Beitragssenkung auf Pump
Dr. Dorothea Siems
Wirtschaftskorrespondentin im Parlamentsbüro der Welt, Berlin
Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen des alten Jahres massiven Druck auf die gesetzlichen Krankenversicherer ausgeübt, ihre Beiträge deutlich zu senken. „Die größte Senkungsaktion in der Kassengeschichte“, kündigte Sozialministerin Ulla Schmidt als Folge der von Union und Regierung ausgehandelten Gesundheitsreform vollmundig an. Da die Patienten und Versicherten mit höheren Zuzahlungen, der neuen Praxisgebühr sowie anderen Leistungseinschnitten erheblich belastet werden, braucht die Regierung Erfolgsmeldungen von der Beitragsfront, um den Unmut in der Bevölkerung über das Maßnahmenpaket zu dämpfen. Frau Schmidt verweist darauf, dass die Reform die Kassen schon 2004 um zehn Milliarden Euro entlaste. Diese Einsparsumme müssen die Versicherungen, so verlangt es der Gesetzgeber, zu gut zwei Dritteln an die Beitragszahler weitergeben. Nach den ursprünglichen Berechnungen des Ministeriums hätte sich eine Beitragssenkung von 14,3 auf 13,6 Prozent ergeben. Doch mittlerweile ist klar, dass diese Zielmarke weit verfehlt wird.
Zwar haben zahlreiche Kassen ihre Beitragssätze zum Jahreswechsel medienwirksam gesenkt. Doch die meisten der Großkassen begnügten sich mit einem kleinen Schritt. Manche AOK oder Ersatzkasse hat gar keinen Spielraum zur Absenkung oder will zunächst die Finanzentwicklung im ersten Quartal abwarten. Damit beweisen viele Kassenchefs mehr Verantwortungsbewusstsein für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als die Bundesregierung. Denn in der Tat gibt es für die Kassen eine Menge Risiken sowohl auf der Einnahmenals auch auf der Ausgabenseite. So basieren alle Annahmen über die Finanzentwicklung darauf, dass im kommenden Jahr der lang ersehnte Konjunkturaufschwung tatsächlich kommt und sich auch auf dem Arbeitsmarkt niederschlägt. Nicht einkalkuliert ist zudem, dass die neuen Versorgungsprogramme für chronisch Kranke, die so genannten Disease-Management-Programme, Milliardensummen an zusätzlichen Verwaltungsausgaben verursachen. Auf tönernen Füßen stehen darüber hinaus die optimistischen Prognosen über die Auswirkungen der Neuregelungen im Arzneimittelsektor.
Der wichtigste Grund aber, warum die Rechnung der Ministerin nicht aufgeht und die Beiträge auch im Laufe des Jahres wohl weiterhin nicht spürbar unter 14 Prozent sinken werden, liegt in dem gigantischen Schuldenberg, den die Kassen mittlerweile aufgetürmt haben. Hätten im vergangenen Jahr noch die Regeln solider Haushaltsführung gegolten, die es in der Vergangenheit den gesetzlichen Krankenversicherern untersagten, längerfristige Kredite aufzunehmen, hätte der Beitragssatz damals bereits bei 15 Prozent gelegen.
Zu den sieben bis acht Milliarden Euro an Schulden kommt überdies noch das Finanzloch von rund drei Milliarden Euro, das vergangenes Jahr in der Gesetzlichen Krankenversicherung klaffte. Die Kassenmanager haben somit Recht, wenn sie sagen, dass, sauber gerechnet, überhaupt kein Spielraum für Beitragssenkungen vorhanden sei. Doch der Gesetzgeber hat sich einen Trick einfallen lassen, um das Unmögliche möglich zu machen: Die Kassen sollen die Tilgung der Kredite über vier Jahre strecken. Man muss kein Banker sein, um zu sehen, dass dadurch die Last des Schuldendienstes schwerer wird.
Im Klartext: Die Beitragszahler müssen auf lange Sicht für die kurzsichtige Gesundheitspolitik teuer bezahlen. Noch schwerer wiegt, dass in der Gesetzlichen Krankenversicherung, die angesichts der Überalterung der Gesellschaft in den kommenden Jahren ohnehin in ein gefährliches Fahrwasser gerät, das Schulden machen hoffähig wird. Die Probleme auf diese Weise in die Zukunft zu verschieben, ist das Gegenteil einer nachhaltigen Gesundheitspolitik.
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