Venöse Malformation am Zungenrand
Ein 60-jähriger Patient stellte sich zur Beurteilung einer Raumforderung im Bereich des rechten Zungenrandes vor. Ursprünglich war die Größe des Befundes mit zirka 15 x 15 Millimetern seit etwa 30 Jahren im Wesentlichen unverändert geblieben, lediglich während Erkältungsepisoden sei vorübergehend eine leichte Zunahme zu beobachten gewesen. Aktuell hatte der Patient in den letzen sechs bis acht Wochen nun eine geringe aber nach seiner Einschätzung kontinuierliche Größenprogredienz bemerkt. Eine rund 25 Jahre zurückliegende Probeexzision habe damals keinen pathologischen Befund ergeben.
Die klinische Untersuchung zeigte einen prominenten, etwa kleinkirschgroßen, livide verfärbten Tumor im Bereich des rechten seitlichen Zungenrandes mit deutlichen Zahnimpressionen (Abb. 1). Der unter einem geschlossenen Epithel liegende Tumor ließ sich palpatorisch schwer gegen die Umgebung abgrenzen. Die Konsistenz war deutlich fester als das restliche Zungengewebe. Die Zungenmotilität sowie das Geschmacksempfinden waren nicht beeinträchtigt.
Der Befund wurde in Intubationsnarkose lokal exzidiert. Intraoperativ (Abb. 2) stellte sich ein unregelmäßig begrenzter, bräunlicher Tumor dar, der gegen die Zungenmuskulatur keine eindeutige Begrenzung beziehungsweise Kapselbildung aufwies. Im Gewebeanschnitt zeigten sich mehrere kalkdichte Konkremente, die vom Aspekt her typischen Phlebolithen entsprachen (Abb. 3). Die histopathologische Aufarbeitung des Gewebes (Abb. 4 a und b) zeigte multiple, kommunizierende, teilweise sehr ausgedehnte, dünnwandige venöse Gefäße, die jeweils mit Endothel ausgekleidet waren. Hinweise auf eine echte Neoplasie fanden sich nicht. Dieses Bild entspricht der typischen Morphologie einer venösen Malformation.
Diskussion
Die venösen Malformationen gehören zu den gefäßbezogenen Fehlbildungen des Gesichts- und Halsbereiches. Sie werden der Gruppe der anlagebedingten vaskulären Malformationen zugeordnet und sind gegen die nicht anlagebedingten, proliferierenden echten Neubildungen abzugrenzen, zu denen die Hämangiome gehören (Enjolras, 1997; Ernemann et al., 2003). Diese Einteilung basiert auf einer Klassifikation der International Society for the Study of Vascular Anomalies (ISSVA) aus dem Jahre 1996 und ist heute durchgehend akzeptiert. Während die Hämangiome ganz überwiegend Tumoren des Kindesalters sind, die nach einer raschen Größenzunahme im ersten Lebensjahr in der Mehrzahl der Fälle eine Spontanregression erfahren, sind vaskuläre Malformationen in jedem Lebensalter anzutreffen. Eine spontane Rückbildung tritt bei vaskulären Malformationen nicht ein. Die oftmals sehr großen Raumforderungen können mit erheblichen, teilweise lebensbedrohlichen, funktionellen Einschränkungen (akute Verlegung der Atemwege) sowie mit erheblichen ästhetischen Beeinträchtigungen für den Patienten einhergehen (Abb. 5). Bei jugendlichen Patienten können Wachstumsbehinderungen des knöchernen Gesichtsschädels die Folge sein. Erwähnt werden muss auch die Möglichkeit von Blutungskomplikationen, insbesondere bei Fehlbildungen mit hohem Blutfluss.
Für das Therapiekonzept ist die korrekte Einordnung hinsichtlich des Blutflusses (low-flow versus high-flow) notwendig. Neben der klinischen Beurteilung ist in vielen Fällen eine B-Bildbeziehungsweise Duplexsonographie richtungsweisend für die Diagnosestellung. Bei ausgedehnten Läsionen ist die Magnetresonanz-Tomographie die Bildgebungsmethode der Wahl. Zudem ist bei arteriovenösen (high-flow) Malformationen eine angiographische Darstellung sinnvoll [Ernemann et al., 2002]. Während die Chance der spontanen Involution bei kindlichen Hämangiomen ohne Wachstumsdynamik und ohne funktionelle Beeinträchtigungen in ausgesuchten Fällen ein kontrolliertes Zuwarten rechtfertigt, erfordern größere vaskuläre Malformationen regelmäßig individuelle zumeist interdisziplinäre Therapieansätze, bestehend aus Größenreduktion durch Embolisationsverfahren und nachfolgender chirurgischer Reduktion / Entfernung des Restbefundes. Laserchirurgische Ansätze können eine ergänzende Therapieoption darstellen.
Die geringe Größe und die gute Zugänglichkeit des hier vorgestellten singulären Befundes gestattete eine primäre und vollständige Entfernung ohne erwartbare Blutungskomplikationen. In jedem Fall ist auch bei einem typischen klinischen Aspekt eine histologische Aufarbeitung des Resektates obligat.
Dr. Marcus Oliver KleinPriv.-Doz. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- undGesichtschirurgieKlinikum der Johannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 2, 55131 Mainzkunkel@mkg.klinik.uni-mainz.de