Kraftakt: die elektronische Gesundheitskarte

Schwer zu stemmen

Die Diskussion um den Start der elektronischen Gesundheitskarte ist in vollem Gange. Was und wie die Medien darüber berichten, führt jedoch leicht in die Irre. Grund genug, Rahmen, Knackpunkte & Perspektive des ambitioniertesten Telematikprojektes in der Geschichte der Bundesrepublik zu beleuchten.

Gesetzliche Vorgaben:

Im Zuge der Gesundheitsreform hat der Gesetzgeber Ende 2003 beschlossen, die Versichertenkarte ab 2006 zu einer elektronischen Gesundheitskarte zu erweitern, um „Wirtschaftlichkeit, Qualität und Transparenz der Behandlung“ von Patienten zu verbessern (§ 291 SGB V).

Die Karte soll ärztliche Verordnungen in elektronischer Form übermitteln und die Nutzung und Verarbeitung von Notfalldaten, Arztbriefen, Arzneimitteldokumentationen und Patientenakten unterstützen. Der Zugriff auf die Daten ist nur für Ärzte, Zahnärzte und Apotheker vorgesehen. Sie wiederum benötigen zur Autorisierung einen elektronischen Heilberufsausweis. Die Daten sollen sie nur mit Einverständnis des Versicherten erheben und nutzen können.

Bleigewicht auf der Schulter

Der Gesetzgeber hat die Selbstverwaltungen verpflichtet, eine Lösungsarchitektur für die erforderliche Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur zu schaffen. Nicht nur der enge Zeitplan und die Finanzierung werfen Probleme auf – eine ganze Reihe schwerer Gewichte scheint auf den Schultern der Akteure zu lasten.

Knackpunkt Zeitplan:

Der Zeitplan zur Umsetzung des Mammutprojekts war von Beginn an extrem eng gesteckt. Allein die Produktion der über 70 Millionen Karten für die Gesamtbevölkerung wird laut Industrie etwa ein Jahr in Anspruch nehmen. Um das Soll zu erfüllen, müssten täglich 350 000 Karten hergestellt werden. Wirtschaftsunternehmen, Kassen und Leistungsträger teilen schon heute die Einschätzung, dass eine flächendeckende Einführung der Karte im Januar 2006 selbst unter größten Anstrengungen kaum machbar ist. Auch die Politik gesteht dies allmählich ein. Ulla Schmidt und Horst Seehofer haben vor der Berliner Presse am 22. September erstmals durchblicken lassen, dass die Einführung der Karte als „Prozess“ zu verstehen sei, und Anfang 2006 weder alle Funktionen der Karte abrufbar sind noch eine flächendeckende bundesweite Nutzung sicher ist.

Knackpunkt Finanzierung:

Nach Meinung von Fachleuten werden sich die Kosten deutlich jenseits der Milliarden– Euro-Grenze bewegen.

Die KZBV ist immer von einem einfachen Grundgedanken ausgegangen: Wer Nutzen aus der Karte zieht, muss auch ihre Finanzierung unterstützen. Die Kassen, die am meisten von der Karte profitieren werden, haben prinzipiell akzeptiert, dass sie die Einführungskosten der Karte in Zahnarztpraxen, die kaum von der Karte profitieren können, tragen müssen. Erhebliche Kosten fallen schließlich durch die Umrüstung der Praxis-EDV an.

Allerdings befürchten die Kassen, die technisch rückständigen Praxen subventionieren zu müssen und sind nur bereit, auf Basis eines Mindeststandards zusätzliche Investitionen zu tätigen. Das hat den Abschluss der Finanzierungsvereinbarung erschwert. Durch die Authentifizierung der Karte beim Einlesen in der Praxis entstehen zusätzliche laufende Kommunikationskosten, die in die Vereinbarung einfließen.

Was den elektronischen Heilberufsausweis, also die Health Professional Card (HPC), betrifft: Entwicklung und Einführung lasten voll auf den Ärzten und Zahnärzten. Die Kassen beteiligen sich nicht an den Kosten. Laufende Betriebskosten wollen die Krankenkassen aber übernehmen.

Knackpunkt Datentransport:

In den Verhandlungen wurde bald klar, dass zur Einführung der Gesundheitskarte erst einmal die Funktion des elektronischen Rezeptes getestet werden muss. Ohne Antwort blieb aber die Frage, wie der Transportweg dies E-Rezeptes überhaupt aussehen soll. Die Kassen haben zunächst auf die ausschließliche Online-Übermittlung der Rezeptdaten, also einer (Zwischen-)Speicherung auf einem Server, gesetzt.

Die Zahnärzteschaft hat dagegen von Beginn an gefordert, dass der Transport zusätzlich über eine Zwischenspeicherung auf der Gesundheitskarte selbst möglich sein muss. Im Vordergrund stehen dabei zwei Punkte: Zum einen die Sorge um die Praktikabilität, wenn der Großrechner für die Online-Übermittlung ausfällt. Zum anderen die Frage nach der Akzeptanz beim Patienten, der die Speicherung direkt auf der Karte vielleicht vorzieht.

Dieser Knackpunkt konnte inzwischen mithilfe des Bundesgesundheitsministeriums ausgeräumt werden: Getestet werden nun, wie auch von der Zahnärzteschaft gefordert, beide Varianten. Die Testphase soll ergebnisoffen sein und zeigen, welcher Transportweg bevorzugt wird. Unabhängig davon, wie die Lösung im Einzelnen aussieht: Sie wird in jedem Fall dem datenschutzrechtlichen Gebot der Sparsamkeit der Datenhaltung genügen müssen. Gemäß EU-Recht darf sie zudem keine Datenspuren hinterlassen.

Knackpunkt Datenhoheit:

Das Gesetz sieht vor, dass bestimmte Daten des Patienten, zum Beispiel Notfalldaten, obligatorisch zu speichern sind. Es gibt andere Daten, bei denen der Patient allein entscheidet, ob sie gespeichert werden dürfen oder nicht. Darüber hinaus wird es Daten geben, die mit Einwilligung des Patienten zwar gespeichert werden, aber nicht jedem Arzt nach Maßgabe des Patienten zugänglich sein sollen.

Technik schwächelt

Technisch stellt sich die Schwierigkeit, ein verlässliches System zu entwickeln, das unterschiedliche Zugriffsrechte auf die Daten bei unterschiedlichen Ärzten ermöglicht. Medizinisch steht man vor dem Problem, dass der behandelnde Arzt oder Zahnarzt nicht mehr sicher sein kann, ob tatsächlich alle für die Therapie wesentlichen Infos gespeichert wurden, und ob er auf alle wesentlichen Infos zugreifen kann. Die elektronische Krankengeschichte des Patienten wird dadurch lückenhaft – der Arzt kann sich nicht mehr vollständig darauf verlassen. Der ursprüngliche Plan, mit der E-Karte Doppeluntersuchungen zu vermeiden und Kosten einzusparen, wird damit möglicherweise durchkreuzt.

Die Perspektiven:

Ginge es nach dem Gesetzgeber, sollte das Konzept zur Umsetzung des Mammutprojekts eigentlich bis Ende September vorliegen. Die umfangreichen Unterlagen zur Lösungsarchitektur wurden von den Kassen aber erst am 28.9. vorgelegt, am 29.9. fand eine Sitzung des Lenkungsausschusses statt. Schon eine rasche Durchsicht der Unterlagen zeigt große Lücken. So wurde zum Beispiel allein die Online-Übermittlung („Server-Lösung“) als Transportweg für das elektronische Rezept genannt.

Dies widerspricht der gemeinsam gefundenen, vom Gesundheitsministerium und dem Bundesdatenschutzbeauftragten befürworteten Lösung, auch den Transport über die Gesundheitskarte ergebnisoffen zu erproben.

Kein zweites Toll-Collect

Zwischenzeitlich wurde bekannt, dass die Kassen einseitig ihre Vorstellungen dem BMGS unterbreitet haben. Im Namen aller Leistungsträger hat KBV-Hauptgeschäftsführer Dr. Andreas Köhler daher den Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Dr. Klaus Theo Schröder, in einem Brief über den Sachstand informiert. Darin wies er darauf hin, dass die offiziellen Unterlagen den Leistungsträgern viel zu spät zugegangen seien. Eine detaillierte Auseinandersetzung war schon aufgrund des umfangreichen Materials völlig unmöglich. Nun wird es darum gehen, die Verhandlungen im Sinne des BMGS-Vorschlags so bald wie möglich zu einem soliden Ende zu bringen.

Sorgfalt muss dabei vor Schnelligkeit gehen, fordern die Leistungsträger. Schließlich geht es um ein sehr teures Großvorhaben, das nicht als zweites Toll-Collect enden darf.

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