Die Tauglichkeit im Alltag bleibt völlig offen
Anfang Dezember sorgte eine Nachricht aus Luxemburg für Schlagzeilen: Der europäische Gerichtshof hatte geurteilt, dass Deutschland den Internet-Versandhandel mit rezeptfreien Medikamenten künftig zulassen muss. Ein nationales Verbot des Internethandels mit Medikamenten, die in Deutschland zugelassen und nicht verschreibungspflichtig sind, verstößt gegen EU-Recht. Hintergrund war eine Klage des Deutschen Apothekerverbandes gegen die von den Niederlanden aus arbeitende Internetapotheke Doc- Morris. Das Gericht sah das bis dahin noch bestehende deutsche Verbot des Arzneimittelversandes von verschreibungspflichtigen Arzneien als mit europäischem Recht vereinbar an. Beide Streitparteien begrüßten das Urteil.
Doch das galt für den damaligen Status quo. Ab 1. Januar 2004 ist mit dem GKV-Modernisierungsgesetz ohnehin alles anders geworden. Der Versandhandel mit Medikamenten – egal ob rezeptfrei oder nicht – ist jetzt generell möglich, und die deutschen Gesetzgeber haben damit sozusagen die EuGHRechtsprechung bereits überholt.
Zustimmung brach nach Bekanntgabe des Richterspruchs beim Bundessozialministerium aus: „Das Urteil ist ein voller Erfolg für die Bundesregierung und die Gesundheitsreform“, hieß es in einer Pressemeldung. „Der Gerichtshof unterstreicht die Bedeutung von Verbaucherschutz und Sicherheitsstandards beim Versand von Arzneimitteln. Dem ist mit der Gesundheitsreform Rechnung getragen.“ Das Ministerium wies darauf hin, dass mit der neuen Gesetzgebung den Anliegen von Verbrauchern wie chronisch Kranken, immobilen und älteren Bürgern oder auch Berufstätigen Rechnung getragen werde. Der Versandhandel darf – so will es das Gesetz – wegen der besonderen Anforderungen hinsichtlich der Arzneimittelsicherheit, des Verbraucherschutzes und der Versorgungssicherheit nur von Apotheken betrieben werden.
Der Verbraucherschutz soll durch einen geregelten, kontrollierten und überwachten Versandhandel geschützt werden. Nach Deutschland dürfen nur Arzneimittel versendet werden, die auch in Deutschland vertrieben werden dürfen. Sie müssen den von einer deutschen Apotheke abgegebenen Arzneimitteln entsprechen und beispielsweise die Packungsbeilage in deutscher Sprache enthalten.
Ökonomisch uninteressant
Von der Liberalisierung des Arzneimittelmarktes verspricht sich die deutsche Politik eine Senkung der Arzneimittelpreise. Die Apotheker erwarten keine wirtschaftlichen Auswirkungen des Versandes auf ihr Geschäft. Das sei ökonomisch uninteressant, erklärte Hermann S. Keller, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes, denn ab 2004 gebe es für teure und preiswerte Medikamente die gleichen Honorare: „Die apothekerliche Leistung wird ab 2004 durch Festzuschläge honoriert. Dadurch werden hochpreisige Arzneimittel deutlich billiger, die bisherige Rosinenpickerei des Versandhandels wird verhindert.“ In Bezug auf Qualität und Service seien die öffentlichen Apotheken ohnehin unschlagbar, zumal sie ab Januar flächendeckend einen Homeservice anbieten dürften. Arzneimittel könnten dann in der wohnortnahen Apotheke bestellt und durch dortiges Personal meist noch am gleichen Tag zugestellt werden. Die Praxistauglichkeit des Internet-Versandhandels muss also erst einmal unter Beweis gestellt werden. Ob dies gegenüber dem herkömmlichen Direktbezug über die Apotheke Vorteile (auch preislicher Art) hat, wird schließlich der Verbraucher entscheiden müssen. Es geht damit los, dass der Patient sein Original-Rezept per Post an die Internet-Versandapotheke schicken muss, um dann wiederum das Medikament zugesandt zu bekommen. Bis dahin ist oftmals schon eine Woche vergangen – der Patient muss also lange auf seine Lieferung warten. Laut Auskunft der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ABDA habe es auch Fälle gegeben, bei denen die Wartezeit etwa zwei Monate betragen habe.
Kritisch geht die Deutsche Apotheker Zeitung (DAZ, 4.12.2003, Seite 70 ff) mit den neuen Gegebenheiten um. Mit der Freigabe des Versandhandels greife das GKV-Modernisierungsgesetz tief in das geltende Arzneimittel- und Apothekenrecht ein. Vor allem in arzneimittel- und apothekenrechtlicher Hinsicht stünden noch viele Fragen offen.
ABDA-Geschäftsführer Lutz Tisch erklärt dazu: „Insbesondere gelten auch für den Versandhandel die staatlich vorgeschriebenen Apothekenabgabepreise sowie Zuzahlungsregelungen. Risiken, die sich aus Fehlern des eingeschalteten Logistikunternehmens beim Transport des Arzneimittels und seiner Zustellung ergeben können, nimmt der Gesetzgeber in Kauf. Theoretisch müssen Apotheken aus Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die ebenfalls grenzüberschreitend Arzneimittel an deutsche Endverbraucher versenden dürfen, den gleichen Anforderungen genügen, wie deutsche Apotheken, die Versandhandel betreiben.“ Die Apotheker zweifeln allerdings an der effizienten Durchsetzung dieser gesetzgeberischen Vorgaben gegenüber ausländischen Apotheken. Sie betonen, dass die sicherste Abgabe von Arzneimitteln in der Apotheke durch fachkundiges Personal stattfinde.
Die Hauptsorge der Apotheker, so die ABDA, gelte aber den möglichen strukturellen Folgen. Während in Deutschland das Prinzip der persönlichen Verantwortung und Haftung des Apothekers greife, könnten in anderen europäischen Mitgliedstaaten auch Kapitalgesellschaften Apotheken führen. Sollte dies zum Anlass genommen werden, in Deutschland vergleichbare Möglichkeiten zu fordern, würden sich Apothekenketten am Markt etablieren. Diese würden aber nicht nur eine Konzentration von Apotheken-Standorten nach sich ziehen. Aufgrund von Kapitalverflechtungen wäre nicht auszuschließen, dass wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund apothekerlicher Tätigkeit gerückt würden und damit die Unabhängigkeit der pharmazeutischen Beratung Schaden nehme. Es liege daher auch im originären Interesse der Patienten, dass diese Strukturveränderungen verhindert werden.