Die GKV ist pleite
Hartwig Broll
Gesundheitspolitischer Fachjournalist in Berlin
Die unerfreulichen Zahlen des GKV-Finanzergebnisses von Anfang März verdeutlichen erneut die kritische finanzielle Situation, in der sich die GKV nach wie vor befindet. Zwar verweist das Bundesgesundheitsministerium auf die finanzwirksamen Elemente des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG), aber diese enthalten eben auch viele Unsicherheiten und Risiken. Ulla Schmidt dürfte mit ihrer Einschätzung, 2004 werde ein Jahr der Beitragssatzsenkungen, im besten Fall kurzfristig richtig liegen. Sollte eine nennenswerte Zahl weiterer Kassen im Vertrauen auf die von der Politik errechneten Einsparungen ihren Beitragssatz spürbar absenken, könnte dies erneut zu einer latenten Unterfinanzierung führen – und damit erneut zu deutlichen Defiziten.
Die Gründe für eine eher skeptische Einschätzung liegen nicht allein in der tatsächlichen Höhe des Defizits des Jahres 2003, sondern sind sehr vielfältig. Nach Maßgabe des Finanztableaus des GMG soll durch dessen finanzwirksame Regelungen die GKV um knapp zehn Milliarden Euro entlastet werden. Selbst den Teilnehmern der Fachebene an der Berliner Konsensrunde war immer klar, dass diese Zahlen in der Regel nur recht vage Schätzungen sind. Die Politik wollte ein gewisses Entlastungsvolumen erreichen, also lieferte die Fachebene ihr die passenden Berechnungen. Aber es liegt nicht allein an der Unsicherheit über die tatsächlichen Auswirkungen, nicht allein an ein paar 100 Millionen Euro mehr oder weniger, warum das Finanztableau des GMG auf tönernen Füßen steht. Es enthält nämlich auch ausgesprochen massive Rechenfehler, die einfach auf Denkfehlern beruhen.
Da ist zum einen das Defizit des Jahres 2003. Dieses ist zwar mit drei Milliarden Euro in die Berechnungen der Konsensrunde eingeflossen, und die Frage, ob es ein paar 100 Millionen Euro größer oder kleiner ist, ist eigentlich weniger relevant. Vergessen haben die Politiker und offensichtlich auch die Ministerialbürokratie, dass dieses Defizit ja auf einer Diskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben beruht, man hat also die es verursachende Einahmen-Ausgabenschere vernachlässigt. Natürlich könnte die Politik darauf verweisen, diese Schere durch die Maßnahmen des GMG geschlossen zu haben – aber diese Maßnahmen sind ja im Entlastungsvolumen von zehn Milliarden Euro bereits enthalten.
Ob die für Schuldenabbau und Rücklagenauffüllung für das Jahr 2004 vorgesehenen drei Milliarden Euro ausreichend bemessen sind, dürfte nicht zuletzt auch am tatsächlichen Schuldenstand der GKV liegen. Der Gesetzgeber hat den Kassen für den Abbau ihrer Schulden zwar insgesamt vier Jahre Zeit eingeräumt, gleichzeitig aber eindeutig geregelt, dass eine erneute Kreditfinanzierung nicht mehr geduldet wird.
Sollten die Banken, denen das Bundesversicherungsamt bereits vor geraumer Zeit mitgeteilt hat, dass längerfristige Kreditverträge mit GKV-Kassen schlicht nichtig sind, die entsprechenden Kreditlinien tatsächlich zurückfahren, werden die Kassen just in dem Moment Liquiditätsprobleme bekommen, zu dem sie eigentlich die Beiträge senken sollen.
Und auch die tatsächliche Höhe der Verschuldung ist weitgehend unbekannt. Jeder, der schon einmal einen Dispositionskredit in der Höhe eines Monatseinkommens ausgeschöpft hat, weiß, dass man die Frage, ob man Schulden hat, höchst unterschiedlich beantworten kann, je nachdem, ob man am 30. oder am zweiten eines Monats gefragt wird. Hinzu kommen dann noch die bei vielen Kassen eingerissenen Unarten, etwa Krankenhausrechnungen auch dann nicht zu bezahlen, wenn sie eigentlich unstrittig sind – fast schon ein Indiz dafür, dass die Aussage eines Vorstandsvorsitzenden einer GKV-Kasse, die GKV sei pleite, durchaus zutreffend sein kann.
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