Winterfortbildungskongress Braunlage 2004

Gipfelstürmer am Berg und in der Praxis

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Heftarchiv Gesellschaft
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Die Tagung war restlos ausgebucht: Mehr als 700 Zahnärzte und ihre Mitarbeiter reisten auf Einladung der Zahnärztekammer Niedersachsen vom 21. bis 24. Januar auf den tief verschneiten Harzer Brocken. Draußen trug der Lift die Skifans nach oben, drinnen nahmen Gäste und Referenten die drohenden Hürden in der Alterszahnheilkunde zu Fuß.

Schneeflocken tanzten vor den Fenstern, als Dr. Dr. Henning Borchers, Chef der Zahnärztekammer Niedersachsen, seine Gäste im Hotel Maritim begrüßte: In der Zahnmedizin spiele die Alterszahnheilkunde nur scheinbar eine marginale Rolle – tatsächlich rücke man das Gebiet immer mehr ins Rampenlicht. Am Ende müsse sich schließlich jede Generation daran messen lassen, wie sie mit den Schwächeren der Gesellschaft, also auch den Älteren, umgegangen ist.

Der demografische Wandel habe allerdings auch die Altersgrenze spürbar verschoben, betonte der diesjährige Gastredner Prof. Dr. Horst Opaschowski, prominenter Zukunftsforscher der Uni Hamburg. Während Karl V. (1500-1558) mit 55 erschöpft als Greis abdankte, gelte man heute erst ab 76 Jahren als alt. Wie die gefühlte Temperatur sich von derjenigen auf dem Thermometer unterscheide, kopple sich das gefühlte Alter mehr und mehr vom biologischen Alter ab. Der Harley- Davidson-Käufer von heute sei durchschnittlich 58 Jahre alt – das wirkliche Altsein fange für viele erst mit der Pflegebedürftigkeit an. Um die 18 Millionen Bundesbürger sind inzwischen über 60 Jahre: Steht der viel beschworene Generationenkrieg etwa kurz bevor? Nein, folgerte Opaschowski. Natürlich könne die Überalterung die wirtschaftliche Dynamik bremsen – dennoch berge die neue Altenkultur durchaus auch Chancen. Denn nicht mit 15, 25 oder 35, sondern mit 50 seien die Konsumausgaben am höchsten.

Keine Inliner mit Stützen

Doch nur wer die Bedürfnisse der neuen Senioren wirklich kennt, werde auch an dem prognostizierten Milliardenmarkt partizipieren: „Die Kukident-Generation will nämlich keine Inlineskates mit Stützrädern, sondern Sinn- und Serviceangebote rund um die Uhr.“ Gefragt sei eine eigene Erlebniswelt für Senioren, in der Wohlbefinden und Qualität eine große Rolle spielten.

Gerade weil die Wünsche zwischen Jung und Alt stark auseinander gehen, eröffneten sich neue Möglichkeiten des Zusammenlebens und damit Gelegenheiten, voneinander zu lernen. Während die Jugend eingefahrene Gleise verlasse und Neues ausprobiere, punkteten die Senioren bei Werten wie Geduld, Beständigkeit und Erfahrung.

Dass die Bevölkerungsentwicklung auch vor der Zahnarztpraxis nicht halt macht, belegte Dr. Esther Hofer, stellvertretende Direktorin der Zürcher Klinik für Alters- und Behindertenzahnmedizin. In Zukunft werden vermehrt Patienten, die älter sind als 65 Jahre, auf dem Behandlungsstuhl sitzen. Doch wiesen gerade diese eine schlechtere Mundgesundheit auf als die restliche Bevölkerung. Entgegen der gängigen Meinung lebten aber nur ein Drittel aller über 85- Jährigen im Pflegeheim. Die anderen könnten funktionell genauso wie jüngere Patienten behandelt werden. Ältere Menschen bildeten jedoch keine homogene Gruppe: Mentale und körperliche Gesundheit, Wünsche, Finanzlage und das Eingebundensein in soziale Netzwerke differierten stark.

Rühren im Kochtopf

Wie muss nun eine altersgerechte Patientenbetreuung aussehen? „Wir rühren noch im Kochtopf“, gab Hofer zu. Der Behandlungsbedarf sei groß, aber Standards für die altersgerechte Versorgung gebe es bisher keine. Eine Lösung sieht die Wissenschaftlerin im Ausbau der multidisziplinären Teamarbeit: Fachärzte könnten den Patienten als Ganzes betreuen und Risikofaktoren wie Polymorbidität und Medikamentenkonsum gezielt kontrollieren. Mithilfe mobiler Dentaldienste könne den Handicaps alter Menschen ebenfalls Rechnung getragen werden. Letztlich ginge es immer darum, die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen.

Dieses Ziel hob auch Dr. Hans Peter Huber, Prothetiker an der Uni Göttingen, hervor: In erster Linie müsse der Zahnarzt die Kaueffektivität der Patienten erhalten und neue Kaueinheiten schaffen. Mit einfachen, leicht zu pflegenden Konstruktionen könne der Behandler das Wohl- und Allgemeinbefinden seiner Patienten enorm steigern.

Allen Gebrechen zum Trotz – an Selbstbewusstsein scheint es den Senioren nicht zu mangeln. Wie Huber erzählte, ergab eine Befragung, dass die meisten Alten sich 14 Jahre jünger fühlten und glaubten, acht Jahre jünger auszusehen als sie wirklich sind.

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