Montags in Deutschland
Klaus Heinemann
Freier Journalist
Abgesehen von der Geschmacklosigkeit, den Protest gegen Einschnitte in liebgewonnene soziale Transferleistungen mit dem Begriff „Montagsdemonstration“ zu belegen, zeigen die Vorgänge um „Hartz IV“ erschreckende Parallelen zu vorausgegangenen Fehlern der Bundesregierung. Diese Fehler sind sowohl handwerklicher wie auch vermittlungspsychologischer Art. Nahezu keines der Gesetzesvorhaben seit dem Regierungswechsel 1998, das nicht im Anschluss lediglich Chaos und Verwirrung zeitigte. Ob die Gesundheitsreform von Andrea Fischer, ob Mini-Jobs, Dosenpfand oder CO2-Reduzierung, ob Atomausstieg, Riester-Rente oder Gesundheitsreform von Ulla Schmidt – stets blieben zentrale Fragen offen, begann anschließend entweder die mühsame Schadensbegrenzung, oder es hieß: Augen zu und durch!
Das alles hat zu einer dramatischen Erosion jener Vertrauensgrundlage geführt, die für ein Auskommen zwischen Regierung und Bevölkerung unerlässlich ist. Den handelnden Akteuren in Berlin wird schlichtweg nicht mehr geglaubt. Was soll der Bürger auch glauben, macht sich doch kaum jemand die Mühe, Sinn und Zweck, Richtung und Ziel von Politik zu erklären. Er empfindet die einzelnen Gesetzesvorhaben als willkürliche Bruchstücke, als einseitige Zumutungen und erkennt kein dahinter verborgenes Gesamtkonzept. Angesichts der ausgeprägt opportunistischen Hip-Hop-Politik des Kanzlers wird die Vermutung, dass ein in sich stimmiger Entwurf nicht existiert, mehr und mehr zur Gewissheit.
Die auffälligen Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern in der Reaktion auf diese Politik lassen interessante Schlussfolgerungen zu. Vor allem, wenn bedacht wird, wer die Initiatoren und Träger dieser Veranstaltungen sind: Gewerkschaften, PDS, linke Absplitterungen der Sozialdemokratie, die dubiose Attac-Bewegung und mehr. Wer in den alten Bundesländern die von den Gewerkschaften seit Jahrzehnten betriebene Tarifpolitik verfolgt hat weiß, dass sich hier die Brandstifter zu Biedermännern aufschwingen. Die Einkommens- und Arbeitszeitrunden dienten stets der Besitzstandsmehrung jener, die Arbeit hatten. Auch dann noch, als deren Zahl von Jahr zu Jahr dramatisch sank. Flexible, auf einzelne Betriebe zugeschnittene Lösungen wurden stets nur unter Druck und meist zu spät zugelassen.
Wie also sollen jene, die ihre Glaubwürdigkeit im Westen längst vor der Wende verspielt hatten, heute in Gelsenkirchen noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken? Und das, obwohl diese Menschen durch Arbeitslosigkeit genau so gebeutelt sind wie die Einwohner von Chemnitz? Macht sich folglich in den alten Ländern eine deutliche Desillusionierung mit hohem Frustpotenzial breit, so kommt in den neuen Ländern noch die tiefe Enttäuschung über die Aussichtslosigkeit der materiellen Aufholjagd hinzu. Außerdem war und ist die Gruppe jener Bürger, die als Langzeitarbeitslose gelten, in den Beitrittsländern besonders hoch. Entsprechend ausgebaut sind die Bemühungen der Arbeitsämter, hier mit ABM, Umschulung und Weiterbildung zu powern.
Wenn nun dieses Instrumentarium der Verwahrung in „Maßnahmen“ eingeschränkt wird, die Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der „Stütze“ sinkt, wenn man sich zugleich an der privaten Alters-Vorsorge vergreifen will, zu niedrige Freibeträge den Willen zur Arbeitsaufnahme – sofern Arbeit vorhanden ist – gänzlich knicken, dann hat die Politik nicht nur ein Vermittlungsproblem. Sie hat zugleich alle jene Scharfmacher und Menschenfischer vom linken und rechten Rand prächtig mit Argumenten munitioniert, die dem eigentlichen Anliegen in keiner Weise gerecht werden: Die Langzeitarbeitslosen in ihren Bemühungen zu fördern und sie zugleich zu fordern.
Sieht die Republik 2005 also anders aus? Die Antwort wird im Wesentlichen davon abhängen, wie sich die Montage in Deutschland inhaltlich entwickeln. Einfluss darauf nehmen können und müssen verantwortungsbewusste Politiker aller demokratischen Parteien.
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