Im Umbruch liegt die Zukunft
Die Frankfurter Paulskirche, Sinnbild liberaler und demokratischer Bestrebungen in Deutschland, war mit Bedacht als Veranstaltungsort zum Auftakt des Deutschen Zahnärztetages 2004 gewählt worden. „Der Geist der Paulskirche soll unsere Politik, unser demokratisches Gemeinwesen, aber auch uns selbst immer daran erinnern, dass Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern immer wieder erkämpft werden müssen“, erklärte der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, zur Eröffnung mit Bezug auf die Ziele der ersten frei gewählten Nationalversammlung von 1848.
Im Mittelpunkt der würdevollen und von rund 600 Gästen aus Politik, Standespolitik und Wissenschaft besuchten Zentralveranstaltung stand die Rede des hessischen Ministerpräsidenten Dr. Roland Koch (CDU), der eine brillante und schonungslose Analyse des deutschen Gesundheitswesens gab. Er forderte einen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen. Als wichtig erachtete er, dass es darin weiterhin „selbstständige Ärzte als Unternehmer“ gebe. Dabei verlangte er, dass auch die Ärzteschaft sich einem größeren Wettbewerb stellen sollte – eine Aussage, zu der für Koch überraschend auch das Auditorium Zustimmung signalisierte.
Offen erörterte der Ministerpräsident die Frage einer bestehenden Zwei-Klassen-Medizin und forderte mehr Risikobereitschaft: „Wer kein Risiko zumutet, schafft ein unsoziales System.“ Das Element der Sicherheit werde derzeit überbetont, während der Wettbewerb darunter nicht mehr stattfinde. „Wir sind an einem Scheideweg“, erklärte er. „Es ist schwer, die Gesellschaft umzudrehen.“ In Bezug auf die Prämienlösung, die Gegenstand des (mittlerweile abgeschlossenen) Gesundheitsstreits zwischen CDU und CSU war, sprach sich Koch für die Abkopplung der Gesundheitsfinanzierung vom Arbeitslohn aus. Reserven sah Koch im Wirtschaftsfaktor des Gesundheitswesens: „Im deutschen Gesundheitswesen sind 100 000 Jobs zu wenig, nicht zu viel.“ Der Gesundheitsmarkt sei zwar einer der schwierigsten, enthalte aber bei entsprechend geänderten Rahmenbedingungen erhebliches Entwicklungspotential. Zum Abschluss seines Vortrags prognostizierte er, es gebe eine Chance, die Systeme zu ändern, dazu bedürfe es auch selbstbewusster Standesorganisationen. Sein Appell an die Zahnärzteschaft: „Sorgen Sie dafür, dass die Selbstorganisation leistungsfähig bleibt.“
Unabhängigkeit
Wie ein roter Faden zog sich der Gedanke von Liberalität, Freiheit und Demokratie, den Dr. Dr. Jürgen Weitkamp aufgenommen hatte, durch die gesamte Veranstaltung: „Unser Beruf ist ein Freier Beruf“, sagte der BZÄK-Präsident. „Das bedeutet: eigene fachliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Das bedeutet aber auch die Verantwortung, das eigene Können und Wissen, die eigene Kreativität dem Patienten zunutze zu machen, ja Sachwalter seiner Gesundheit zu sein.“ Mit Selbstbewusstsein müsse der Zahnarzt seine Professionalität und seine Rolle als Arzt leben.
Weitkamp sprach sich dafür aus, die Wissenschaftlichkeit zu bewahren und weiterzuentwickeln und die Verpflichtung zur Fortbildung eigenverantwortlich in die Hände zu nehmen. Im Mittelpunkt der zahnärztlichen Tätigkeit stehe die Prävention. Hinzu käme der veränderte Stellenwert der ZahnMedizin innerhalb der Medizin.
Bestrebungen, die freiberufliche Selbstverwaltung als verstaubten Korporatismus abzutun, erteilte Weitkamp eine klare Absage. Zahnärztekammern seien „hoch aktuell als gelebte Subsidiarität und Deregulierung“, und: „Viele sehen in der deutschen Tradition selbstverwalteter Kammern ein Modell für Europa“.
Hart ins Gebet ging der BZÄK-Präsident mit Vergewerblichungstendenzen: „Die Ausübung der Zahnheilkunde ist kein Gewerbe. Für uns bleibt das Modell der Zukunft der Freiberufler, dem der Patient vertraut, und nicht die ‘Firma’“, sagte er unter lautem Beifall. Auch den zunehmenden Einfluss ökonomischer und politischer Vorgaben prangerte Weitkamp an und unterstrich die Notwendigkeit, die Angelegenheiten des Berufsstandes selbst in die Hand zu nehmen: „Wer waltet, gestaltet.“, sagte er und forderte die Einführung von mehr Eigenverantwortung und autonomer Patientenentscheidung.
Am Fortschritt teilnehmen
Prof. Dr. Georg Meyer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, plädierte für neue Wege des sozialen Miteinanders. Das gelte auch für die Zahnmedizin, betonte er und erklärte: „Der Patient muss am wissenschaftlichen Fortschritt der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde teilnehmen. Dafür werden wir uns weiter einsetzen.“
Meyer gab einen Rückblick über die Geschichte der wissenschaftlichen Fachgesellschaft. Die DGZMK sei 1859 als „Centralverein Deutscher Zahnärzte” gegründet worden. Ihr gehörten heute rund 13 000 Zahnärzte und Naturwissenschaftler aus der ganzen Bundesrepublik an. Er begrüßte den Entschluss der zahnärztlichen standespolitischen und wissenschaftlichen Dachorganisationen, den Deutschen Zahnärztetag als jährliche feststehende Institution gemeinsam auszubauen und dankte den Initiatoren, BZÄK-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, dem amtierenden KZBV-Vorsitzenden Dr. Jürgen Fedderwitz, dem ehemaligen DGZMK-Präsidenten Dr. Heiner Weber und dem hessischen Kammerpräsidenten Dr. Michael Frank, für deren Engagement. „Dies ist der Beginn einer erfolgreichen Tradition.“
Gründliche Veränderungen
Mehr Mut zum Wechsel forderte der amtierende KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz: „Doch woher soll er kommen, wenn das Land in Lethargie versunken ist? Nur durch grundlegende Veränderungen können wir auch wirklich verändern“, unterstrich er. Bevor ein nachhaltiger Reformprozess greift, müssten Fedderwitz zufolge zunächst viele Fragen geklärt werden. Dazu gehörten unter anderem die Problembereiche Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie oder das Verhältnis von GKV und PKV. Fedderwitz forderte, den Patienten mit seinen Bedürfnissen in den Vordergrund zu stellen, mehr Wettbewerb als Steuerungsinstrument zuzulassen und mehr Eigenverantwortung einzuführen.
Jenseits aller derzeitigen Reformdiskussionen in der Politik sei die Zahnärzteschaft mit ihren Konzepten bereits auf gutem Wege. Fedderwitz sprach sich dafür aus, das Festzuschusssystem auszubauen, das Leistungsgeschehen auszuweiten und den Patienten mit einzubinden. Mit Stolz wies er darauf hin, dass das ab 1. Januar 2005 greifende Festzuschusssystem von den noch bestehenden Strukturen der ehrenamtlich tätigen Zahnärzte initiiert und zur Umsetzung vorbereitet wurde: „Das war der erste wichtige Schritt, um den Reformstau im deutschen Gesundheitswesen abzubauen.“ Er sei sich sicher, dass dieses Modell große Chancen auf Erfolg haben und auf andere Leistungsbereiche abstrahlen werde. Die Vertragszahnärzteschaft sei sich der hohen Verantwortung bewusst, die das Festzuschussmodell biete. „Ich appelliere an die Kollegen, mit dem neuen System sorgsam umzugehen, damit ein hoffnungsvoller Keim nicht droht, zu ersticken.“
Neuer Typus des Patienten
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die wegen einer wichtigen Abstimmung im Bundestag nicht teilnehmen konnte, ließ ihre Grüße durch Staatssekretär Dr. Klaus- Theo Schröder überbringen. Schröder verwies im Zusammenhang mit den Reformdiskussionen auf tiefgreifende Veränderungen, die in der Versorgung der Bevölkerung zu erwarten seien und rückte den Patienten in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Vor allem hinsichtlich der Demografie und des Alterungsprozesses stehe die Politik vor neuen Herausforderungen: „Wir müssen uns einstellen auf einen anderen Typus von Patienten.“ Auch auf europäischer Ebene seien neue Rahmenbedingungen zu erwarten und hier gelte es, den Ansprüchen der Patienten gerecht zu werden.
Schröder ging auf die Reformmaßnahmen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes ein. Qualitätssicherung, die Stabilisierung der GKV-Finanzierung und neue Versorgungsformen stellten den Keim der Reform dar. Es sei richtig gewesen, im Bereich Zahnersatz das Festzuschussystem eingeführt zu haben. Der Staatssekretär zeigte sich sicher, dass man hier im Sinne der Patienten der Aufgaben gerecht würde und appellierte an die Zahnärzte: „Sie tragen eine große Verantwortung.“ Was die aktuelle Diskussion um die Novellierung der GOZ betreffe, erhoffe er sich, dass alle Beteiligten gemeinsam „mit ins Boot“ genommen werden können.
Tags zuvor, so berichtete Schröder, seien im Bundestag die Vorstellungen des BZÄK-Präsidenten Weitkamp zum Transfusionsgesetz zu 100 Prozent umgesetzt worden. Weitkamp hatte hier für einen eigenständigen Part der Zahnmedizin gekämpft.
Schulterschluss
Am Vortag hatte eine sehr gut besuchte gemeinsame Pressekonferenz von BZÄK, KZBV und DGZMK stattgefunden. Dort bekräftigten die Spitzen der Organisation, Weitkamp, Fedderwitz und Prof. Meyer, den engen Schulterschluss zwischen Standespolitik und Wissenschaft, der sich in der Veranstaltung des Deutschen Zahnärztetages manifestiert.
Ehrenzeichen in Gold für drei verdienstvolle Kollegen
„Ehrungen, das ist, wenn die Gerechtigkeit ihren liebenswürdigen Tag hat“: BZÄKPräsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp zeichnete in würdevollem Rahmen anlässlich des Festaktes in der Paulskirche drei Kollegen für ihre vielfältigen Verdienste um den Berufsstand mit dem Ehrenzeichen in Gold der Deutschen Zahnärzteschaft aus.