Wege zur ausreichenden toxikologischen Sicherheit von Tabakprodukten
In einem Hintergrundpapier des DKFZ aus der Feder von Heinz Walter Thielmann und Martine Pötschke-Langer vom Frühjahr 2005 heißt es: In Deutschland sterben mehr Menschen durch Zigarettenrauchen als durch Alkohol, illegale Drogen, Verkehrsunfälle, AIDS, Morde und Selbstmorde zusammen.
Jährlich sind schätzungsweise 110 000 bis 140 000 Opfer des Zigarettenrauchens zu beklagen. Abbildung 1 zeigt, dass die Lebenswahrscheinlichkeit von Rauchern und Nichtrauchern ab dem 35. Lebensjahr deutlich divergiert Allein die Krankheitskosten und Produktionsausfälle liegen in Deutschland bei rund 40 Milliarden Euro pro Jahr – eine Summe, die weitaus höher ist als die vom Staat eingenommene Tabaksteuer.
Offene Fragen der Produktgestaltung
In der Bekämpfung dieser Seuche sind sich Mediziner und Gesundheitspolitiker weitgehend einig. Die bestehenden und geplanten Regulierungen, zum Beispiel für Werbung oder Verkaufsmöglichkeiten an Jugendliche, sind bekannt. Noch wenig Augenmerk richtete man bislang jedoch auf die Produktgestaltung, also auf die Bestandteile der fertigen Zigaretten. Tabak und die übrigen Beimengungen werden laut Tabakverordnung lediglich nach dem Lebensmittelrecht betrachtet – die durch den Glühvorgang wirklich konsumierten Umwandlungsprodukte dieser Bestandteile blieben bislang eher am Rande der wissenschaftlichen und administrativen Aufmerksamkeit. Allerdings sind nach der Tabakverordnung die Hersteller gehalten, gesundheitsgefährliche Herstellungspraktiken oder Zusatzstoffmengen zu vermeiden. Es ist also anzunehmen, dass auch nach dieser bestehenden, sehr pauschalen Anordnung die eingesetzten Stoffe nach Art und Menge nicht dem Gesetz entsprechen.
Aber auch die Verordnung selbst hat Mängel. Die – zweckentfremdet – erlaubten Lebensmittelzusatzstoffe, wie Aromen, Säfte, Zucker, Feuchthaltemittel, Klebe- und Verdickungsmittel, Weißbrandmittel (vor allem Talk), Farbstoffe, Heizschmelzstoffe oder Weichmacher, wurden allesamt nicht nach ihrer pyrolytischen Veränderung in der Glutzone von Zigarette oder Pfeife analysiert. Die angestrebte Unbedenklichkeit sei damit verspielt, vielfach entstünden sogar potente Karzinogene. Deren Liste ist ebenfalls lang und umfasst Benzo[a]pyren, N-Nitrosamine, Nitrobenzol, o-, m- und p- Toluidin und viele andere mehr. Bereits kanzerogen wirken Zusatzstoffe wie Chrom- und Kobaltverbindungen oder Talk.
Nach Ansicht des DKFZ haben es diese Inhaltsstoffe in sich: Ganz gegen die Beteuerungen der Produzenten – das Bild (Abbildung 2) zeigt die Vorstände der amerikanischen Zigarettenindustrie bei der Vereidigung vor dem US-Senat – dienen diese Beimengungen nämlich präventivmedizinisch gesehen sehr fragwürdigen Zielen: Sie sollen bei Nichtrauchern – vor allem Kindern und Jugendlichen – den Einstieg in das inhalative Rauchen erleichtern, beim Raucher die akuten, negativen Wirkungen auf die Atemwege verschleiern und das Suchtpotenzial der Zigaretten steigern.
Erst nach mühevoller Kleinarbeit konnte die jahrzehntelange Desinformationskampagne der Hersteller zu diesen Themen aufgedeckt werden. Das DKFZ dokumentiert einige der gravierendsten Dokumente in dem Band „Die Tabakindustriedokumente I: Chemische Veränderungen an Zigaretten und Tabakabhängigkeit“, der wie die anderen hier genannten Dokumentationen bei der Stabsstelle Krebsprävention und WHOKollaborationszentrum für Tabakkontrolle des DKFZ unter www.tabakkontrolle.de bezogen werden kann. Das gilt insbesondere auch für die Kurzdokumentation „Erhöhte Gesundheitsgefährdung durch Zusatzstoffe in Tabakerzeugnissen – Konsequenzen für die Produktregulation“, aus der hier vor allem zitiert wird.
Vorgeschlagene Auswege aus der Gefahrensituation
Die Verfasser resümieren ihre Vorschläge an den Gesetzgeber: „Die bestehende Tabakverordnung muss völlig neu gefasst werden. Die Liste der für Lebensmittel genehmigten Zusatzstoffe ist untauglich für Tabakwaren. Die dort genannten Zusätze werden schließlich nicht gegessen, sondern nach Passieren der Glutzone im Atemtrakt wirksam. Die Umwandlung der Zusatzstoffe bei hoher Temperatur und der inhalative Aufnahmeweg führen zu toxischen Effekten, die bei zum Essen bestimmten Lebensmitteln keine Rolle spielen. Eine gesundheitsorientierte Tabakverordnung muss daher die toxischen Effekte der Pyrolyse-Produkte berücksichtigen“.
Da die Hersteller wider besseres Wissen und trotz vorhandener Technik keine Anstalten machen, die zusätzlich zum Suchtpotenzial durch Zigaretten bestehenden Gesundheitsgefahren einzudämmen, sollten folgende Zusatzstoffe verboten werden:
• alle Kanzerogene und Krebsverdachtsstoffe
• alle Zusatzstoffe, die durch Pyrolyse Kanzerogene entstehen lassen
• alle Substanzen, die zur Suchtverstärkung beitragen sowie
• alle Substanzen, die es Kindern und Jugendlichen erleichtern, mit dem Rauchen zu beginnen, das heißt alle „Weichmacher“, Inhalationsverstärker, Antischmerzmittel, Antihistaminika und andere.
Für einen öffentlich geduldeten Suchtstoff, wie ein Tabakerzeugnis, müssen nach Meinung des DKFZ zumindest gleich strenge Regeln wie für Arzneimittel gelten. Das heißt in diesem Fall, dass alle Zusätze zu Tabak eine Unbedenklichkeitsprüfung unterlaufen müssen, bevor sie zugelassen und verwendet werden können. Die Überprüfung hat den Anforderungen des Arzneimittelrechtes zu genügen. Die Kontrollen dieser Zulassungen sollten einem unabhängigen Bundesinstitut aufgegeben werden.