40 Milliarden Euro schweres Sparpaket
hat sein jüngstes Gutachten unters Volk gebracht. Die Gesundheitsweisen
wollen die GKV mit verschiedenen Sparvorschlägen um 40 Milliarden
Euro entlasten. So könnte der durchschnittliche Beitragssatz um bis zu vier
Prozentpunkte gesenkt werden. Bei den beteiligten Akteuren im Gesundheitswesen
traf das Gutachten auf ein unterschiedliches Echo.
Statt eines grundlegenden Systemwechsels befürworten die Sachverständigen eine schrittweise Struktur- Reform des Gesundheitswesens. Doch die vorgeschlagenen Einschnitte wären trotzdem tief: Kassenpatienten sollen in Zukunft Privatunfälle und Zahnersatz selbst absichern, auf Miet- und Zinserträge Beiträge zahlen und für jeden Arztbesuch eine Praxisgebühr entrichten. Zudem befürworten die Experten des Sachverständigenrats in ihrem Gutachten zur „Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität“ im Gesundheitswesen, die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten einzuschränken. Weitere Spar-Vorschläge sehen Einschnitte bei Fahrtkosten, ambulanten Vorsorgeleistungen in Kurund Badeorten, bei Massagen und Brillen sowie kieferorthopädischen Leistungen für Erwachsene und Jugendliche vor.
Auf 684 Seiten beschäftigt sich der Sachverständigenrat mit Möglichkeiten, das deutsche Gesundheitswesen – etwa durch integrierte Versorgung und Chroniker-Programme – effizienter zu gestalten, Verschiebebahnhöfe zu beenden und die Einnahmeseite der GKV zu stärken. Bei vollständiger Umsetzung des Sparpakets geht es um ein Entlastungsvolumen von 40 Milliarden Euro. Damit könnte der durchschnittliche Beitragssatz der Krankenkassen auf etwa 10,4 Prozent sinken. Könnte. Denn die Sparmaßnahmen sind in ihrer Gesamtheit umstritten und es ist fraglich, wie viele der Vorschläge auch wirklich in die Tat umgesetzt werden. So würden die Gesundheitsweisen beispielsweise gerne die Verschiebebahnhöfe der Vergangenheit beenden und versicherungsfremde Leistungen wie Sterbegeld, Empfängnisverhütung, Haushaltshilfe oder Krankengeld aus der GKV ausgliedern und durch Steuergelder finanzieren. Der Haken an der Sache: 15 Milliarden Euro zusätzliche Belastungen für den Finanzminister Hans Eichel. Und der beschäftigt sich gerade akut mit der Sorge, ob wenigstens in diesem Jahr die Neuverschuldung unter der drei Prozent- Marke bleibt und somit die Maastricht-Kriterien eingehalten würden.
Eigenlob von allen Seiten
Zwar kam zunächst viel Lob von den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen – doch das bezog sich jeweils nur auf die mögliche Umsetzung eigener Vorschläge. So begrüßte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, dass sich die Experten gegen einen generellen Systemwechsel ausgesprochen hatten. „Die solidarische Krankenversicherung hat sich bewährt. Ich stimme mit dem Sachverständigenrat darin überein, dass Reformschritte im Rahmen des bestehenden Systems der gesetzlichen Krankenversicherung vorzunehmen sind“, erklärte Schmidt. Sie sah sich in ihrer Ansicht bestärkt, vor allem durch adaptive Strukturreformen das Gesundheitswesen besser und kostengünstiger zu machen.
Doch die Leistungen für Zahnbehandlungen etwa – die der Sachverständigenrat gerne aus der GKV ausgliedern würde – will Schmidt bei den gesetzlichen Krankenkassen lassen: „Ich werde die Behandlungen nie aus dem Paket der Kassen herausnehmen.“ Das Gutachten hat für die private Absicherung des Zahnersatzes einen Spareffekt von 3,7 Milliarden Euro errechnet und eine schrittweise Ausgliederung der Leistungen vorgeschlagen. Die Spar-Vorschläge der Sachverständigen zur Finanzreform der GKV kommentierte Schmidt eher zurückhaltend und verwies auf die Rürup-Kommission, die ja den ausdrücklichen Auftrag habe, die finanzielle Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit der Sozialversicherungen neu zu konzeptionieren.
Unrealistische Vorschläge
Die CDU sieht das Gutachten mit gemischten Gefühlen. CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer begrüßte den „Grundansatz des Gutachtens mit der Ablehnung planwirtschaftlicher Ansätze und der Befürwortung von mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung“, hielt aber auf der anderen Seite eine Reihe der Vorschläge für unrealistisch oder fragwürdig. Die vom Rat vorgeschlagene Belastung der Steuerhaushalte sei auf absehbare Zeit nicht realisierbar, so Seehofer. Eine Praxisgebühr, die bei jedem Arztbesuch fällig wäre, lehnt er prinzipiell ab, ebenso die geplante Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlage auf Zins- und Mieteinkünfte.
Seehofer hält die Ausgliederung von Leistungsbereichen zwar für vernünftig, kritisiert aber gleichzeitig die im Gutachten dafür vorgesehene Auswahl von Freizeitunfällen aufgrund von Abgrenzungsproblemen. Der CSU-Gesundheitspolitiker macht allerdings auch keinerlei Angaben darüber, welche Bereiche sinnvoller zur Ausgliederung geeignet seien.
Die Kritik der Union betrifft durchaus die Kernbereiche des Gutachtens – eine Umsetzung des vollen Sparpakets scheint also utopisch. Ohne die Zustimmung der Opposition wird es zu keiner umfassenden Gesundheitsreform kommen. Was von den Vorschlägen der Sachverständigen übrig bleibt und inwieweit die GKV dann noch entlastet werden kann, hängt zu einem Großteil auch von den Vorstellungen der Union ab.
Gebremste Euphorie
Als ein weiterer Bremsklotz bei der Umsetzung des Sparpakets könnten sich die Gewerkschaften erweisen. Das Gutachten sei eine klare Absage an einen Systemwechsel, begrüßten DGB und Ver.di das Bekenntnis der Sachverständigen zu adaptiven Struktur- Reformen. Ver.di-Chef Frank Bsirske warnte jedoch gleichzeitig vor einem „Ausschlachten“ des Leistungskataloges. Für das Herauslösen zahnmedizinischer Leistungen etwa sehe Ver.di „null Spielraum“, so Bsirske. Und die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer lehnte das „geballte Streichpaket“ in Bausch und Bogen ab und kritisierte vor allem die Pläne zur Privatisierung der Unfallversicherung.
Lob kam dagegen von den Krankenkassen. Der AOK-Bundesverband lobte das Gutachten als eine „vernünftige Grundlage für eine sachliche Reformdiskussion“. Der AOK-Vorsitzende Hans-Jürgen Ahrens begrüßte, dass auf das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags und auf Kopfpauschalen statt der lohnbezogenen Beiträge verzichtet worden sei. Natürlich enthalte das Gutachten „manche Giftzähne für Krankenkassen, Patienten und Versicherte“, so Ahrens, aber das Gesundheitswesen müsse grundlegend reformiert werden, um den Anstieg der Beitragssätze zu stoppen. Dies sei ohne unpopuläre Maßnahmen nicht zu erreichen.
Besonders aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die Höhe der Kassen-Beitragssätze immens wichtig. Die Gesundheitsweisen betonen in ihrem Gutachten, dass es mit einer Senkung der Lohnnebenkosten gelingen könnte, relevante arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Impulse zu setzen.
Dementsprechend positiv ist auch die Reaktion der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Die Vorschläge seien „ein sinnvoller Beitrag zur Senkung der überhöhten Personalzusatzkosten“, heißt es aus dem Arbeitgeberlager. Eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten sei Voraussetzung für Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen und damit auch für die Stärkung der Finanzbasis der Sozialversicherung insgesamt.