Leitartikel

Ein Armutszeugnis

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

so wenig man es in Deutschland schafft, Steuersubventionen abzubauen, so wenig vermag man vergleichsweise Profanes wie die Krankenkassengebühr ohne bürokratischen Gau zu installieren. Vielleicht hätte man gleich auf die hören sollen, die schon während der Entstehung des GMG – und jetzt wieder – eine GKV-Selbstbeteiligung von etwa 500 Euro vorgeschlagen hatten. Eine solche, zugegeben politisch mutige – aber unsere Volkspartei-Politiker überfordernde – Summe hätte klare Härtefallregelungen und einfache Bürokratie nach sich gezogen. Nicht dieses jämmerliche „Klein-Klein“, das nur eines erneut bestätigt: Man kann sich wundern, dass der Transrapid in China fährt, hier zu Lande Toll-Collect nicht läuft und das Dosenpfand nicht geht. Aber man ist doch immer wieder ergriffen, was die deutsche Gründlichkeit gebiert. Zum Beispiel die Krankenkassengebühr.

Zugegeben: In unseren Praxen ist dieses Krankenkassen-Notopfer vergleichsweise problemlos angelaufen, spätestens nach dem Schiedsspruch vom 8. Januar wissen unsere Patienten, woran sie sind. Und wir stellen fest: Zähneknirschend betreten sie meist die Praxis – zehn Euro in der Hand. Außerhalb der Praxen verläuft die Diskussion mit anderer Härte. Fast zwei Drittel aller Deutschen wollen, dass die Bundesgesundheitsministerin die Konsequenzen zieht und zurücktritt. Verwirrung und Wut über dieses Armutszeugnis des Gesetzgebers verhindern, dass die Patienten zur Tagesordnung übergehen. Die mehr als achtzig Einzelbeispiele für den Umgang mit der Kassengebühr reichen nicht aus, alle offenen Fragen zu beantworten, ganz zu schweigen von dem, was der Bundesausschuss zu regeln hat. Über 100 000 in nur zwei Tagen bei der Bild-Zeitung zum GMG eingegangene Anrufe zeigen, wie sehr diese „Reform“ den Deutschen unter die Haut geht. Was für ein Gesetz!

Folglich liegen Ulla Schmidts Nerven blank. Sie schiebt den Selbstverwaltungen die Schuld zu, verwechselt damit Ursache und Wirkung. Hilflos versteigt sie sich in Drohungen, die Selbstverwaltungen abzuschaffen – ein kardinaler Fehler, der ihren Pressesprecher zum Zurückrudern zwang.

Hier zeigt sich, anders als manche Kräfte der Zahnärzteschaft zurzeit der Kollegenschaft weis machen wollen, dass – und wie – sich die zahnärztliche Selbstverwaltung doch noch gegen Zwangsmaßnahmen stemmen kann. Willfährige Hauptamtliche ohne zahnärztlich standespolitische Grundposition wären hier sicher ein einfacher zu steuernder Erfüllungsgehilfe der Ministerialbürokratie gewesen. Mein Fazit nach wie vor: Lieber Wadenbeißer als Warmduscher.

Das von der KZBV erzielte Ergebnis zur Kassengebühr belässt das Inkassorisiko bei den Krankenkassen – da, wo es hingehört. Denn die zehn Euro sind kein Teil des (zahn-)ärztlichen Honorars. Sie sind eine zusätzliche Einnahme der Krankenkassen. Das jetzt offenkundige Chaos – Diskussion um die Anti-Baby-Pille, Chroniker-Definition und Taxifahrten – belegt den schmerzhaften Spagat zwischen spät erkannter Nächstenliebe und fest eingeplanten Zusatzeinnahmen.

Der von der KZBV herbeigeführte Schiedsspruch ist ein Sieg wider grassierende politische Unvernunft. Und der Erfolg, keine Kassengebühr für präventive Maßnahmen einziehen zu müssen, wirkt vertrauensstärkend gegenüber unseren Patienten. So etwas wäre durch Verweigerungshaltung oder Lamentieren nie erreicht worden.

Auf Grund der Regelung zwischen Ärzten und Krankenkassen, die das Inkassorisiko bei der Ärzteschaft belässt und zusätzlichen bürokratischen Irrsinn bei den KVen einrichtet, ist dieser Schiedsspruch im BMGS sauer aufgestoßen. Er passt den Ministerialen und ihrer Führung nicht. Nicht ins Konzept, nicht in die Landschaft, nicht in den Kopf.

Eine Beanstandung dieses Schiedsspruches durch die Aufsichtsbehörde ist politisch riskant. Sie brächte den Beweis für die Hilflosigkeit der ministeriellen Argumentation: Wenn die Selbstverwaltung – besser: das, was davon übrig ist – das ausgestalten soll, was Politik und Gesetzgeber laut Frau Schmidt nur grob vorgeben, wäre eine Beanstandung seitens der Politik widersinnig. Wir haben die Hausaufgaben gemacht und eine Lösung getroffen, die in unseren Praxen das Chaos – bei allen immer noch zu Tage tretenden Exotenfragen – verhindert, den Präventionsgedanken fördert und für den Patienten klare Fakten schafft. Will das Ministerium hingegen die Umsetzung steuern, wird offensichtlich, dass es die BMGSBeamten waren, die seit Oktober ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind.

Die Ministerin sollte endlich zur Kenntnis nehmen: Eine Kassengebühr, deren Erhebung eine ganze Republik über Wochen beschäftigt und den Praxisalltag maßgeblich stört, ist kein Beitrag zur Genesung des kranken Gesundheitswesens. Sie ist pure Notmedikation, gestützt auf mangelhafte Therapie, die – wie man bisher sieht – eher schadet als hilft.

Mit kollegialen Grüßen

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