50 Jahre Salzfluoridierung in der Schweiz
Bereits seit den 20er Jahren verhindert der Zusatz von Jod zum Speisesalz erfolgreich die Kropfbildung in der Schweiz. So war es für einen Gynäkologen namens Wespi im Jahre 1950 naheliegend, eine weitere flächendeckende Präventionsmaßnahme vorzuschlagen: Durch die Beimengung von 90 ppm Natriumfluorid zum Salz sollte der Volksseuche Karies Einhalt geboten werden. Motiviert durch die positiven Ergebnisse der Trinkwasserfluoridierung seit 1945 in Nordamerika, erließ der Kanton Zürich 1955 als erste politische Regierung der Welt eine Autorisierung zum Verkauf von fluoridiertem Jodsalz. Bis in die 70er Jahre jedoch unterstützten Zahnärzte das Projekt nur halbherzig. Denn auch mit fluoridiertem Trinkwasser wollte man beispielsweise im Kanton Basel präventiv vorgehen, und die Menge an Fluorid im Speisesalz schien wenig zu bewirken.
1969 entschied der Kanton Vaud die Fluoridmenge auf 250 ppm anzuheben, sodass vergleichende Untersuchungen über den DMF-T-Status möglich wurden. Die starke Abnahme geschädigter Zähne bei höherer Fluoridkonzentration veranlasste die übrigen Kantone 1983 ebenfalls Salz mit 250 Milligramm Fluorid pro Kilogramm Salz in den Handel zu bringen. Eine genaue Angabe über die Wirksamkeit fluoridierter Salze lässt sich anhand der Schweizer Studien jedoch nicht machen. Zu groß ist der Einfluss anderer Prophylaxemaßnahmen. Fluoridierte Zahnpasten und Gele, aber auch eine verbesserte Mundhygiene, eine gesündere Ernährung und eine verbesserte zahnmedizinische Versorgung in den vergangenen 40 Jahren haben die DMF-TWerte in der Schweiz um 80 bis 90 Prozent gesenkt.
Paradebeispiel Kolumbien
Wesentlich aufschlussreicher waren gezielte Studien in einigen lateinamerikanischen Ländern. Besonders eine kolumbianische Untersuchung scheint ein schlagkräftiges Argument für den Nutzen der Salzfluoridierung zu sein. Der DMF-T-Wert sank acht Jahre nach Einführung fluoridierten Speisesalzes im Durchschnitt um 50 Prozent, während sich kaum Veränderungen in einer Kontrollgruppe zeigten.
Es gab außerdem eine Gruppe, die mit fluoridiertem Wasser versorgt wurde – und ähnlich gute Ergebnisse wie die Salzgruppe erzielte. Experten sind sich mittlerweile einig, dass Wasser- und Salzfluoridierung gleichwertige Präventionsmethoden sind. Doch spricht einiges für die Fluoridierung von Speisesalz. Es ist mindestens zehnmal kostengünstiger, es lässt dem Verbraucher die Wahlfreiheit, und es ist leichter für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Auch seine Dosierung ist weitestgehend gesichert, da jeder Mensch durchschnittlich zehn Gramm Speisesalz zu sich nimmt. Für eine tödliche Dosis müsste er 1,4 kg Salz verzehren.
Schutz für Millionen
Die Konferenz war zwar ein Austausch unter hochkarätigen Fluorid-Experten, doch dem Organisator und Pionier der Salzfluoridierung Professor Thomas Marthaler ging es auch um etwas anderes: „Ich möchte hier das weltweite Schweigen über die Möglichkeit der Salzfluoridierung brechen. Jedes Land sollte für sich entscheiden, ob es von dieser Präventionsmethode profitieren könnte und entsprechende Maßnahmen einleiten.“
Knapp 200 Millionen Menschen in allen Teilen der Erde kommen in den Genuss dieser Kariesprophylaxe. Gemessen an einer Gesamtbevölkerung von sechs Milliarden Menschen eine noch sehr kleine Gruppe. Denn außer einiger engagierter und informierter Politiker bedarf es kaum Anstrengungen, mit fluoridiertem Salz die Zahngesundheit zu fördern. Die Kosten für Fluoridierungsanlagen sind so gering, dass keine Erhöhung der Salzpreise nötig ist. Nebenwirkungen und Allergien gegen Fluorid sind nicht bekannt. Überdosierungen, also Fluorosen, entstehen nur, wenn es eine weitere Fluoridquelle gibt. Problemregionen sollten hier gesondert berücksichtigt werden.
Akzeptanz beim Verbraucher
Für deutsche Konsumenten gibt es fluoridiertes Speisesalz erst seit 1991 im Lebensmittelmarkt. Mehr als 63 Prozent war sein Marktanteil im Jahr 2004, was deutlich die wachsende Akzeptanz beim Verbraucher widerspiegelt.
Professor Andreas Schulte von der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde an der Uni Heidelberg ist zufrieden mit der Entwicklung in Deutschland, sieht aber dennoch Verbesserungsbedarf: „Wir sind auf einem guten Weg. Aber neben den privaten Haushalten sollten auch Kantinen und Großküchen fluoridiertes Salz verwenden dürfen. Erst dann profitieren auch Menschen, die Probleme bei der täglichen Zahnpflege haben, wie Behinderte oder Ältere.“ Fluoridsalze sind besonders wirksam und effektiv bei Personen, die ihre Zähne nur unzureichend pflegen oder sich mit vielen zuckerhaltigen Nahrungsmitteln ernähren.
Kampf dem Vergessen
Auch in Deutschland müssen Zahnärzte, Fachkräfte und Politiker das Thema Salzfluoridierung weiter in den Fokus rücken. Schnell kann die Bedeutung dieser Prophylaxemaßnahme in Vergessenheit geraten und dann ein ähnliches Schicksal erfahren wie in Frankreich: Dort lag der Marktanteil 2003 nur noch bei 27 Prozent, verursacht durch große Mengen an importierten Salzen. Eine Vergleichsstudie zwischen Heidelberg und Montpellier belegt eine Stagnation der DMF-T-Werte in Frankreich, während sie in Deutschland weiter absanken. Auch hierzulande könnte sich das Konsumverhalten ändern, denn Salz wird immer mehr zum Lifestyle-Produkt. Angeblich gesundheitsfördernde Reformhausprodukte, wie das bekannte „Himalaya-Salz“, mögen zwar einige wichtige Spurenelemente enthalten, sind aber fast frei von Jod und Fluor.
Fluoridsalz in der EU
In Brüssel bemüht man sich derweil, für den Zusatz von Fluorid zu Lebensmitteln eine neue einheitliche Regelung zu finden. Durch vehemente Intervention vieler Wissenschaftler wird es voraussichtlich Ende 2006 ein Gesetz geben, das europaweit die bestmögliche Versorgung gewährleistet. Es sollte vorschreiben, dass nur Wasser, Salz und Kaugummis fluoridiert werden dürfen, Fluoridsalz mit 250 ppm Fluorid versetzt wird und nur im Haushalt oder kommerziellen Catering-Betrieben verwendet werden darf. Ein Hinweis im Sinne von „Fluorid bekämpft Karies“ und Warnungen vor weiteren Fluoridquellen sollen sich auf der Verpackung finden. Des Weiteren werden auch Reinheitskriterien festgelegt.
Dr. rer. nat. Mario B. LipsSchulstr. 312247 Berlin