Zehn Jahre Lippen-Kiefer-Gaumenspalt- Chirurgie in Indien
Während zehn Operationsaufenthalten in Zentralindien von 1994 bis 2003 wurden durch wechselnde Teams aus Chirurgen und Anästhesisten sowie weiteren engagierten Personen aus der Schweiz, Deutschland und anderen Ländern Operationen an 725 Patienten (Tab.1) mit unoperierten Lippen-Kiefer-Gaumenspalten durchgeführt. Die Einsätze erfolgten meistens während der Herbstferien, welche von den Teammitgliedern geopfert wurden. Die Finanzierung erfolgte größtenteils über den Rotary Club Basel-Riehen. Es wurden etwa zehn bis 20 Patienten täglich während einer Operationszeit von acht bis zehn Stunden in einem gut belegten, christlichen Spital operiert.
Zwei der Verfasser, beide Chirurgen, die bei allen Einsätzen die personelle Kontinuität wahrten, hatten bereits Vorerfahrungen mit gleicher Arbeit in Sumatra, Indonesien (1991-1992), aber keiner war bisher auf eine so große Anzahl unoperierter Kinder, Jugendlicher und Erwachsener mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten gestoßen. Keiner der Kollegen oder der Krankenschwestern vor Ort am Spital in Indien hatte Erfahrung mit der operativen beziehungsweise postoperativen Betreuung von Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Daher waren einige Modifikationen in der chirurgischen, anästhesiologischen und pflegerischen Technik/Praxis notwendig, um die Qualität der Behandlung zu sichern. Die Sicherheitsstandards sollten so hoch wie in jedem anderen Land mit besseren Ressourcen sein. Beharren auf den Grundsätzen der eigenen Vorgaben [Lambrecht et al., 1984; Kreusch 1998] im europäischen Gesundheitswesen hätte neben dem Effekt des gewünschten Behandlungserfolges aber auch die Gastgeber irritieren und das Wohlwollen für zukünftige Einsätze gefährden können [Dupius 2004|.
Präoperatives Vorgehen
Die Rekrutierung der Patienten erfolgte durch Annoncierung der Projekte im 500 Kilometer weiten Umkreis des Spitals. Krankenhäuser (staatliche wie christliche), Privatpraxen und öffentliche Gesundheitseinrichtungen informierten über die Termine der „cleft palate camps“.
Die Patienten wurden nach der Erstbeurteilung durch die lokalen Kollegen direkt stationär aufgenommen. Ihre Unterbringung erfolgte auf extra freigemachten Stationen (Augen, HNO, aber auch auf Fluren und Verandas), um eine uneingeschränkte Kapazität zu ermöglichen. Die Zahl der möglichen Operationen limitierte sich somit nicht auf die vorhandene Bettenzahl. Die orale Hygiene war unzureichend, die Risiken einer Bakteriämie oder Sepsis wurden durch präoperative Zahnreinigungen und Chlorhexidinspülungen zu vermindern gesucht. Für die Narkoseabklärung waren unsere Anästhesisten verantwortlich, welche die Patienten am Abend vor der Operation untersuchten. Die Chirurgen stellten die Operationsindikation jedes Kindes und die Anamnese erfolgte unter Ermittlung des weitergehenden persönlichen und sozialen Umfelds – teilweise auch per Dolmetscher [Kreusch et al., 2000; Shah-Kreusch et al., 2000]. Prä- und postoperativ sowie bei den jährlichen Kontrollen dokumentierten Fotos die Befunde. Patienten mit zu hohen Operationsrisiken bestellte man auf das nächste Jahr neu ein. Diesen Patienten wurden die Gründe für den Aufschub der Operation beziehungsweise für die Unratsamkeit eines jeden elektiven Eingriffs erklärt. Sofern möglich, gab es einen neuen, späteren Termin für die Operation.
Materialien
Es war notwendig, mit den Materialien, Instrumenten, den Arbeitskräften und der Zeit streng zu wirtschaften. Von Anfang an lautete das Ziel „Hilfe zur Selbsthilfe“, das heißt, das Spital sollte eines Tages in allen Belangen bei der Behandlung von Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten autark sein. Zwei Siebe pro Tisch mit vielseitig einsetzbaren Instrumenten wurden umschichtig sterilisiert. Die Beschränkung auf nur vier Fadenstärken (4.0 und 5.0 Vicryl für subcutane und intraorale Nähte, 5.0 und 6.0 Ethicon für Hautnähte) verringerte den Arbeitsaufwand für die Schwestern. Die Operateure und die Schwestern waren vollsteril gekleidet. Die kontaminierte Kleidung wurde gewaschen und autoklaviert. Der Schlüssel zum Erfolg bezogen auf die Effizienz blieb der schnelle Wechsel zwischen den Operationen, der in der Regel zehn bis 15 Minuten betrug.
Anästhesie
Alle zur Operation vorgesehenen Patienten wurden am Vorabend prämediziert. Die Prämedikation umfasste eine gründliche klinische Untersuchung mit Auskultation von Herz und Lunge, Inspektion des Nasenrachenraumes, der Ohren sowie bezüglich anderer Fehlbildungen. Gegebenenfalls konnte ein EKG beziehungsweise ein Röntgen-Thorax angefordert werden.
Bei bestehenden Infekten bekamen die Patienten eine antibiotische Vorbehandlung und man stellte den geplanten Eingriff zurück. Kinder mit hochgradiger Anämie (Hb unter acht Gramm/Prozent) wurden in der Regel präoperativ auftransfundiert, wobei die Angehörigen Blut spendeten. Die medikamentöse Prämedikation war den hauseigenen Gepflogenheiten angepasst und erfolgte mit Atosil und Atropin, gewichtsadaptiert m.
Die Narkose am OP-Tag wurde in der Regel intravenös mit Thiopental eingeleitet, zur Relaxierung gab es Succinylcholin, um bei eventuell fehlender Nahrungskarenz eine schnelle Intubation zu ermöglichen. Die Narkoseaufrechterhaltung erfolgte mit einem Lachgas-Sauerstoffgemisch sowie Halothan als Inhalationsanästhetikum. Alle Patienten wurden manuell über ein Kreissystem beatmet. Im Krankenhaus steht als Opiat ausschließlich Morphin zur Verfügung. Um bei fehlenden postoperativen Überwachungsmöglichkeiten die Risiken eines Relaxansbeziehungsweise Morphinüberhangs zu vermeiden, wurde auf die Gabe dieser Substanzen verzichtet, wobei aufgrund der Lokalanästhesie durch die Operateure eine sehr flache Halothan-Narkose ausreichte.
Herzrhythmusstörungen hervorgerufen durch das dem Lokalanästhetikum in einer Konzentration von 1:200 000 zugefügte Adrenalin traten nie auf. Aufgrund dieser Narkosetechnik war eine sehr rasche Wiederkehr von Spontanatmung und Schutzreflexen möglich, die die Gefahr von postoperativen Überhängen vermieden und zusätzlich eine Wechselzeit von maximal zehn Minuten zwischen Aus- und nächster Einleitung ermöglichten.
Als postoperatives Analgetikum erhielten alle Patienten noch im OP Paracetamol rektal. Zur Intubation wurden bei Kindern ungeblockte vorgeformte Polyvinyl-Endotrachealtuben, bei Erwachsenen ebenfalls vorgeformte Tuben mit Cuff verwendet.
Intra- und postoperativ erhielten alle Patienten eine isotone Elektrolytlösung. Nach der Ausleitung wurden alle Patienten in Seitenlage gebracht und auf die dem OP angrenzende Normalstation verlegt. Dort wurden sie vom Pflegepersonal und den Angehörigen überwacht. An jedem Bett standen ein Sauerstoffanschluss, eine Absaugeinheit sowie die Möglichkeit der Monitorüberwachung mittels Pulsoxymetrie zur Verfügung. Die Narkoseverläufe bei Kindern und Erwachsenen waren mit diesem, auch dem einheimischen Team geläufigen Narkoseverfahren unproblematisch; in seltenen Fällen war nach Gaumenverschlüssen die postoperative Spontanatmung durch Schwellung des Zungengrundes aufgrund des einliegenden Sperrers verzögert, nach Cortisongaben jeweils aber beherrschbar. Vital bedrohliche Zwischenfälle traten nie auf. Jeder Narkosearbeitsplatz war mit einem Narkosegerät mit Kreissystem und CO2–Absorber, Halothan-Verdampfer und Pulsoxymetrie ausgestattet. Es wurde großen Wert darauf gelegt, die Narkosen mit den einheimischen Anästhesiepflegekräften gemeinsam durchzuführen. So wurden abwechselnd Anästhesieführung und Assistenz von uns übernommen.
Alle Medikamente und das gesamte Gebrauchsmaterial stammten aus Deutschland aus Spenden und waren im Krankenhaus eingeführt.
Im Krankenhaus wurden 36 Flaschen Dantrolene zur Behandlung eines eventuell auftretenden Falles von maligner Hyperthermie zur Verfügung gestellt.
Lippenspalten
Unilaterale Spalten (Abb. 1, Tab. 2) wurden entweder nach der Rotationsmethode [Millard, 1957] oder mittels Dreiwinkel-Technik [Randall, 1959] mit oder ohne einschichtigem Verschluss des anterioren Gaumens mit einem Vomer-Mucoperiostlappen, je nach der Situation am Patienten und der sich daraus ergebenden Präferenz des Operateurs verschlossen. Die nasale Deformation wurde bei entsprechender Indikation primär verbessert, indem der disloziierte Knorpel in die natürliche Position gebracht wurde. Je nachdem es die Zeit erlaubte, erhielten Patienten mit vollständigen unilateralen Spalten eine komplette Rekonstruktion der Lippe und des harten und weichen Gaumens. Dies war arbeits- und zeitaufwändig und mit erhöhtem Blutverlust verbunden, sodass in Anbetracht der großen Anzahl von Patienten im Allgemeinen zuerst die Lippenspalten verschlossen wurden und dann in einem zweiten Eingriff ein Jahr später die Gaumenspalten. So bekamen wir teilweise auch unsere Spätergebnisse zu sehen.
Die bilateralen Lippenspalten (Abb. 2) wurden nach Veau [1938] - Axhausen [1952] operiert. Die Spalten des Alveolarfortsatzes wurden nicht verschlossen. In einigen Fällen wurde primär oder sekundär die Columella verlängert.
Der subjektive Eindruck der Operateure war, dass bei älteren Kindern oder Erwachsenen die anatomischen Markierungspunkte einfacher aufzufinden waren und der Nasenknorpel einfacher zu präparieren, zu mobilisieren und zu reponieren war. Sowohl bei den uniwie auch bei den bilateralen Spalten war genügend Weichgewebe vorhanden, so dass die Haut und die Mucosa bei älteren Patienten einfacher zu adaptieren waren. Fehlpositionierte Zähne (Abb. 3), die nach dem Verschluss die Wundheilung hätten stören können, wurden extrahiert. Bei manchen Erwachsenen mit vollständigen bilateralen Spalten war der sichere Verschluss in allen Fällen unter Erhalt der vorstehenden Prämaxilla möglich. Bei einigen Patienten wurde die Prämaxilla per Osteotomie zurückgesetzt („set back“).
Gaumenspaltenverschluss
Die Erfahrung bei vergleichbaren Projekten [Ortiz-Morasterio et al., 1974] zeigte, dass der Gaumenspalten-Verschluss bei Erwachsenen selten zu einer normalen Sprache führte. (Tab. 3) Trotzdem wurde beschlossen, da so viele Patienten unterschiedlichen Alters und Spaltentyps präoperativ untersucht wurden, die konventionelle Auffassung zu vertreten und die Gaumenspalten bei allen Patienten, die ins Spital kamen ungeachtet des Alters zu verschließen (Abb. 4). Es wurde vorausgesetzt, dass die Ernährung (Schluckakt) verbessert wurde, dass Ohrinfektionen vorgebeugt wurde und dass auch bei manchen Patienten eine leichte Sprachverbesserung eintreten konnte [Fleiner et al., 1991]. Diese Betrachtungsweise der anatomischen, morphologischen, funktionellen und soziologischen Faktoren implizierte, dass insgesamt mehr Patienten von einem Gaumenverschluss profitieren würden und weniger nicht davon profitieren würden. Die Gaumenspalten wurden nach den von Widmeyer [1959] und Kriens [1971] angegebenen Methoden ohne Pharyngoplastik [Lambrecht et al., 1991] verschlossen. Die Probleme zeigten sich vor allem bei älteren Kindern beziehungsweise Erwachsenen in Form von breiten Spalten oder mehr vertikal verlagerten Gaumen-Segmenten, die die Folge einer verlängerten Interposition der Zunge in die Spalte waren [Ortiz-Morasterio et al., 1974] und bei Einbis Zweijährigen nicht gesehen werden. Es gab auch gehäufte mukoperiostale Fibrosen, die die Präparation der oralen und nasalen Blätter erschwerten und zu verstärkten Blutungen führten. Andere Beobachtungen zeigten Schwierigkeiten in der Präparation des M. levator palatini, der unterschiedliche Grade der Fibrose und der Verkürzung aufwies.
LKG-spaltunabhängige Operationen
In 63 Fällen wurden LKG-spaltunabhängige Operationen durchgeführt. (Tab. 5) Die chirurgisch tätigen Kollegen im Padhar Hospital stellten während unserer Anwesenheit ihr Tagesprogramm zurück (keine Wahleingriffe). Die Notfalloperationen (vornehmlich Sectio) erfolgten in einem kleinen notfallmäßig eingerichteten Operationssaal. Weitere nicht verschiebliche Eingriffe (zum Beispiel Abszesseröffnungen und Traumatologie) wurden im Nachtprogramm vorgenommen. Hier kam es vor, dass auch Schädelverletzungen und andere Notfälle von uns zu versorgen waren. Im Weiteren wurden auch, sobald die Kapazitäten vorhanden waren, Transplantationen durchgeführt oder bei Tumoroperationen im Kiefer-Gesichtsbereich zusammen operiert.
Postoperative Betreuung und Komplikationen
Die einheimischen Schwestern in den Extrasälen und auf den Stationen wurden in das operative und postoperative Protokoll eingewiesen und mit möglichen Komplikationen vertraut gemacht. Der Einbezug von begleitenden Familienmitgliedern der Patienten in die direkte postoperative Patientenbetreuung war für uns neu und ein Vorteil, den wir in weiterentwickelten Ländern nicht kennen. Die normale Ernährung in Indien besteht aus süßem Tee und weicher Kost (zum Beispiel Linsen, gekochter Reis) und ist somit ideal für den Schutz der intraoralen Wunden und für eine ausreichende postoperative Kalorienzufuhr. Während der Hospitalisierung erfolgte nach jeder Mahlzeit eine Zahnreinigung und Mundspülung, die Lippennähte wurden mindestens einmal täglich desinfiziert und bei Bedarf mit einer topischen Salbe behandelt. Einmal täglich erfolgte die Supervision und Visite der Operateure, bis der Zustand der Wunden eine Entlassung der Patienten mit Lippenverschluss nach der Nahtentfernung zuließ. Die Patienten blieben im Allgemeinen sechs bis sieben Tage, die Mehrheit der Patienten mit Gaumenspalten blieb sieben bis neun Tage stationär.
Lippendehiszenzen sahen wir in zehn Jahren dreimal, zweimal unvollständig, einmal vollständig, alle über postoperative Infektionen.
Palatinalfisteln waren die häufigste Komplikation. Fisteln in regio des Foramen incisivum waren gelegentlich unvermeidbar. Es kam auch zu partiellen Ischämien in Folge der erschwerten Mobilisierbarkeit derjenigen fibrosierten nasalen und oralen Schichten des Gaumens, die unter Spannung adaptiert werden mussten. Vollständige palatinale Dehiszenzen gab es selten. Eine zuverlässige zahlenmäßige Auflistung der Langzeitkomplikationen ist nicht möglich, da nicht alle Patienten wieder erschienen. Die Zahl der sekundären Operationen und der Operationen mit Bezug zu LKG-Spalten (Abb. 5) sind in Tabelle 4 zusammengefasst.
Ziel war es, dass alle Patienten sicher entlassen werden konnten (Abb. 6), ohne die einheimischen Ärzte vor unlösbare Probleme zu stellen.
Diskussion
Es war nicht das erste Mal, dass ein westliches Ärzteteam in ein medizinisch unterentwickeltes Gebiet reiste, um Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und anderen angeborenen oder erworbenen Fehlbildungen zu operieren. Hilfsorganisationen in allen Erdteilen haben viele solcher Expeditionen finanziert und haben von den Erfahrungen berichtet, entweder in anekdotischer Form oder in Form eines Überblicks mit einer großen Patientenzahl [Boo-Chai, 1971; Ortiz-Morasterio et al., 1974; Ward and James, 1990|. Trotzdem ist die gelegentliche „chirurgische Safari“ von teilweise eingeschränktem Wert und kann Gastgeberländer verärgern, in denen man sich des unzureichenden medizinischen Standards bewusst ist und man versucht, die Situation selbst vor Ort zu verbessern. Verständlicherweise möchte man nicht die Einschränkungen von westlichen, wohlmeinenden Ärzten erklärt haben. Auch sollten die Einsatzteams die Standards in den Gastgeberländern nicht zu hoch setzen, die dann aus Kostengründen nicht aufrechterhalten werden können. Den einheimischen Chirurgen sollten einfache, zuverlässige und sichere Techniken gelehrt werden.
In unserem Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Projekt in Indien hatte keiner der führenden Chirurgen zu Beginn weniger als sechs Jahre Erfahrung im Gebiet der Spaltoperationen, daher waren wir gut gerüstet für den Einsatz selbst und die Ausbildung der einheimischen Chirurgen. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu anderen Projekten war die enge und von beiden Seiten gewünschte Zusammenarbeit: zehn Jahre am gleichen Ort, man kann sich aufeinander verlassen, beide Seiten wussten, was zu erwarten war.
Die Nachkontrollen erlaubten eine Einschätzung der Wirksamkeit der Behandlung und als Folge ein Verständnis für die Indikationen der verschiedenen Arten der Operationen. In großen Ländern wie Indien, wo die Einwohner stärker verstreut leben, die Kommunikation nur eingeschränkt möglich ist und das Straßen- und Eisenbahnnetz in Relation zur Bevölkerungszahl spärlich ist, kommen die Patienten verständlicherweise häufig nicht nochmals zur Nachkontrolle, wie die Mexiko-Studie [Ortiz-Morasterio et al.1974] zeigte. In diesem Projekt, wo die Patienten mit kompletten Lippen-Kiefer-Gaumenspalten nicht für einen zweiten Eingriff erscheinen wollten, wurde zuerst der Gaumen verschlossen, um eine größere Chance zu haben, dass die Patienten zum Lippenverschluss nochmals kamen. Lange nicht alle Patienten erschienen bei uns zur angebotenen zweiten Operation (Gaumen nach Lippe). Die äußere Ästhetik wurde weit wichtiger eingeschätzt als die interne Funktion. Nächtliche lange Diskussionen, den weichen Gaumen zuerst zu verschließen und später die Patienten zur Lippenoperation aufzubieten, führten zu keinem entsprechenden Ergebnis, da die Angehörigen der jungen Patienten für ein derartiges Vorgehen überhaupt kein Verständnis gehabt hätten und ein kontraproduktiver Effekt zu erwarten war. Natürlich werden ästhetische Aspekte von Laien anders gesehen als von Fachleuten, welche auch die Funktion immer in ihre Beurteilung einschließen. Neu für uns war in diesem Zusammenhang, dass Lage, Form und Dimension des Oberkiefers bei Patienten mit nicht operierten Lippen-Kiefer-Gaumenspalten eher eine normale Entwicklung zeigten. Dies wurde im Rahmen einer Dissertation untersucht [Lambrecht et al., 2000].
Acht von zehn Menschen haben weltweit keinen Zugang zu elektiver chirurgischer Versorgung [Mahler, 1981]. Indien hat derzeit mehr Glück als andere Dritte Welt Länder. Neben medizinischen Famulaturen [Winkes, 1999] findet in diesem Land an mehreren Zentren durch die International Cleft Lip and Palate Foundation (IICLPF) eine weitumfassende Fürsorge statt [Sailer, 2004].
Das Geld für unsere Einsätze wurde durch den Rotary Club Basel-Riehen und teilweise per „matching grant“ durch Rotary International aufgetrieben. Weitere Spenden erhielten wir durch die Friends of Padhar Hospital Germany (www.friends-of-padhar.de). Rotary International unterstützte auch Einsätze in anderen Ländern über „Rotoplast“ oder die ROSAS Foundation [Machtens und Gellrich, 1995]. Interplast, eine weitere internationale Organisation mit gleichen Zielsetzungen unterstützt seit 1980 Einsätze weltweit [Voy et al., 1998; Mertens 1999].
Wichtig zu bemerken ist, dass durch die Kontinuität des Projektes immer mehr Patienten, welche wir in den Jahren vorher schon operiert hatten, wiederkamen, so dass wir uns über die Langzeitergebnisse unserer primären Resultate ein Bild machen konnten. Das Projekt hat sich als sehr effektiv erwiesen, und zwar aus folgenden, uns vorher nicht bekannten, Gründen: Wie bekannt ist, investiert Bill Gates über Microsoft außerordentliche Summen in „Charity“, sprich Hilfe für die Armen und Hungrigen auf dieser Welt.
Ein Projekt, in Fachkreisen bekannt als „Smile Train“, nimmt sich der Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten in der Dritten Welt an. Das Projekt wird von Spezialisten sehr gezielt organisiert, die sich unser Projekt, welches einen erheblichen Bekanntheitsgrad in Indien in Fachkreisen erreicht hatte, ansahen. Sie machten sich im Spital, ohne dass wir anwesend waren, während des Jahres anhand der von uns hinterlassenen Dokumentationen über die von uns operierten Patienten, sowie anhand der Aussagen der dortigen Kollegen und vor allen Dingen auch anhand der multiplen regionalen und überregionalen Zeitungsartikel, ein Bild über unser Projekt.
Smile Train erklärte daraufhin das Padhar Hospital zum Zentrum für die Behandlung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten in Zentralindien und unterstützt jedes dort operierte Kind mit einem Beitrag von 120 US$ an das Spital. Mit diesem Geld konnte, und das war eine Auflage von Smile Train, ein eigener Anästhesist angestellt werden. Das Spital ist mit der Aufnahme in das Smile Train Programm nun völlig autark, was die Behandlung von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten betrifft. Die von uns geleistete Arbeit trägt so ihre Früchte.
Arbeiten und Lehren in einer solchen Umgebung ist Teil der Erfahrungen ausgebildeter Chirurgen wohlhabender Länder geworden, nicht nur aus altruistischen Motiven heraus, sondern um ihrem eigenen Leben eine weitere Perspektive zu eröffnen. Im Zeitalter der Globalisierung kann so ihrer Ausbildung und ihrer Berufserfahrung eine sinnvolle Entfaltungsmöglichkeit mit neuen Horizonten gegeben werden.
Zusammenfassung
Es wird über zehn zeitlich gestaffelte Einsätze mit einer Dauer von jeweils ein bis zwei Wochen während der Herbstferien in einem christlichen Spital in Zentralindien (Padhar Hospital) berichtet, bei denen eine Gesamtzahl von 725 Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten versorgt werden konnte. Es wird eine Analyse der Operationen im Hinblick auf operative Lippenverschlüsse, operative Verschlüsse der Gaumenspalten, Sekundäroperationen und weitere Eingriffen gegeben. Unterschiede zum Therapiekonzept in entwickelten Ländern werden aufgezeigt sowie die Erfahrungen anderer OP-Teams in der Dritten Welt diskutiert und deren Erfahrungen mit den eigenen verglichen.
Prof. Dr. Dr. med. J. Thomas LambrechtKlinikvorsteher, Klinik für zahnärztliche Chirurgie,-Radiologie, Mund- und Kieferheilkunde,Zentrum für Zahnmedizin der Uni. BaselHebelstrasse 3CH-4056 Basel
Prof. Dr. Dr. med. Thomas KreuschChefarzt Abt. MKG-ChirurgieKlinikum Nord-HeidbergTangstedter Landstr. 40022417 Hamburg
Dr. med. Gabriele von la RoséeLeitende Ärztin, Klinik für Anaesthesiologieund IntensivmedizinKatholische Kliniken RuhrhalblinselSt. Josef-Krankenhaus KupferdrehHeidbergweg 22-2445257 Essen
DanksagungWir danken dem Rotary Club Basel-Riehen(CH) und den Friends of Padhar Hospital Germanyfür die Unterstützung des Projekts.