nicht hingekriegt.

Mit kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzAmtierender Vorsitzender der KZBV

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