Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
Deutschland fand – via Privatfernsehsender – den Superstar, es kürte den fittesten Prominenten im australischen Dschungel. Jetzt suchen die Deutschen den Schuldigen für den Ärger um die jüngste Gesundheits-“Reform“. Und schon steckt die Politik wieder einmal mitten im heißesten Quoten-Fieber. Geht es um die Publikumsgunst, muss die Bundesgesundheitsministerin raus: 60 Prozent der Bevölkerung wollen Ulla Schmidt nicht mehr als Deutschlands mächtigste Ressort-Ministerin.
In der Tat hält das GKV-Modernisierungsgesetz – schlicht als GMG in den fachlichen Sprachgebrauch übergegangen – die Republik in Atem. Es sind aber nicht allein die zehn Euro Kassengebühr, die die Emotionen hochkochen lassen. Eher die Erkenntnis, dass die Protagonisten dieser „Reform“ etwas versprochen haben, was jetzt – wahrscheinlich bis zum Eintritt kollektiver Amnesie – immer weiter relativiert wird.
Der Kostendämpfer-Dampfer GMG hatte für dieses Jahr mit Beitragssatzsenkungen der gesetzlichen Krankenkassen gelockt. 13,6 Prozent, von der Ministerin sogar mit weniger als 13 Prozent unterboten, wurden noch bis in den Herbst letzten Jahres versprochen. Kaum gilt das Gesetz, bläst die Politik in Sachen Beitragssatz zum Rückzug – weil die Kassen leer sind und die Zahlen nicht stimmen.
Die Patientenbeauftragte der Regierung, Helga Kühn-Mengel, glaubt nicht mehr an die Senkung unter das in Aussicht gestellte Maß. Sie macht aber nicht das System, sondern die voraussichtlich wieder schlechte Konjunktur verantwortlich. In Fachkreisen pfeifen die Spatzen ohnehin einen neuen Rekord von mehr als 15 Prozent von den Dächern, die der Gesetzgeber dem deutschen GKV-Michel für die Kassen gegen Jahresende aus dem Lohnbeutel ziehen wird.
Dabei hätte Deutschlands Bevölkerung einen enger geschnallten Gürtel durchaus mit Fassung getragen: Eine deutliche Mehrheit ist inzwischen mit Zuzahlungen einverstanden. Und bis auf unrühmliche Entgleisungen zeigten sich die meisten Patienten, so die Erfahrungen aus dem Gros der Praxen, diszipliniert, den zehn Euro-Schein immer griffbereit. Ärztewie Zahnärzteschaft hatten darüber hinaus schon im Vorfeld ihren Teil dazu beigetragen, dass die Kassengebühr als Notopfer für die Krankenkassen bekannt war und auch toleriert wurde.
Die Contenance schlug um, sobald bewusst wurde, dass das GMG nicht nur die Kassengebühr, sondern weit mehr von den Patienten abfordert. Undurchschaubare Bürokratie macht für die meisten Deutschen eine klare Rechnung, was sie das GKV-System im Laufe des Jahres kosten wird, weitgehend unmöglich. Daran änderten auch in einschlägigen Magazinen dargestellte komplizierte Tabellen wenig, ganz zu schweigen von den vielen Einzelfragen, die mangels Durchführungsbestimmungen niemand beantworten konnte.
Es sind die Stück für Stück erfahrenen bösen Überraschungen – wie viele davon stehen wohl noch aus –, die die durchaus verständnisbereite Bevölkerung zur Weißglut bringen. Also noch einmal, an prägnanten Beispielen aufgehängt: Die Kassengebühr ist keine „Praxisgebühr“. Und: Die Selbstverwaltung hat das Gesetz nicht sabotiert. Wer eine so verdrehte Welt vorgaukelt, verspielt die Sympathien. Nachbesserungen – sie werden vereinzelt als Ausweg aus dem Dilemma vorgeschlagen – nützen hier wenig. Besserung ist angesagt.
Mit freundlichem Gruß
Egbert Maibach-Nagelzm-Chefredakteur