Die Klatsche der Staatsgewalt
Liebe Leserinnen und Leser,
„mittelfristig wird sich unser Gesundheitswesen so verändern, dass sich die notorischen Schwarzseher und geborenen Berufsnörgler die Augen reiben werden.“ Zitat Ulla Schmidt, getätigt in einem Interview der Krankenversicherungs-Zeitschrift „Kennzeichen BKK“. Patienten, Ärzte- und Zahnärzteschaft, Gesundheitsökonomen, medizinische Fachangestellte, ein großer Teil der journalistischen Medienvertreter, private und sogar gesetzliche Krankenkassen, Verbraucherverbände und eine große Anzahl deutscher Parlamentarier – alles notorische Schwarzseher und geborene Berufsnörgler? Die aktuelle Situation im deutschen Gesundheitswesen bietet keinen erkennbaren Anlass für die Hoffnung der Bundesgesundheitsministerin auf einen Erfolg ihrer Gesundheitspolitik. Schon ein Blick in den Nachrichtenteil dieser Ausgabe reicht aus, um klarzustellen: Das Durcheinander in der Republik, die Verunsicherung und Unzufriedenheit der Patienten, die Unsicherheit im Umgang mit dem Gesetzeswerk lassen nicht erkennen, dass Deutschlands Bürger sich mit dieser Art Sozialpolitik abfinden. Nicht zuletzt die als politisches Stimmungsbarometer anzusehenden Hamburger Wahlen geben einen Vorgeschmack auf die Quittungen, die in diesem extensiven Wahljahr noch zu erwarten sind.
Dass gerade die „notorischen Berufsnörgler“ mit ihren tagtäglichen Erfahrungen zu den Auswirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes versuchen, praktikable Wege aus dem Desaster zu finden, ist pure Not, und nicht Anzeichen für Einsicht oder gar Einverständnis mit den Maßgaben des Gesetzgebers. Unruhe und Protest – wie jetzt in Bayern aufgezeigt – halten an und werden mit unangemessenen Methoden beantwortet: Eine CSU-Regierung setzt auf Basis eines erstinstanzlichen Sozialgerichtsurteils den Staatskommissar ein. Drastischer geht es nicht mehr.
Ein Ende der Probleme ist nicht in Sicht. Die aktuell präsentierten roten Zahlen der GKV lassen – trotz beschönigender Interpretationen des Bundesgesundheitsministeriums – wenig Anlass zu der ministeriellen Hoffnung, dass mit diesem Gesetz die Krise bewältigt werden kann. Sie ist strukturell. Und der Blick hinter die Zahlen zeigt: Die GKV ist pleite. Selbst die auf ein ungewisses „Später“ in Aussicht gestellte „nachhaltige Sicherung der Finanzgrundlagen in der langfristigen Perpektive“ lässt nicht vermuten, dass man gewillt ist, mit Mut das Steuer herumzureißen, sich durchaus vorhandenen Alternativen anzunehmen.
Augenscheinlich müssen die „notorischen Berufsnörgler und geborenen Schwarzseher“ – von der Stimmungslage her wohl die Mehrheit der Republik – auf substanzielle Hilfe ihrer gewählten Regierung verzichten. Das kaum zu überhörende Stottern des Wachstumsmotors Gesundheitswesen wird geflissentich ignoriert, eine Generalüberholung augenscheinlich nicht erwogen. Die Augen reiben? Ja, aber schon jetzt, weil man den ständigen Blick auf das Dilemma so nicht mehr aushalten kann.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Jürgen FedderwitzAmtierender Vorsitzender der KZBV