Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
geläufig ist es allen, das übliche „Hallo, wie geht’s? – Gut, und selbst? – Auch gut!“ Der konventionelle Begrüßungsdialog wirkt – spätestens wenn niedergeschrieben – eher eigentümlich. Wer so fragt, reagiert beim Abspulen dieser Formeln sogar konsterniert, wenn die Antwort anders ausfällt, als es die „Regularien“ erwarten lassen. Norm ist, dass die Fragenden nicht wirklich mit ehrlichen Reaktionen rechnen.
Anders in der zahnärztlichen Praxis. Der Zahnmediziner will auf die Frage nach dem Befinden des Patienten selbstverständlich eine – möglichst genaue und damit auch hilfreiche – Antwort. Sie ist Teil eines umfassenden Bildes aus vielen Einzelelementen, die letztlich zur Befundung beitragen.
Die Krux dabei: Nicht immer fallen klinischer Befund und subjektives Befinden des Patienten gleich aus. Das Erleben von Krankheit/Gesundheit ist nun mal sehr unterschiedlich.
Kein Wunder, dass in der medizinischen Versorgungsforschung so individuell erfahrene Lebensqualität ein zentrales Thema ist. Im sozialpsychologischen Diskurs arbeitet die Wissenschaft ständig an der Verbesserung von Methoden, die diesen Bereich messbar machen. Subjektive Indikatoren wie körperliches Wohlbefinden, emotionale Gesundheit, soziale Funktionsfähigkeit, allgemeine Gesundheitswahrnehmung und anderes mehr sind längst Gegenstand fachlicher Untersuchung – auch im zahnmedizinischen Bereich.
„Oral Health Impact Profiles“ (OHIP’s), komplex ausgearbeitete Befragungs-Systeme sind heute fester Bestandteil der Forschung und werden erfolgreich in wissenschaftlichen Studien genutzt. Vereinfachte Systeme wie das deutsche OHIP G 14 – mit Fragen zu Bereichen wie Schmerz, psychisches Unwohlsein, physische, psychische und soziale Beeinträchtigung sowie Benachteiligung/ Behinderung – sind für repräsentative epidemiologische Studien im Einsatz, das in Bearbeitung befindliche, noch kürzere System OHIP G 5 soll künftig in der Zahnarztpraxis Anwendung finden.
Psychosozialmedizinische Forschung reagiert also längst auf die feststellbare Werteverschiebung gesellschaftlicher Einflussfaktoren: Ehemals als vorrangig empfundene soziale und ökonomische Motive weichen mehr und mehr gesundheitlichen Wertmaßstäben.
Erstaunlich nur, dass sozialpolitische Repräsentanten dieser Werteentwicklung in ihren Grundsatzentscheidungen kaum Rechnung tragen. Hier spielen – nicht nach wie vor, sondern augenscheinlich mehr denn je – rein ökonomische Motive die entscheidende Rolle. Eine Erkenntnis, die im öffentlich- rechtlichen Rundfunk sogar Stoff für Parodien der Bundesgesundheitsministerin liefert. Wie lange noch?
Mit freundlichem Gruß
Egbert Maibach-Nagelzm-Chefredakteur