Gastkommentar

Reformziel Staatsmedizin

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Neue Zusatzversicherungen sollen die Arbeitgeber entlasten. Horst Seehofer zeigt Sympathie für die „Bürgerversicherung“. Der Spielraum für private Vorsorge wird nicht erweitert, sondern eher kleiner. Bei stagnierendem Wachstum und sinkenden Einkommen wird sich der Trend zur Staatsmedizin beschleunigen.

Martin Eberspächer
Leiter der Abteilung Wirtschaft und Soziales des Bayerischen Rundfunks

Zwischen fünfzig und sechzig Prozent der Wählerstimmen darf Edmund Stoiber für die CSU bei der Landtagswahl in Bayern am 21.September erwarten. Nicht seinen Gegenkandidaten Franz Maget von der SPD fürchtet Edmund Stoiber in diesem Wahlkampf. Wer sechzig Prozent der Wähler überzeugen will, muss vor allem der CDU in Berlin zeigen, was eine breite Mehrheit der Bevölkerung will: Weniger Steuern und eine Gesundheitsvorsorge, die für AOK-Mitglieder im Freistaat bezahlbar bleibt.

Wie die Mehrzahl der Bundesabgeordneten, so ist auch Horst Seehofer privat versichert und am Wechsel in eine gesetzliche Kasse keinesfalls interessiert. Trotzdem wettert der Politprofi Seehofer gegen eine „Privatisierungsorgie“ im Gesundheitswesen. Im Wahlkampf geht es nicht um Ordnungspolitik, sondern darum, die CSU als Hoffnungsträger der Zwangsversicherten im Freistaat darzustellen.

Der Beitragssatz in der Krankenversicherung soll auf dreizehn Prozent abgeschmolzen werden, so dass die Sozialbeiträge insgesamt vierzig Prozent nicht übersteigen. Auf diese Vorgaben haben sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und Edmund Stoiber gleichermaßen festgelegt, um die Arbeitgeber zu entlasten.

Deshalb spielt dieses Ziel bei der Suche nach dem Reformkompromiss der Volksparteien die zentrale Rolle. Andererseits sagt Seehofer seit Jahren immer wieder, die Zitrone sei schon ausgequetscht und deshalb wolle er mehr Geld ins Gesundheitssystem lenken. Immerhin handelt es sich um eine umweltverträgliche Wachstumsbranche, die Arbeitsplätze sichert.

Es ist absehbar, dass am Ende der Reformgespräche nur die Arbeitgeberanteile bei 6,5 Prozent eingefroren werden. Der Beitrag des Staates für versicherungsfremde Leistungen wird sich in Grenzen halten. Zusätzliche Mittel sind also von den Zwangsversicherten aufzubringen. Wenn „Zusatzversicherung“ zur Pflicht wird, kann sie nicht als „private Eigenvorsorge“ dargestellt werden. Und ohne Kürzung der verfügbaren Einkommen wird die Rechnung nicht aufgehen. Das fordert die Gewerkschaften heraus, den Ausgleich bei der Lohnrunde einzufordern.

Wenn die Arbeitgeber künftig einen fixen Anteil der Beiträge übernehmen, spüren Arbeitnehmer Unterschiede im Beitragssatz der Kassen doppelt. Bei stagnierenden oder rückläufigen Einkommen wird das Motto „Geiz ist geil” die Wahl der Krankenkasse bestimmen – vor allem bei Jungen und Gesunden. Das strapaziert die Solidarität beim Risikostrukturausgleich. Im Wettbewerb müssen teuere Kassen weichen. Und wie geht’s weiter? Das Rürup-Modell der Kopfpauschale erfordert einen sozialen Ausgleich aus dem Staatshaushalt in zweistelliger Milliardenhöhe. Anders wäre es für die Volksparteien und ihre Wähler nicht akzeptabel. Seehofer zeigt Sympathie für die „Bürgerversicherung”. Denn er will Beitragssatz und Solidarprinzip festschreiben, aber auch die Einnahmen steigern. Deshalb sollen die Grenzen der Beitragsbemessung und Pflichtversicherung gesprengt und zahlungskräftige Mitglieder zwangsweise den gesetzlichen Kassen zugewiesen werden. Im Ergebnis würde die private Vollversicherung ausgezehrt.

Das ist ein Irrweg. Allein die demografische Entwicklung lässt erwarten, dass eine anfangs breitere Finanzgrundlage der Bürgerversicherung nur eine kurze Atempause geben würde. Nach der Reform ist vor der Reform. Dann stünde die Reduzierung auf eine Grundversorgung erneut auf der Tagesordnung. Bei dieser Perspektive wird sich in einer „Bürgerversicherung” kein vernünftiger Qualitäts- und Leistungswettbewerb zu Gunsten der Patienten entwickeln. Eher geht der Trend zur Einheitsversicherung als Vorstufe eines „Nationalen Gesundheitsdienstes“ englischer Art. Der Beitrag wird zur Gesundheitssteuer, weil eine konkrete Gegenleistung für den Einzelnen kaum noch erkennbar ist. Bei schrumpfenden Einkommen wird andererseits der Spielraum für eine ergänzende private Vorsorge enger.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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