Leitartikel

Kostenerstattung - der Weg aus dem Chaos

Sehr geehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,

wenn es dieses bundesweiten "Praxistestes" überhaupt bedurft hätte, dann sollte er die schlimmsten Erwartungen und Befürchtungen schon nach wenigen Wochen erfüllt haben: Die Praxisgebühr ist ein einziges Ärgernis! Jeder drittklassige Hellseher kann sich als erfolgreicher Prophet erweisen, wenn er diesem Zwangs-Obolus keine gute Zukunft vorhersagt.

Der unglaubliche Ärger läuft zweispurig. Da ist der Patient, der bezahlt, ohne dafür eine Leistung zu erhalten. Und da ist der Arzt, der kassiert, aber ebenfalls nichts davon hat. Dafür schwillt der Verwaltungsaufwand sowohl bei den Krankenkassen als auch in den Praxen immens an. Als wäre die Praxisgebühr an sich nicht schon schlimm genug, wird das Abkassieren des zusätzlichen Sonderopfers für die Kassen auch noch von einer Flut von Regelungen begleitet, die das Chaos richtig komplett machen.

Der Ursprungsgedanke, mit der Praxisgebühr das Doktor-Hopping zu unterbinden, wurde so geradezu perfektioniert. Denn die Menschen meiden den Gang zum Arzt oder Zahnarzt gleich ganz, dies zeigen die ersten Analysen über drastisch gesunkene Patientenzahlen. Die Regierung kann mit zweifelhaftem Stolz darauf verweisen, mit der Praxisgebühr endlich mal ein Maut-System geschaffen zu haben, das irgendwie läuft. Aber der Preis, den alle Beteiligten dafür zahlen, ist einfach zu hoch. Der lässt sich nicht an der Summe von zehn Euro festmachen. aDabei hätten die Politiker die Chance besessen, ihre Kur für die gesetzliche Krankenversicherung zukunftsträchtig und europafest zu gestalten. Anstelle des Molochs und Notopfers einer Praxisgebühr hätten sie sich für das in der EU überall etablierte Modell der Kostenerstattung entscheiden können. Und zwar mit freier Wahl der Patienten für die Inanspruchnahme ambulanter Leistungen, getrennt nach den Fachgebieten ZahnMedizin, Medizin und Psychotherapie. Anstelle der Verwirrung - wie durch die Praxisgebühr - träte maximale Transparenz.

Denn nur über die Rechnung erhält der Patient einen kompletten Überblick über das Leistungsgeschehen. Der Behandelnde, der diese Rechnung stellt, bewegt sich damit im Rahmen eines üblichen Geschäftsgebahrens, vereinbart Leistung und Kosten direkt mit dem Patienten. Und der Patient kann aus dem gesamten Leistungsspektrum der modernen Heilkunde frei wählen - ohne Einschränkung oder Belehrungen. Und ohne den Abzug fragwürdiger Verwaltungskosten. Mit einem moderaten Selbstbehalt sowie einer entsprechenden Härtefallregelung hätte ein solches Experiment zumindest auf dem Gebiet der ZahnMedizin gestartet werden können. Auf Basis des von uns ausgearbeiteten und favorisierten Konzepts befundorientierter Festzuschüsse hätte in diesem Teilbereich ein Prototyp für ein neues Modell im deutschen Gesundheitssystem quasi fahrbereit vor der Tür gestanden. Aber niemand wollte sich ans Steuer setzen.

Denn dazu hätten die Politiker ihre partei-ideologischen Scheuklappen abwerfen müssen. So wäre der Weg gebahnt worden für ein Konzept, das auch die zukünftige Finanzierbarkeit eines solidarischen Gesundheitswesens eher gewährleisten könnte, als die ausschließliche Umlagefinanzierung. Weiterer Vorteil: Mit der Kostenerstattung träte die Krankenkasse über den Rechnungsausgleich in direkten Bezug zu ihrem Mitglied. Und das komplizierte Abrechnungsverfahren, das heute nötig wird, wenn Leistungen über den GKV-Rahmen hinaus erbracht werden, könnte komplett entfallen.

Höchstrichterliche Entscheidungen auf EU-Ebene können uns in unserer Auffassung nur bestärken. Bei den grenzüberschreitenden Gesundheitsleistungen wurde die reine und sektorale Kostenerstattung auch für die Bundesrepublik bereits festgeschrieben. Damit steht heute schon fest, dass die Insellösung des hier zu Lande geltenden Sachleistungsprinzips auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten sein wird. Die Frage steht im Raum, ob sich deutsche Gesundheitspolitik wirklich so lange vergaloppieren will, bis ihr die Zügel aus der Hand genommen werden?

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer

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