Gastkommentar

Kopfpauschale unter dem Fallbeil

Der Bayerische Ministerpräsident hat sich von der Herzog-Kommission distanziert. Deren Argumente für eine „Kopfpauschale“ halt Edmund Stoiber nicht für populär. Den Bürgern fehlt der Glaube an einen sozialen Ausgleich.
Misstrauen gegen ein neues System ist aber kein gutes Argument für eine „Bürgerversicherung“.

Martin Eberspächer
Leiter der Abteilung Wirtschaft und Soziales des Bayerischen Rundfunks

Die Gesundheitsreform ist eine bittere Medizin mit zweifelhafter Wirkung. Denn die versprochene Reduzierung der Beitragssätze bei den gesetzlichen Krankenkassen auf einen Durchschnitt von 13,6 Prozent gilt als unrealistisch – obwohl die Kassen ihren Schuldenberg erst im Laufe der nächsten vier Jahre abbauen sollen. Seinem Ziel, die Sozialbeiträge insgesamt auf 40 Prozent zu senken, kommt Kanzler Schröder nur mühsam näher. Immerhin war es mutig, anstelle einer Beitragserhöhung in der Rentenversicherung 20 Millionen Rentner durch Nullrunde und höheren Abzug für die Pflegeversicherung zu belasten. Die Projekte im Reformherbst zeigen die Bereitschaft zu harten Einschnitten. Was weiterhin fehlt, ist eine Perspektive, die der langfristigen Herausforderung gerecht wird.   

Nur noch 40 Prozent der Bürger sehen heute ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit als ihre wichtigste Unterhaltsquelle. Vor zwölf Jahren lag der Anteil noch bei 45 Prozent. Ein Sozialsystem, das sich wesentlich aus Beiträgen vom Arbeitseinkommen finanziert, ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung ihren Unterhalt nicht durch Arbeit erwirtschaftet, dann lässt sich auch die Gesundheit nicht mehr aus „Lohnnebenkosten“ der arbeitenden Minderheit finanzieren. Insofern haben die Anhänger der „Kopfpauschale“ die Logik auf ihrer Seite. Viele Arbeitgeber haben sich über Jahrzehnte in Ehrenämtern bei AOK und Co. engagiert. Trotzdem kommen Spitzenorganisationen der Wirtschaft heute zum Ergebnis, dass eine Gesundheitsvorsorge für die breite Bevölkerung nicht mehr über steigende Arbeitgeberbeiträge finanziert werden kann. Lange vor der Herzog-Kommission hat sich in Bayern der Arbeitgeberpräsident Randolf Rodenstock für das Modell einer Kopfpauschale eingesetzt.  

Den Ministerpräsidenten konnten die Intellektuellen Roman Herzog und Randolf Rodenstock aber bisher nicht überzeugen. Nach dem herausragenden Ergebnis der Landtagswahl bevorzugt Stoiber Rezepte von Horst Seehofer, die Wähler eher über den Bauch ansprechen. „Bewährtes“ soll weiterentwickelt werden, heißt es dann. 

Bei Lebkuchen und Glühwein wärmen sich die Christlich Sozialen vor Weihnachten in katholischen Pfarrhäusern an der Perspektive einer solidarischen „Bürgerversicherung“. Dagegen wird die evangelische Pfarrerstochter Angela Merkel mit rationalen Sachargumenten nicht ankommen. Selbst die eiserne Margret Thatcher hat den maroden „Nationalen Gesundheitsdienst“ in ihrem Land nie ernsthaft in Frage gestellt. Wenn sich die Stimmung nach dem Parteitag der CDU und bei der Klausur in Wildbad Kreuth nicht ändert, droht der Kopfpauschale am Aschermittwoch in Passau das Fallbeil.  

Die Sekretärin soll nicht die gleiche Versicherungsprämie bezahlen wie ihr Chef – heißt es –, bei Bedarf aber gleich gute Leistungen erhalten. Zweifelsohne muss ein modernes Gesundheitswesen sozial finanziert werden. Doch taugen dazu noch die alten Krücken „Familienversicherung“ und der vom Gesundheitsminister Seehofer geschaffene „Risikostrukturausgleich“? Wer einen individuell gerechten und ökonomisch vernünftigen Ausgleich will, der sollte besser die Finanzämter einschalten.  

Beim Wechsel zu einer Kopfpauschale müssten die Arbeitgeber ihre derzeitigen Beitragsanteile auf den Bruttolohn aufschlagen. Weil der Arbeitgeberanteil als Betriebsausgabe bisher steuerfrei ist, wird diese Erhöhung der Bruttogehälter den Finanzämtern pro Jahr etwa 18 Milliarden Euro an Mehreinnahmen bei der Lohnsteuer in die Kassen spülen. Das wäre eine finanzielle Grundlage für den sozialen Ausgleich.  

Doch was könnte passieren, wenn deutsche Finanzminister in Bund und Ländern diese Milliarden mehr einnehmen? Angesichts der maroden Haushalte fehlt der Glaube, dass die Mittel für einen sozialen Ausgleich verwendet werden. Traurige Erfahrungen sprechen dafür, dass Mehreinnahmen auf undurchschaubaren Verschiebebahnhöfen verschwinden. So gesehen ist Misstrauen der Bürger gegen einen Systemwechsel verständlich. Es ist aber kein Argument für das Modell Bürgerversicherung!

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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