Mit Mut denken und handeln
Sehr verehrte Frau Kollegin,
sehr geehrter Herr Kollege,
„Durch Deutschland muss ein Ruck gehen,“ forderte Bundespräsident a.D. Prof. Dr. Roman Herzog schon im April 1997. Seine damals vielbeachtete, bis heute immer wieder zitierte Rede ist inzwischen ein anerkannter Meilenstein jüngerer Zeitgeschichte. Herzog brachte vor acht Jahren mit einer ungeheuren Weitsicht auf den Punkt, was weite Teile dieser Gesellschaft mehr denn je wollen und von unseren Volksvertretern eigentlich seit Langem umgesetzt sehen möchten. Es ist extrem wichtig, die Menschen wieder zu mehr Freiheit und selbstverantwortlichem Handeln zu ermutigen – und ihnen den dafür nötigen Freiraum zu geben. Sie brauchen die Möglichkeit, die Lösung ihrer zentralen Probleme endlich wieder selbst angehen zu können.
Heute, im Spätsommer 2005, direkt vor dieser außerordentlichen Bundestagswahl, warten wir immer noch auf das entscheidende Signal, dass unsere Volksvertreter die arbeitsmarkt-, sozial- und gesundheitspolitischen Probleme endlich mit Mut und dem nötigen Gespür für Nachhaltigkeit angehen. Oder ist das Aufbruchsignal mit dem mutigen Mann und seinen mutigen Steuerplänen bereits gegeben?
Für die zahnmedizinische Versorgung hieße Mut zum Handeln, dass endlich mit den Abbau überflüssiger staatlicher Kontrollen der Berufsausübung begonnen wird. Freiberuflichkeit, freie Arztwahl und Patientenautonomie, aber auch die politische Rückbesinnung auf das Prinzip der zahnärztlichen Selbstverwaltung sind geeignete Parameter für ein System, das solidarisch, gerecht, nachhaltig, qualitativ hochwertig, modern und dabei trotzdem hochgradig ökonomisch sein soll. Mit dem ewigen Ruf nach „mehr Geld für das System“ – es ist trotz aller Kosmetik nach wie vor der praktizierte Ansatz sämtlicher Reformgesetze der letzten Jahre – lässt sich leider keine ausreichende Kraft für die in der Sozial- und Gesundheitspolitik anstehenden Aufgaben Deutschlands schöpfen.
Ein für unseren, den zahnmedizinischen Bereich geeignetes Instrument, das haben wir in unseren Prüfsteinen für die Politik festgehalten, ist die Etablierung befundorientierter Festzuschüsse und Kostenerstattung – und zwar für den gesamten Bereich der Zahn-, Mund und Kieferheilkunde.
Wer auch immer ab dem 18. September das Schicksal dieser Republik in die Hand nehmen wird: Er muss sich endlich der Wahrheit stellen und erkennen, dass unser Sozialstaat systemisch erkrankt ist. Wer da meint, mit der Verschreibung von Stärkungsmitteln und dem Kurieren an den Symptomen seine Pflicht getan zu haben, zeigt nur, dass er die falsche Diagnose gestellt hat. Wirkliche Heilung braucht in scheinbar auswegloser Situation mutige Therapie. Zaudern hilft nicht weiter, zumal es durchaus Beispiele aus der Geschichte unserer Republik gibt, die Vorbildcharakter haben.
Als nach dem Krieg in der Frühphase unserer Demokratie Deutschland am Boden lag, die Menschen wenig Hoffnung auf Besserung hatten, Frustration und Untergangsstimmung durchaus üblich waren, half uns das unkonventionelle Denken eines Ludwig Erhard. Es war der Mut des Wirtschaftswunder-Vaters, der das Fundament für den Wohlstand unserer Gesellschaft setzte.
Erhard handelte unbeirrt, unkonventionell, gegen damals gängige Lehren und setzte damit die Maßgaben für das Gedeihen unserer Republik. Seine Bausteine für die soziale Marktwirtschaft: Eigenverantwortlichkeit statt einengender Reglementierung, ein möglichst freies Spiel der Kräfte und Hilfe für die, die sie tatsächlich benötigen. Ein korporativer Mut, diese Prinzipien im politischen Handeln Deutschlands wieder vorne an zu stellen ist das, was sich sachkundige Betroffene vom künftigen Gesetzgeber erhoffen.
Ludwig Erhard prägte das wohl erfreulichste Kapitel unserer Nachkriegsgeschichte, Roman Herzog wird am 24. September in Münster als diesjähriger Preisträger der Apollonia zu Münster-Stiftung geehrt – Menschen, deren Überzeugungen uns für die heutige Zeit Wichtiges zu sagen haben.
Mit freundlichen Grüßen