Mehr Wettbewerb - weniger Regulierung
Wenn im Gesundheitswesen alles beim Alten bleiben sollte, geraten die Bürger ins Hintertreffen, meint die neue Studie des Versicherungskonzerns Allianz und seiner Tochter Dresdner Bank („Gesundheitsmarkt – ein Wachstumsmotor?“), die vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Zum einen finanzieren sie weiterhin ein Gesundheitssystem, das gemessen an seinen Leistungen überteuert ist, zum anderen fällt der Standort Deutschland mit allen negativen Konsequenzen für die Bürger zurück, weil das Wachstumspotential des Gesundheitsmarktes künstlich eingeschränkt bleibt.
Die demografische Entwicklung, nach der immer mehr Menschen immer älter werden, impliziert, dass das Wachstumspotential vieler Gesundheitsbereiche beträchtlich ist. Aber ob tatsächlich Wachstums- und Beschäftigungsimpulse eintreten, hängt im Wesentlichen davon ab, wie weit die Politik bereit ist, die Strukturen des Gesundheitssystems zukunftsfähig zu machen, heißt es bei der Allianz-Group. Das Gesundheitssystem stecke in einer Demografiefalle. Der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung werde von heute 18 Prozent bis 2050 auf 30 Prozent ansteigen, im Jahre 2020 werde er 22 Prozent betragen. Das verstärke einerseits das Einnahmenproblem der gesetzlichen Krankenversicherung, andererseits führe der Alterungsprozess der Gesellschaft zu höheren Ausgaben. Hochrechnungen zufolge werde infolge der Bevölkerungsalterung der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2050 um 25 Prozent höher liegen als im Jahr 2000. „Die bereits heute gern angeführte Kostenexplosion liegt daher noch vor uns“, heißt es in dem Gutachten.
Veränderungen bei den Gesundheitsleistungen, nicht nur die politisch jetzt stark im Brennpunkt stehenden Fragen der Finanzierung, werden langfristig zu diskutieren sein. Umstellungen werden aber, so die Experten, nicht in allen Bereichen zu Wachstum und Mehrbeschäftigung führen, da Deutschland im internationalen Vergleich noch über erhebliche Effizienzreserven im Gesundheitssystem verfüge.
Laut der Allianz-Group können folgende Änderungen auf die einzelnen Gesundheitssegmente zukommen:
•Konsolidierung im Krankenhaussektor:Die Einführung von Fallpauschalen wird die Konsolidierung im stationären Bereich beschleunigen, mit der Folge von weiterem Bettenabbau und Schließungen. Die Beschäftigung im medizinischen Bereich bleibt stabil, die in der Krankenhausverwaltung wird voraussichtlich abnehmen. Im Pflegedienst und bei der ambulanten Krankenversorgung sind die Wachstumsaussichten rosiger.
•Mehr Beschäftigung im Pflegebereich:Bei der personalintensiven Pflege sind bedeutende Beschäftigungseffekte möglich. Wenn die Rahmenbedingungen richtig gesetzt sind, könnten 35 Prozent mehr Pflegebedürftige im Jahr 2020 für ein Beschäftigungsplus von 30 Prozent sorgen. Dazu müsste die Pflegeversicherung dynamisiert werden.
•Vernetzung ambulanter Versorgung:Die Bedeutung vernetzter medizinischer Betreuung wird zunehmen. Bieten Kliniken ihre Dienstleistungen ambulant an und treten sie damit in den Wettbewerb mit niedergelassenen Ärzten, so werden sich deren Marktchancen verschlechtern.
•Steigende Nachfrage nach Medikamenten:Die gesellschaftliche Alterung wird die Nachfrage nach Arzneien bis zum Jahr 2020 um 25 Prozent steigern.
•Gedämpftes Wachstum im Pharmahandel:Das deutsche Pharmavertriebsnetz ist hoch. Nimmt beispielsweise der Internethandel zu, dürfte es zu Kapazitätsanpassungen und einer Einpendelung der Medikamentenpreise auf ein internationales Niveau kommen. Das schränkt Wachstumsaussichten im Pharmahandel und Apothekerwesen ein.
•Expansion in der Medizintechnik:Mit jährlichen Wachstumsraten von rund fünf Prozent gehört dieser Bereich zu den dynamischsten Branchen Deutschlands.
Wenn Deutschland die großen Wachstumschancen, die sich im Gesundheitssektor auftun, nutzen wolle, müsse die Politik schnellstmöglich Wettbewerb und Transparenz herstellen, heißt es bei der Allianz. Leistungserbringer, Krankenkassen und Versicherungsunternehmen sollten konkurrieren. Der Kunde und die Dienstleister müssten ihre Vertragspartner frei wählen können. Dann erhöhe sich auch Effizienz und Qualität des Gesundheitssystems.
Änderungsbedarf besteht laut Meinung der Experten bei den Fallpauschalen, aber auch bei Disease-Management-Programmen oder der Aufhebung des Vertragsmonopols der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Allianz-Studie fordert, die Krankenhausfinanzierung neu zu regeln und regt eine stärkere Integration ambulanter und stationärer Versorgung an. Der Arzneimittelmarkt müsse liberalisiert, die Anreizstrukturen für den Bürger geändert werden. Und: „Die beste Versicherung gegen demografisch bedingte Ausgabensteigerung ist ein stärkeres Gewicht der Kapitaldeckung“. pr/pm