Nachdenken statt Chaos
Thomas Grünert
Chefredakteur Vincentz Network Berlin
Politik sollte im Grundsatz dazu angelegt sein, Chaos zu ordnen. Der gegenwärtigen Gesundheitspolitik kann man nur das Gegenteil bestätigen. Fast in monatlichem Turnus werden neue Modelle zur Krankenversicherung ins Gespräch gebracht, um von den Parteien gegeneinander wie auch fraktionsintern gleich wieder zerpflückt zu werden. Nach Arbeitskreisen und externen Experten wird nun offenbar wieder in kleinstem Kreis diskutiert. Grund: Die Basis wird unruhig und die Parteispitzen fürchten inzwischen offenbar ihre eigenen Spezialisten. Während SPD-Abgeordnete inzwischen ungehemmt gegen die Bürgerversicherung argumentieren, handelten CDU und CSU ihr Geplänkel um eine einheitliche Linie lieber gleich von Vorsitzender zu Vorsitzendem aus. Ein Reformmodell, das seinen Namen verdient, stand dabei nicht zur Debatte. Angesagt war eine parteipolitische Notbremsung. Unberechenbarkeit und Konzeptionslosigkeit haben die Union ins Stimmentief katapultiert. Die leichte Erholung der Union durch des Kanzlers 3.-Oktober-Flop kann darüber nicht hinwegtäuschen.
Dabei waren trotz aller Unzulänglichkeiten der jüngsten Gesundheitsreform einige Weichen richtig gestellt. Die Ausgliederung des Zahnersatzes aus der GKV-Leistung war ein guter Ansatz. Die Chance wurde verpasst, zerrieben zwischen Wahlkampftaktik auf der einen Seite und fehlender Strategie auf der anderen. Dass der Zahnersatz jetzt gesetzlich versichert bleibt, von den Versicherten jedoch durch Prämienerhöhung zusätzlich bezahlt werden muss, ist eine dreiste Entmündigung des Patienten. Wie ein Großteil der Versicherten entschieden hätte, zeigt deutlich die Zahl der bereits abgeschlossenen privaten Zahnersatzpolicen. Rund 500 000 Versicherte waren bereit, für zusätzliche Leistungen und die Teilhabe an medizinischen Innovationen auch mehr zu investieren als eine GKVGrundabsicherung. Dass die durch die Kosten für Zahnersatz und Krankengeld ab 1. Juli 2005 anfallende Erhöhung des Krankenkassenbeitrags um 0,9 Prozentpunkte im Wesentlichen durch eine gleichzeitige Senkung der Kassenbeiträge aufgefangen wird, kann selbst Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nicht ernsthaft erwarten. Experten sagen zudem den Kassen höhere Ausgaben voraus (Arzneimittelkosten, mehr Arztbesuche und dergleichen mehr). Die Kassen zu drängen, ihre Schulden langsamer zu tilgen, um die politisch gewünschten niedrigeren Beiträge zu erreichen, wäre keine Alternative. Es wäre ein fataler Fehler und ein klarer Rechtsbruch. Es ist schon merkwürdig, dass der Zwang zu Sparen bei Politikern verschiedener Couleur zurzeit Mechanismen auslöst, unsere eigentlich vorbildliche Gesundheitsversorgung auf eine rein ökonomische Basis herunter zu deklinieren. An anderer Stelle viel beschworene Innovationen werden dadurch blockiert. Statt Lösungen zu finden, tummelt man sich lieber an Nebenkriegsschauplätzen wie dem Präventionsgesetz oder den Regelungen zur Gesundheitskarte. Hier kann es gar nicht schnell genug gehen, so dass das Ministerium gerne schon mal mit Ersatzvornahme droht, wenn die Selbstverwaltung aus nachvollziehbaren Gründen nicht gleich mitspielen will.
Dass vernünftige Ansätze zu viel versprechenden Lösungen führen können, wird dagegen viel zu wenig beachtet. Die Festzuschüsse im Prothetikbereich, die ab Januar gelten, sind so ein Ansatz. Wenn endlich erkannt würde, dass das heutige Sachleistungsprinzip innerhalb der gesetzlichen Krankenkasse zu einem ökonomischen Hemmschuh für eine moderne Gesundheitsversorgung wird, dürfte auch die Lösung wichtiger Strukturfragen näher rücken. Garantierte Festzuschüsse sichern eine gute Grundversorgung und die Teilhabe an modernen Therapien. Außerdem erleichtern Festzuschüsse es Patienten, sich auf freiwilliger Basis für innovative Behandlungsmethoden zu entscheiden, die noch nicht GKVLeistung sind.
Egal, wie die Diskussion um Bürgerversicherung, Kopfpauschale oder Gesundheitsprämie weiter geht: Langfristig bietet sich nichts mehr an, als die komplette Zahnbehandlung von der gesetzlichen Versicherung zu lösen. Dass dieses auch ökonomisch sinnvoll ist, haben viele Experten immer wieder vorgerechnet. Und wenn die Politiker die ökonomischen Probleme der Gesundheitsversorgung in den Griff bekommen wollen, sollten Sie gefälligst auch darüber neu nachdenken.