Was wird wenn und wer wird was
Thomas Grünert
Chefredakteur Vincentz
Network Berlin
Die Parlamentarische Sommerlochsparty Ende Juli galt bislang auch für Gesundheitspolitiker im und um den Bundestag als Startschuss für die Urlaubssaison. Dass in diesem Jahr alles anders ist, ist spätestens seit dem 22. Mai klar. Statt heißer Sonne am südlichen Strand, heißer Wahlkampf in Deutschland. Wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen produzieren Parteien, Verbände und Lobbyisten seitdem Wahlprogramme. Und was steht drin? Zumindest aus gesundheitspolitischer Sicht nichts Überraschendes. Dagegen aber vieles, was sich als Wahlkampfmunition eignet. Dabei ist bereits jetzt klar: Wenn der Pulverdampf sich verzogen hat, wird man erkennen, dass die „harten Geschosse“ wie Seifenblasen zerplatzt sind.
Was wird also mit der Gesundheitspolitik in Berlin? Die Antwort ist mehr denn je ein großes Fragezeichen. Zusammengesetzt aus einer fast endlosen Kette Was-wird-wenn?-Spekulationen, gewürzt mit einer kräftigen Priese Wer-wird-was? Kurz gesagt: Der Stoff, der Politiker und Funktionäre auch ohne Sommerhoch so richtig heißlaufen lässt. Von Schwarz-Gelb über Große Koalition bis zu Rot-Rot-Grün werden Modelle gebaut. In Hintergrundrunden wird rege diskutiert und kontaktet. Schließlich gilt es, vorne zu stehen, wenn die noch unbekannten Wahlgewinner die Plätze in der ersten Reihe verteilen.
Dass es in der Gesundheitspolitik diesmal besonders spannend wird, liegt wohl auch daran, dass sich in kaum einem Fachbereich im Parlament ein größerer Wechsel vollzieht als hier. Weit über die Hälfte der Gesundheitsausschuss- Mitglieder sind in der neuen Legislaturperiode nicht mehr im Bundestag vertreten. Nicht nur parlamentarisches Urgestein, wie der bisherige Ausschussvorsitzende Klaus Kirschner oder Dr. Dieter Thomae, hört auf. Viele, die sich oft über mehrere Legislaturperioden in die komplizierten Zusammenhänge und Verflechtungen des Gesundheitswesens eingearbeitet haben, wollen oder müssen Platz machen für eine neue Parlamentarier-Generation.
Folge: Die liegen gebliebenen Knochen der Vergangenheit werden neu gekaut. Vom Präventionsgesetz bis hin zu Finanzierungsmodellen für die GKV muss alles neu gedacht und entschieden werden.
Ähnlich sieht es auf politischen Stellen in den Ministerien aus. Selbst dann, wenn Rot- Grün wieder ans Ruder käme, bliebe der seit Ende Mai laufende Amts-Exodus nicht ohne Folgen. Wenn im September eine neue Regierung gewählt wird, dürfte es mindestens Mitte November werden, bis sich die Bundestagsausschüsse konstituiert haben und die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium funktioniert. Insider gehen davon aus, dass es dann noch fast ein halbes Jahr dauern könnte, bis der „Laden wieder richtig läuft“. So richtig kompliziert würde es, wenn sich eine neue Regierung dazu entschließt, die Zuschnitte der Ministerien wieder zu ändern. Etwa Gesundheit und Soziales wieder mit Arbeit zu kombinieren. Ein unerfreulicher Schritt, nicht nur aus Sicht der Gesundheitspolitik, wurde doch die Neustrukturierung mit nicht unbeträchtlichen Kosten, beamtenrechtlichen Konsequenzen und gewaltigem Aufwand vor nicht allzu langer Zeit erst abgeschlossen. Wer also auf große Entscheidungen in der Gesundheitspolitik wartet, kann sich getrost in einen langen Winterschlaf begeben. Dass er beim Aufwachen vor Überraschung gleich wieder in Ohnmacht fallen könnte, ist eher unwahrscheinlich. Trotz des oben genannten großen Fragezeichens ist nicht davon auszugehen, dass die kleinen Stellschrauben am komplexen Apparat Gesundheitswesen bald gegen große Stellräder ausgetauscht werden. Das gilt vor allem für die Finanzierungsmodelle der Parteien. Dass es je zu einer Bürgerversicherung kommt, bezweifeln in Berlin selbst hochrangige SPD-Politiker – es sei denn, eine Kamera läuft gerade mit. Auch das CDU-Modell Gesundheitsprämie dient der Partei vorwiegend als Kühlerfigur im Wahlkampf. Welcher Motor später mal unter der Haube für ruckelfreie Fahrt in Richtung Gesundheitsfinanzierung sorgen soll, ist längst nicht abgemacht.
Ein neue Geschmacksnote dürfte die künftige Gesundheitspolitik aber dennoch bekommen. Nicht erst das Gerangel um das am Ende doch eingemottete Präventionsgesetz hat deutlich gemacht, dass die Länder künftig ein gewichtigeres Wort mitsprechen wollen. Der Generationenwechsel im Parlament wird diesen Trend verstärken. Und auch aus Europa dürften künftig stärkere Akzente zu hören sein. Das EuGH-Urteil zu Festbetragsregelungen, das beispielsweise die Position der Kassen längst nicht so deutlich festlegt, wie diese es gerne hätten, war nur ein kleiner Vorgeschmack. Ebenso die EU-Dienstleistungsrichtlinie, deren mögliche Folgen für das deutsche Gesundheitswesen eher unterschätzt.
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