Gastkommentar

Große Worte – kleine Taten

Unter dem Strich wird auch 2005 in der Sozialpolitik ein Jahr der kleinen Taten bleiben.

Andreas Mihm
Wirtschaftskorrespondent der FAZ, Berlin

In der Gesundheitspolitik wird 2004 als das Jahr der großen Worte und der kleinen Taten in Erinnerung bleiben. Was hatten die Regierenden nicht alles versprochen? Der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung sollte auf 13,6 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze fallen, flächendeckende Hausarztmodelle die Versorgung verbessern und die Kosten drücken. Beim Zahnersatz sollte der Einstieg in die vom Einkommen unabhängige Prämie mit dem Jahreswechsel erprobt werden. Zwölf Monate später sind die neuen Kleider längst verschlissen, ist der Kaiser nackt.

Mit Glück sinkt der durchschnittliche Beitragssatz zum Jahreswechsel um ein bescheidenes Zehntelpünktchen auf 14,1 Prozent. Ein paar Kassen haben Hausarztmodelle aufgelegt, mehr aus Gründen des Marketings, als dass sie selber von deren Richtigkeit überzeugt sind. Und vom Pilotprojekt Zahnersatz haben sich Rote, Grüne und Schwarze schneller verabschiedet, als eine große Zahnlücke geschlossen werden kann.

Statt dessen legten die Parteien mit allerlei Budenzauber halbgare Zukunftsentwürfe vor. Die sind mal mehr, wie bei der Union, oder mal weniger, wie bei SPD und Grünen, mit halbwegs nachvollziehbaren Zahlen unterfüttert.

Dabei sind wichtige Dinge liegen geblieben, andere zu kurz gekommen. Dazu gehört die unzureichend reformierte Pflegeversicherung, mit der den Menschen immer noch mehr Schutz versprochen wird, als sie jemals werden erwarten können. Nicht zu vergessen das Präventionsgesetz und die Neujustierung des Risikostrukturausgleichs nach morbiditätsgestützten Indikatoren. Eigentlich sollten beide bereits im Gesetzblatt stehen. Damit sind die wesentlichen Vorhaben für das Vorwahljahr 2005 auch schon benannt. Als wichtiges Projekt kommt noch die elektronische Gesundheitskarte hinzu. Darüber hinaus werden weder Regierende noch Opposition großen reformatorischen Eifer an den Tag legen. Detailentwürfe für Sozialreformen, so notwendig sie auch sind, eignen sich eben nicht für den Wahlkampf. Da braucht es holzschnittartige Schablonen. Mit der Verteidigung des christlichen Abendlandes gegen die Türken lässt sich allemal mehr Wahlerfolg erzielen, als mit der Umstellung der beitragsbezogenen Kassenfinanzierung auf einkommensunabhängige Gesundheitsprämien.

Doch was sind selbst diese Versprechungen – ob Prämie oder Bürgerversicherung – wert, wenn nicht einmal die Ankündigungen der bei weitem nicht systemstürzlerischen Gesundheitsreform erreicht werden? Einen Beitragssatz von weniger als zwölf Prozent hatte der Gesetzgeber für Anfang 2006 im Sinn, als er im September 2003 die Gesundheitsreform verabschiedete. Doch davon sind wir sehr weit entfernt. Der Trend zeigt Anfang 2005 eher in die entgegengesetzte Richtung.

Die in den vergangenen Jahren durch Preismoratorien und Zwangsrabatte niedrig gehaltenen Arzneimittelpreise werden zwangsläufig nach oben gehen und die Krankenkassen belasten. Das Zusammenlegen von Sozial- und Arbeitslosenhilfe wird die immer noch mit Milliarden Euro verschuldeten Kassen extra Geld kosten.

Auf der anderen Seite bleiben die Einnahmen mau, weil die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nicht steigt. Die Prognosen für das Wirtschaftswachstum 2005 bieten keine Hoffnung auf Linderung. Dass die Kassenmitglieder die Kosten für Zahnersatz und Krankengeld von Juli an alleine zahlen müssen, entlastet zwar die Arbeitgeber. Doch schlägt sich das doppelt negativ auf dem Lohnzettel der Arbeitnehmer nieder.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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