Kinderradiologen beklagen unnötige Strahlenbelastung und unbrauchbare Bilder
„Dennoch wird mit den Röntgen- und CTUntersuchungen landauf, landab geaast“, beklagte Kinderradiologe Prof. Dr. Jochen Tröger anlässlich des Kongresses, „dabei sollten gerade bei Kindern unnötige Röntgenuntersuchungen unbedingt vermieden werden. Ihr wachsender Organismus reagiert besonders sensibel auf Röntgenstrahlen und bedarf deshalb eines besonders intensiven Strahlenschutzes“.
Neben Belgien weist Deutschland die höchste Zahl der Röntgenaufnahmen pro Einwohner auf. Auf 1 000 Bürger entfallen 1 240 Röntgenuntersuchungen, wobei die Aufnahmen in der Zahnmedizin noch nicht einmal mitgerechnet sind. Zum Vergleich: Von 1 000 Holländern oder Schweden werden 520 der strahlenintensiven Diagnostik unterzogen.
Doch es wird nicht nur zuviel, sondern häufig genug auch einfach schlecht geröntgt. Kongresspräsident Prof. Tröger: „Die Qualität der bei Kindern angefertigten Röntgenbilder ist unzureichend. Zehn bis 20 Prozent der Röntgenaufnahmen bei Kindern sind schlicht unbrauchbar und stellen damit eine unnütze Strahlenbelastung dar. Sie können die Krankheitserkennung verzögern oder gar verhindern und sind auch vom ökonomischen Aspekt her nicht akzeptabel.“ Eine Besserung der Situation scheint nicht in Sicht. Schon heute gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz nur wenige auf Kinder spezialisierte Radiologen. Die meisten Kinder werden von Ärzten ohne Spezialausbildung untersucht. Die spezielle Situation der Kinder wird deshalb oft nicht berücksichtigt. „So sind zum Beispiel Röntgenaufnahmen nach Kopfverletzungen bei Kindern nur selten wirklich notwendig“, konstatiert der Heidelberger Kinderradiologe. „Selbst wenn dabei ein Schädelbruch festgestellt wird, sagt das nichts darüber aus, ob das Gehirn verletzt ist. Auch Untersuchungen der Nasen-Nebenhöhlen bei akuten Infekten der Luftwege sind in vielen Fällen überflüssig. Viele Röntgenuntersuchungen wären außerdem gerade bei Kindern durch Ultraschall oder Kernspintomographie ersetzbar.“
Aussterbende Spezialisten
Doch statt einer besseren Versorgung der Kinder durch spezialisierte Kinderradiologen ist künftig eher das Gegenteil zu erwarten, bekräftigten die Experten vor der Fachpresse: Die Disziplin, schon bisher als „Orchideenfach“ verschrieen, droht auszusterben. Kinderradiologen sind nämlich die Spezialisten unter den Spezialisten: Sie sind ausgebildete Fachärzte für Diagnostische Radiologie, die nach ihrer Fachausbildung in einer drei Jahre dauernden Zusatzweiterbildung den Schwerpunkt Kinderradiologie erworben haben. Prof. Tröger: „Nach dieser langen, ich meine zu langen Weiterbildung, erwartet sie ein Einkommen an der unteren Grenze. Dies liegt vor allem daran, dass bei uns weder die Qualität noch die Dauer der Weiterbildung honoriert wird.“
Zurzeit gibt es in Deutschland vier selbstständige kinderradiologische Abteilungen, rund 45 Kinderradiologen arbeiten in einigermaßen selbstständigen Positionen. In freier Praxis ist eine Kinderradiologin niedergelassen. Auch an den Kliniken handelt es sich meist um Eine-Frau- oder Ein-Mann-Institutionen ohne Weiterbildungsstellen.
Prof. Tröger: „Diese Situation führt dazu, dass sich für wenig frei werdende Stellen nur wenige Kinderradiologen bewerben. Dieser Teufelskreis wird, wenn er nicht unterbrochen wird, zum Aussterben des Faches führen“.
Eine Lösung der schwierigen Situation wäre nur durch eine gute Ausstattung von kinderradiologischen Kompetenzzentren erreichbar. Doch Kinderradiologen haben hier zu Lande ebenso keine Lobby wie die von ihnen betreuten kleinen Patienten. Und wenn die Kinderradiologie verschwindet, werden wieder einmal die Kinder und Jugendlichen die Leidtragenden sein. „Dabei sollte sich die Gesellschaft gerade bei dieser Altersgruppe der Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit besonders verpflichtet fühlen“, meint Prof. Dr. Jochen Tröger, zurzeit Präsident der Europäischen Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie.
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