Warum ein offenes Gespräch mit sterbenskranken Kindern Not tut
Die Studie von Ulrika Kreicbergs und ihren Mitarbeitern vom kinderonkologischen Forschungsinstitut der Stockholmer Karolinska Universität ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst ist das Thema hoch tabuisiert und für die Eltern in der Regel traumatisierend. Weiterhin wird meistens angeblich mit Rücksicht auf das todgeweihte Kind ein offenes Gespräch über das Sterben vermieden, obwohl die meisten Kinder wohl um ihr Schicksal wissen und durch ein Gespräch getröstet werden könnten. Und schließlich ist es für die Fachwelt eine kleine Sensation, dass im renommierten, klinisch orientierten New England Journal of Medicine diese Studie in der Ausgabe vom 16. September diesen Jahres an erster Stelle abgedruckt wurde – also quasi als Aufmacher der ganzen Ausgabe.
Wache kindliche Wahrnehmung
Die hier referierte Studie wurde als retrospektive Analyse aufgebaut. Die schwedischen Forscher entschlossen sich im Jahr 2001, alle Eltern in ihrem Land anzuschreiben, die in den Jahren zwischen 1992 und 1997 ein Kind aufgrund einer Krebserkrankung verloren hatten. Eine der wichtigsten Fragen war, ob die Eltern im Nachhinein bedauern, mit ihrem Kind rechtzeitig vor seinem Tod über die bedrohliche Situation, also das nahe Sterben gesprochen zu haben oder nicht.
Von den 561 in Frage kommenden Eltern beantworteten 449 einen umfangreichen Fragebogen. 429 machen darüber Angaben, ob sie mit ihrem Kind über den Tod gesprochen hatten.
Gleichzeitig wurde gefragt, ob die Eltern ihr Verhalten in diesem Punkt nach den verstrichenen Jahren bedauerten oder nicht.
Die Forscher erfassten nun Faktoren, die besonders häufig für ein nachträgliches Bedauern der Eltern gesorgt hatten.
Insgesamt war zunächst festzuhalten, dass niemand von den147 Eltern, die ein solches offenes Gespräch rechtzeitig initiiert hatten, es nachträglich bedauerte. Im Gegensatz dazu bedauerten 69 von den 258 Eltern, die nicht mit ihren Kindern über den nahen Tod gesprochen hatten, nachträglich dieses Versäumnis.
Die Variablen, die besonders häufig für ein nachträgliches Bedauern sorgten, waren bezogen auf ihre Häufigkeit (in den Klammern steht der Faktor, wie viel häufiger bei diesem Tatbestand das Bedauern war als beim Fehlen dieses Parameters, das so genannte relative Risiko):
• Die Eltern spürten, dass ihr Kind um die Bedrohung weiß (3,7);
• Das Kind war zum Zeitpunkt seines Sterbens zwischen 16 und 24 Jahre alt (3,6);
• Ein Elternteil lebte zum Zeitpunkt der Diagnose mit einem Partner zusammen, der nicht leiblich mit dem Kind verwandt ist (3,5);
• Das Kind war zum Zeitpunkt der Diagnose zwischen zehn und 16 Jahre alt, (3,5);
• Das Kind war zum Zeitpunkt seines Sterbens zwischen neun und 15 Jahre alt (3,5); Faktoren wie Bildung, Religiosität oder sozialer Status der Eltern fielen dagegen in der Analyse kaum ins Gewicht.
Es zeigt sich also, dass besonders dann, wenn die Eltern annehmen konnten, dass die Kinder um ihr nahes Sterben wussten (und womöglich darunter gelitten hatten), das Bedauern über ein verpasstes Gespräch besonders häufig ist.
Insgesamt kann, so nehmen die Autoren an, fast immer davon ausgegangen werden, dass die Kinder um ihre Situation wissen. Daher gehöre es hier ähnlich wie bei erwachsenen Patienten zur Achtung ihrer Würde, offen mit ihnen zu sein.
T. U. Keil