Halitosis\r
Epidemiologie
Die meisten Untersuchungen zum Thema Halitosis basieren auf Patientenbefragungen, was deren Relevanz stark einschränkt. Insbesondere die Selbst-Einschätzung, ob man unter Mundgeruch leidet oder nicht, entspricht oft nicht der Realität [Miyazaki et al., 1995; Loesche et al., 1996]. Eine Umfrage bei den Mitgliedern der amerikanischen Zahnärzte-Gesellschaft ergab, dass hochgerechnet etwa 50 Prozent der nordamerikanischen Bevölkerung an Mundgeruch leiden [Stassinakis et al., 2002]. In einer weiteren Befragung wurde festgestellt, dass in den USA 60 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer regelmäßig Präparate zum Auffrischen des Atems einnehmen [Miyazaki et al., 1996]. Eine Befragung unter Zahnärzten in Deutschland ergab, dass 76 Prozent der Zahnärzte selbst unter gelegentlichem und sieben Prozent unter dauerhaftem Mundgeruch leiden. 58 Prozent kennen sogar einen Kollegen, der dauerhaft Mundgeruch hat [Seemann, 1999]. Vergleichbare Aussagen deuten darauf hin, dass etwa 50 Prozent der Bevölkerung unter chronischem Mundgeruch leiden. Die Hälfte dieser Betroffenen sieht im Mundgeruch ein ernstes Problem, welches sich negativ auf ihre Sozialkompetenz auswirkt [Tessier & Kulkarni, 1991; Bosy, 1997]. Eine echte epidemiologische Untersuchung aus Japan zeigt, dass 24 Prozent der Bevölkerung Mundgeruch haben [Miyazaki et al., 1995].
Terminologie und Klassifikation
Das Thema Mundgeruch zieht sich gleichermaßen durch Geschichte, Kultur, Rasse und Geschlecht [Rosenberg & Leib, 1997]. Schriftliche Berichte finden sich bereits bei den Griechen und Römern [Prinz, 1930; Geist, 1956; Mandel, 1988]. Für Mundgeruch werden synonym auch die Begriffe Halitosis, Foetor ex ore, Bad breath oder Oral malodor verwendet. Mundgeruch lässt sich durch zwei wesentliche Begriffe beschreiben: Foetor ex ore und Halitosis [Hoffmann-Axthelm, 1995].
Als Foetor ex ore (lateinisch foetor: Gestank, Modergeruch) wird ein übler, atypischer Geruch beim Ausatmen durch den Mund bezeichnet. Man geht hier von einer Erkrankung in der Mundhöhle selbst aus. Der Begriff Halitosis (lateinisch halitus: Hauch, Dunst) bezeichnet ebenfalls eine übelriechende Atemluft, welche aber im Unterschied zum Foetor ex ore auch bei geschlossenem Mund, also beim Ausatmen durch die Nase wahrgenommen werden kann. Dies deutet möglicherweise auf eine ursächliche Erkrankung der Nasennebenhöhlen, des Verdauungstraktes oder der Respirationsorgane hin. Daher sollten im Rahmen einer exakten Diagnostik die Luft aus dem Mund und aus der Nase getrennt voneinander analysiert werden [van Steenberghe, 1997]. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in der aktuellen anglo-amerikanischen Literatur der Terminus Halitosis als Synonym für Begriffe des Mundgeruchs wie Foetor ex ore [Scully et al., 1997], Bad breath [Goldberg et al., 1994], Breath odor [Scully et al., 1997], Foul smells, Offensive breath [McDowell & Kassebaum, 1993] und Oral malodour [Tessier & Kulkarni, 1991], verwendet wird, verwenden die Autoren im nachfolgenden Text nur den Begriff Halitosis.
Unter dem Begriff Halitosis werden unterschiedliche Krankheitsbilder zusammengefasst. Diese Krankheitsbilder werden als echte Halitosis, Pseudo-Halitosis und Halitophobie bezeichnet [Yeagaki & Coil, 2000]. Die echte Halitosis unterteilt sich wiederum in physiologische und pathologische Halitosis (Tabelle 1, Seite 52).
Ursachen
Der so genannte „normale Atem“ eines Menschen hat unter physiologischen Bedingungen einen süßlichen Charakter und ist in der Regel nicht wahrnehmbar. Der tägliche Geruch schwankt in Abhängigkeit von der Tageszeit, des Speichelflusses, der Mundflora, physiologischer Vorgänge wie Nahrungsaufnahme oder Mundhygiene und auch beispielsweise der Menstruation, insbesondere bei Dysmenorrhoe [Tonzetich et al., 1978] (Abb. 1). In der Literatur eher selten beschrieben ist die Tatsache, dass durch emotionalen Stress, beispielsweise Nervosität oder psychische Belastung, ein sonst nicht vorhandener Mundgeruch häufiger nachweisbar ist [Seemann, 2000].
Eine weit verbreitete Ansicht bei Ärzten und Patienten ist, dass der Halitosis eine pathologische Veränderung des Intestinaltraktes zu Grunde liegt. Dies hat zur Folge, dass Patienten, die unter hartnäckiger Halitosis leiden, zunächst eine Gastroskopie über sich ergehen lassen, anstatt einen Zahnarzt aufzusuchen. Untersuchungen haben gezeigt, dass in 85 bis 90 Prozent aller Fälle eine bakterielle Zersetzung organischen Materials in der Mundhöhle die Ursache für Halitosis ist [Tonzetich & Richter, 1964; Tonzetich, 1978; Delanghe et al., 1996; Delanghe et al., 1997; Rosenberg & Leib, 1997; Delanghe et al., 1999a; Amir et al., 1999]. Flüchtige Schwefelverbindungen (VSC = volatile sulphur compounds), wie Schwefelwasserstoff, Methylmercaptan und Dimethylsulfid, entstehen durch den Metabolismus gramnegativer Bakterien, welche als Substrat vor allem Proteine mit schwefelhaltigen Aminosäuren verwenden. Die genannten VSC nehmen bei der Entstehung von Halitosis eine Schlüsselrolle ein [Tonzetich & Richter, 1964; Tonzetich, 1971; Tonzetich, 1977; Schmidt et al., 1978; Persson et al., 1990; Preti et al., 1992; Rosenberg & McCulloch, 1992; Yaegaki & Sanada, 1992a; van Steenberghe et al., 2001].
Orale Ursachen
Ursächlich kommen Zungenbelag, mangelnde Mundhygiene, Infektionen, wie Stomatitis, Gingivitis, Parodontitis und Candidiasis, offene Wurzelkanäle, Karies, sowie ungepflegte Prothesen, Pemphigus/Pemphigoid, Morbus Behçet, Erythema exsudativum multiforme, Abszesse sowie ulzerierende und zerfallende Tumoren in Betracht [Tonzetich, 1978; Kostelc et al., 1984; Coil & Tonzetich, 1992; Yaegaki & Sanada, 1992a; Soder et al., 2000; Seemann, 2001]. Einige Untersuchungen konnten jedoch zeigen, dass nicht jeder mit schlechter Mundhygiene oder Parodontitis an Halitosis leidet. Dies gilt auch für den Umkehrschluss [Bosy et al., 1994; Miyazaki et al., 1995; De Boever & Loesche, 1996].
Karies bietet ebenso wie freiliegendes nekrotisches Pulpagewebe, Oberflächenporositäten in Prothesen und Randspalten an zahnärztlichen Restaurationen ideale Bedingungen für bakterielle Schlupfwinkel [Newman, 1996]. Als primäre Ursache für Halitosis kommt Karies jedoch nicht direkt in Betracht, da der mit der Karies einhergehende reduzierte pH-Wert eine Halitosis eher verringert [Kleinberg & Codipilly, 1996]. Vielmehr ist bei multipler Karies die korrespondierende insgesamt schlechte Mundhygiene für eine Halitosis verantwortlich [Kleinberg & Codipilly, 1997]. Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen der Schwere der Parodontalerkrankung (Anzahl und Tiefe der Taschen) und der Konzentration an VSC besteht [Coil & Tonzetich, 1992; Yaegaki & Sanada, 1992a, b; Miyazaki et al., 1996; Soder et al., 2000; Morita & Wang, 2001]. Nach oralchirurgischen Eingriffen kommt es durch verminderten Speichelfluss, reduzierte Mundhygiene und geringere Kauaktivität zu einem Anstieg der Bakterienzahl bei gleichzeitig erhöhtem Substratangebot (Blut). Dies resultiert häufig in einer temporären Halitosis [Rotgans, 1984]. Ferner kann Halitosis auch bei Ginigvaveränderungen mit Nekrosen, granulomatöser Proliferation oder Ulzeration, akuter herpetischer Gingivostomatitis, persistierendem Zahnfleischbluten assoziiert mit Blutbildveränderungen oder unkontrolliertem Diabetes mellitus sowie gingivaler Fibromatose entstehen [Newman, 1996].
Aufgrund der Tatsache, dass sich auf der Zunge etwa 60 Prozent aller oralen Mikroorganismen befinden [Gilmore & Bashkar, 1972; Jacobson et al., 1973; Gilmore et al., 1973; Yaegaki & Sanada, 1992a; De Boever & Loesche, 1995], stellt diese das primäre Bakterienreservoir der Mundhöhle und dadurch eine der Hauptursachen der Halitosis dar (41 Prozent aller oraler Ursachen). Der Zusammenhang zwischen Zungenbelag und Halitosis konnte in verschiedenen Untersuchungen belegt werden [Kaizu et al., 1978; Bosy et al., 1994; Hellwig, 1995; De Boever & Loesche, 1996; Hartley et al., 1996; Miyazaki et al., 1996; Yaegaki, 1997] (Abb. 2, 3). Jedoch führen Abweichungen der Zungenoberfläche, wie bei Exfoliatio areata linguae (Lingua geographica), Lingua plicata oder Lingua villosa nigra, nicht zwangsläufig zu einer Halitosis [Rotgans, 1984]. Nach dem Zungenbelag folgen als nächsthäufige orale Ursachen die Gingivitis mit 31 Prozent und die Parodontitis marginalis mit 28 Prozent.
Nicht orale Ursachen
Hals-Nasen-Ohrenärztlicher Bereich
Die häufigsten nicht-oralen Ursachen der Halitosis finden sich im HNO-Bereich. Sie machen etwa fünf bis acht Prozent aller Halitosis-Ursachen aus [Delanghe et al., 1997; Delanghe et al., 1999 a, b]. Davon sind chronische Tonsillitis (71 Prozent) und chronische Sinusitis (19 Prozent) die häufigsten nicht-oralen Ursachen [Delanghe et al., 1996; Finkelstein, 1997; Rosenberg & Leib, 1997] (Abb. 4 bis7). Beide werden vor allem bei älteren Patienten diagnostiziert. Die betroffenen Patienten berichten häufig über einen permanenten dorsalen Sekretabfluss (postnasal drip), der im Zusammenhang mit Halitosis für die Ausbildung von Zungenbelag verantwortlich gemacht wird [Rosenberg & Leib, 1997]. Im Gegensatz zur rhinogenen Sinusitis tritt bei einer odontogenen Sinusitis meist eine Halitosis auf [Rotgans, 1984]. Als weitere Ursachen kommen Fremdkörper in der Nase (fünf Prozent), chronische Rhinitis (Ozaena) (fünf Prozent), Karzinome des Oropharynx, Lues III, Angina Plaut-Vincent, Morbus Behçet, infektiöse Mononukleose oder Diphtherie in Betracht [Costtellani, 1930; Katz et al., 1979; McGregor et al., 1982a, b; Sharma, 1984; Lovewell, 1984; Bennett, 1988; Lucente et al., 1993; McDowell & Kassebaum, 1993; Rosenberg, 1996; Goldberg et al., 1997; Rosenberg & Leib, 1997; Scully et al., 1997].
Allgemeinerkrankungen
Bei einer diagnostizierten Halitosis sollte immer auch an einen Zusammenhang mit einer systemischen Erkrankung gedacht werden [Preti et al., 1992]. In diesem Zusammenhang ist der obstähnliche Azetongeruch beim Coma diabeticum, der auch bei chronischen Hungerzuständen, Fastenoder Schlankheitskuren festgestellt werden kann, am bekanntesten und deshalb auch am einfachsten zu diagnostizieren. Aus dem internistischen Bereich kommen weiterhin eitrige Bronchitis, Pneumonie, Fremdkörper, Abszesse (Lunge), Lungengangrän, Wegnersche Granulomatose, Divertikel, Ösophagitis, Magen- und Darmerkrankungen, präkomatöse Zustände und Koma (Urämie, Coma hepaticum), Gelbfieber, Trimethylaminurie sowie ulzerierende und zerfallende Tumoren als mögliche Ursachen in Betracht [Seemann et al., 2001]. Ein nicht ganz unangenehmer Geruch nach frischer Leber oder Lehmerde tritt typischerweise bei Lebererkrankungen auf [Rotgans 1984].
Bei Frauen ist eine Abhängigkeit der oral messbaren VSC vom Menstruationszyklus feststellbar. Dies bedeutet, dass am Tag des Eisprungs die VSC-Werte bis auf das zweibis vierfache ansteigen können [Tonzetich et al., 1978]. Aufgrund von Avitaminosen (A-, B-, und CVitamine) können Mangelerkrankungen wie Skorbut auftreten, welche dann zu Erosionen und Ulzerationen führen können [Rotgans 1984]. Ebenso können Allgemeinerkrankungen wie Leukämie, Agranulozytose, AIDS, Syphilis oder Diphtherie sekundär zu einer ANUG (akute nekrotisierende ulzerierende Gingivitis) mit entsprechender Geruchsbildung führen [Seemann 2000]. Insgesamt sind jedoch Allgemeinerkrankungen als Ursache für Halitosis mit 0,5 bis einem Prozent aller Halitosis-Ursachen selten [Delanghe et al., 1996]. Tabelle 2 (Seite 54) gibt einen Überblick über die möglichen Metabolite bei systemischen Erkrankungen [Preti et al., 1997].
Medikamente
Auch Medikamente können entweder direkt durch Abatmung ihrer Metabolite, wie beispielsweise Dimethylsulfid, oder indirekt über eine Erniedrigung der Speichelflussrate Halitosis verursachen [Tonzetich, 1977; Lu 1982; Preti et al., 1992; Edgar et al., 1994; Scully et al., 1997]. Zur Verminderung der Speichelfließrate führen unter anderem Anorektika, Anticholinergika, Antidepressiva, Antipsychotika, Antihypertensiva und Antiparkinsonmittel [Edgar, 1992]. Einige Chemotherapeutika (Fluorourcil, Bleomycin, Methotrexat) können durch eine auftretende Neutropenie über die dadurch folgenden Ulzerationen und Gingivitis für eine Entstehung einer Halitosis verantwortlich gemacht werden [Lu, 1982].
Rauchen
Bezüglich Halitosis hat das Rauchen zwei unterschiedliche Bedeutungen. Einerseits versuchen Menschen durch das Rauchen einen präsenten Mundgeruch zu überdecken. Infolge dessen produziert der Tabakrauch einen eigenen charakteristischen Mundgeruch, den so genannten Smokers-Breath [Christen, 1970; Bastiaan & Reade, 1976; Christen, 1992]. Dieser Smokers-Breath entsteht durch das Ausatmen zuvor resorbierter Rauchanteile, welche via Blutbahn zurück in die Lunge kommen [Rosenberg, 1996] sowie durch das Ausatmen von Tabakbestandteilen, welche sich in den Schleimhäuten des oberen und unteren Respirationstraktes abgelagert haben [Seemann, 2000]. Auch bei Passivrauchern können leichte Formen des Smokers-Breath beobachtet werden [Christen, 1992; Rosenberg, 1996]. Durch einen höheren Anteil an Schwefelverbindungen neigen Zigarrenund Pfeifenraucher zu einer stärkeren Ausprägung von Smokers-Breath [Bastiaan & Reade, 1976]. In den meisten Studien konnte jedoch kein direkter Zusammenhang zwischen Rauchgewohnheiten und Mundgeruch festgestellt werden, obwohl Tabakrauch selbst halitosisverantwortliche VSC enthält [Soder et al., 2000]. Teilweise wurde sogar eine entgegengesetzte Wirkung beobachtet [Morita & Wang, 2001; Miyazaki et al., 1995]. Weiterhin kommt es durch das Rauchen zur Erhöhung der Plaqueretention, zur Reduktion des Speichelflusses und zur Erniedrigung des gingivalen Stoffwechsels [Newman, 1996], was eine Gingivitis- und Parodontitisentstehung mit sekundärer Halitosis begünstigt [Yaegaki & Sanada, 1992a].
Ernährungsgewohnheiten
Halitosis kann ebenso durch den Übergang flüchtiger, geruchsbildender Substanzen aus dem Blut der Lunge in die Atemluft entstehen. Ein Aldehydgeruch entsteht typischerweise bei Alkoholabusus. Beim Konsum von Knoblauch sind die Allyl-Methyl-Sulfide für den typischen Geruch verantwortlich. Hier entsteht der Geruch jedoch erst nach 30 Minuten, hält dafür aber bis zu 72 Stunden an [Morris & Reed, 1949; Suarez et al., 1999]. Durch landestypische Ernährungsgewohnheiten oder durch den Konsum von speziellen Nahrungsmitteln wie Zwiebeln oder Kaffee kann ebenfalls Mundgeruch entstehen. Halitosis entsteht auch durch längeres Fasten. Hierfür ist nicht nur der geringere Speichelfluss verantwortlich. Ähnlich wie am Morgen (Abb. 1), postoperativ oder bei Anorexia nervosa entsteht auch hier ein alkalischer pH-Wert, der die für Halitosis verantwortlichen Enzyme stimuliert [Jecke, 2002].GastrointestinaltraktGastrointestinale Ursachen für Halitosis sind selten: Sie machen etwa ein Prozent aller Ursachen für Halitosis aus. Bei einer Gastritis kann es zur Gasbildung mit säuerlichem Aufstoßen kommen, was Halitosis verursachen kann. Ebenso kann es bei Hypopharynxtumoren zu Halitosis kommen [Rotgans, 1984]. Meist sind jedoch Magen und Intestinaltrakt so gut abgedichtet, dass nur bei Patienten mit Kardiainsuffizienz (insuffiziente Abdichtung des Mageneinganges), gastro-ösophagealem Reflux oder Divertikeln der Gastrointestinaltrakt als Ursache für Halitosis in Betracht kommt [Madarikan & Rees, 1990; Stephenson & Rees, 1990].
Es konnte nachgewiesen werden, dass Frühstücken eine größere Reduktion an flüchtigen Schwefelverbindungen bewirkt als Zähneputzen, was auf physiologische, aber noch nicht gut untersuchte, gastrointestinale Ursachen hindeutet [Suarez et al., 2000]. Einige Autoren konnten eine Korrelation zwischen dem Auftreten von Helicobacter pylori und Halitosis sowie eine auf H. pylori ausgerichtete Antibiotikabehandlung beobachten [Tiomny et al., 1992; Norfleet, 1993; Ierardi et al., 1998]. Die Auswirkung solcher Medikation auf andere Keime wurde jedoch nicht untersucht – somit bleibt die ursächliche Bedeutung von H. pylori bezüglich Halitosis weiterhin zweifelhaft [Seemann, 2000]. Vielmehr zeigte sich bei wegen H. pylori behandelten Patienten langfristig keine Verbesserung des Mundgeruchs [Delanghe et al., 1996; Seemann, 2000].
Psychosomatische Ursachen
Unter dieser Rubrik werden Patienten zusammengefasst, die unter psychisch beziehungsweise psychosomatisch bedingter Halitosis leiden. Diese Patienten sind sicher, an unerträglichem Mundgeruch zu leiden, und registrieren in ihrem sozialen und beruflichen Umfeld nahezu täglich zahlreiche Indizien dafür, ohne dass jemals ein offenes Wort mit abwertendem Charakter an sie gerichtet wurde [Malasi et al., 1990; Johnson, 1996]. Bei all diesen Patienten kann jedoch objektiv kein Mundgeruch diagnostiziert werden. Solche Patienten werden in zwei Gruppen unterteilt: Patienten mit Pseudo-Halitosis und Patienten mit Halitophobie [Rosenberg & Leib, 1997]. Im ersten Fall kann der Patient zunächst nicht akzeptieren, dass kein Mundgeruch vorliegt, lässt sich jedoch im Zuge der weiteren Diagnostik und Therapie, insbesondere auch durch die instrumentellen Messungen, vom Gegenteil überzeugen. Im zweiten Fall ändert eine professionelle Diagnostik (und gegebenenfalls eine placeboähnliche Therapie) nichts an den teilweise krankhaften und wahnhaften Vorstellungen des Patienten, die ihn aus seinem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld isolieren können [Yaegaki & Coil, 1999; Yaegaki & Coil, 2000]. Diese Art einer sehr ausgeprägten und immer stärker werdenden Wahnvorstellung wird unter dem Begriff Olfaktorisches Referenzsyndrom zusammengefasst [Johnson 1996]. Immerhin etwa fünf Prozent aller Ursachen für Halitosis sind psychologischer/ psychiatrischer Natur [Delanghe et al., 1996]. In der Regel nimmt keiner der Patienten das Angebot einer psychologischen Beratung und Therapie an [Delanghe et al., 1997; Delanghe et al., 1999a; Yaegaki & Coil, 1999].
Entstehung
Zahlreiche In-vitro-Untersuchungen zeigen, dass der grundlegende metabolische Prozess der Halitosisentstehung bakterielle Zersetzungsvorgänge sind [Tonzetich, 1971; Yaegaki & Sanada, 1992a, b; Kleinberg & Codipilly, 1997; Kleinberg & Codipilly, 1999]. Zunächst kommt es durch die Hydrolyse von Peptiden und Proteinen zur Produktion von Aminosäuren, die in der Folge zerteilt werden. Deren Endprodukte sind teilweise flüchtig und übelriechend; die maßgeblichen Substanzen sind die VSC [Kleinberg & Codipilly, 1999]. Die verantwortlichen Aminosäuren sind vor allem Cystein, Cystin und Methionin aufgrund ihrer Schwefelanteile [Kleinberg & Coidpilly, 1999]. Daneben spielen weniger flüchtige Diamine (durch Decarboxylierung aus Diaminosäuren entstandene Kohlenwasserstoffe mit zwei Aminogruppen) eine entscheidende Rolle bei der Halitosisentstehung. Das aus Ornithin entstehende Diamin produziert Putreszin, das aus Lysin Cadaverin. Auch die beiden Tryptophan-Abbauprodukte Indol und Skatol sowie kurzkettige Fettsäuren bestehend aus Valin, Leucin oder Isoleucin verursachen Halitosis [Goldberg et al., 1994; Goldberg et al., 1997; Kleinberg & Codipilly, 1997; Kleinberg & Codipilly, 1999]. Diese Gase entstehen vorwiegend durch die Aktivität gramnegativer, anaerober, proteinmetabolisierender Bakterien [Tonzetich, 1971; Kleinberg & Codipilly, 1996; Kleinberg & Codipilly, 1997]. Die verstoffwechselten Proteine entstammen aus Nahrungsresten, desquamierten Epithelzellen, Blutbestandteilen und Wirtssekreten, wie Speichel oder Sulkusflüssigkeit [Tonzetich, 1971; Yaegaki & Sanada, 1992a]. Zu den relevanten Bakterien der Halitosisentstehung gehören parodontalpathogene Keime, wie Porphyromonas gingivalis, Prevotella intermedia, Fusobacterium nucleatum und Treponema denticola, aber auch Prevotella melaninogenica und Fusobacterium nucleatum aus dem gingivalen Sulcus sowie auch Veillonella alcalescens aus der Plaque und Klebsiella pneumonia aus dem Interdentalraum [De Boever & Loesche, 1995; Niles & Gaffar, 1997; Filippi & Meyer, 2004].
Wirkung von VSC auf orale Gewebe
Es konnte nachgewiesen werden, dass VSC schädigenden Einfluss auf das parodontale Gewebe haben können [Johnson et al., 1992; Ratcliff & Johnson, 1999]. VSC erhöhen die Permeabilität der oralen Mukosa für beispielsweise Endotoxine, beschleunigen den Abbau von Kollagen und Proteinen, hemmen die Synthese von Proteinen und Kollagen und regen die Produktion von Sauerstoffradikalen durch polymorphkernige neutrophile Granulozyten an [Ng & Tonzetich, 1984; Johnson et al., 1992; Yaegaki, 1997; Ratcliff & Johnson, 1999]. Bei entzündeten und tiefen parodontalen Taschen tritt Methylmercaptan deutlich am stärksten auf, während bei weniger tiefen Taschen Schwefelwasserstoff vermehrt nachweisbar ist [Coil, 1996; Yaegaki, 1997]. Methylmercaptan nimmt Einfluss auf die Interleukin-1 Produktion, auf die PGE2-(Prostaglandin E2) und cAMP- (cyclisches Adenosinmonophosphat) Produktion menschlicher Gingivafibroblasten, auf die Kollagenaseproduktion und auf Kathepsin B und G sowie auf die Elasteaseproduktion [Ratkay et al., 1996]. Dadurch steht Methylmercaptan im Verdacht durch seine Interaktionen an der Gewebezerstörung bei Parodontitis marginalis beteiligt zu sein.
Zusammenfassung
Epidemiologisch betrachtet betrifft Halitosis einen Großteil der Bevölkerung. Berichte von Betroffenen reichen bis in die Antike zurück. Ursachen können sowohl orale als auch nicht-orale Veränderungen sein. Orale Ursachen sind vor allem der Zungenbelag sowie Parodontitis marginalis. Zu den nicht oralen Ursachen zählen Erkrankungen im Hals-Nasen-Ohrenärztlichen Bereich, manche Allgemeinerkrankungen, diverse Medikamente, Rauchen, spezielle Ernährungsgewohnheiten sowie Erkrankungen im Gastrointestinaltrakt. Psychosomatische Ursachen nehmen einen besonderen Stellenwert ein. Für die Entstehung von Halitosis sind maßgeblich bakterielle Zersetzungsvorgänge verantwortlich. Die dabei entstehenden flüchtigen Schwefelverbindungen erhöhen die Permeabilität der oralen Mukosa, beispielsweise für Endotoxine, und bewirken eine Schädigung des parodontalen Gewebes.
Schlussfolgerung
Ursachen und Entstehung von Halitosis sind mittlerweile recht gut untersucht. Da Mundgeruch grundsätzlich ursachenbezogen behandelt werden sollte, können aktuelle Therapiekonzepte entsprechend eingesetzt werden. Zur Ermittlung der Ursachen ist ein spezielles Konzept zu empfehlen, welches nicht nur die Diagnostik der Hauptursache, sondern auch möglicher Kofaktoren einbezieht. Diagnostik und Therapie von Halitosis werden in einem zweiten Teil des Artikels dargestellt.
Der zweite Teil erscheint in der nächsten zm-Ausgabe.
Dr. Björn LangPriv.-Doz. Dr. Andreas FilippiKlinik für zahnärztliche Chirurgie, – Radiologie, Mund- und Kieferheilkunde,Zentrum für Zahnmedizin der Universität BaselHebelstrasse 3CH – 4056 BaselAus: SSO Schweizer Monatsschrift für Zahnmedizin 114, 1037-1044 (2004). Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
\n
Beschreibung
\n
Echte Halitosis
Deutlicher Mundgeruch, Intensität deutlich über sozial
verträglicher Akzeptanz
\n
Physiologische Halitosis
\n
Mundgeruch mit Ursprung in der Mundhöhle (z.B. dorsaler
Anteil der Zungenrückens) oder aufgrund Genuss bestimmter
Nahrungs- und Genussmittel (z.B. Knoblauch, Alkohol)
\n
Pathologische Halitosis
\n
\n
Orale Ursache
Mundgeruch durch pathologischen Prozess innerhalb der
Mundhöhle; Mundgeruch durch Zungenbelag, modifiziert
durch pathologische Zustände (z.B. Parodontopathien,
Xerostomie)
\n
Extraorale Ursache
Mundgeruch aus dem Bereich der HNO (z.B. nasal, paranasal,
laryngeal), dem Atmungs- und oberen Verdauungstrakt oder
aufgrund anderer Allgemeinerkrankungen (z.B. Diabetes,
Leberzirrhose, Urämie)
\n
Pseudo-Halitosis
Mundgeruch wird durch andere nicht wahrgenommen
Situation verbessert sich durch Aufklärung des Patienten und
Besprechung der Untersuchungsergebnisse
\n
Halitophobie
Patient klagt über Mundgeruch, obwohl dieser nicht
verifiziert werden kann
Weder durch intensive Aufklärung noch durch Besprechung
der Untersuchungsergebnisse kann der Patient davon
überzeugt werden, dass kein Mundgeruch vorliegt.
\n
\n
Erkrankung
Metabolite
\n
Diabetes mellitus
● Ketonkörper
\n
Urämie,
● Dimethylamin [(CH3)2NH]
\n
Nierenversagen
● Trimethylamin [(CH3)2N]
\n
Lungenkarzinom
● Aceton, Methylketon, n-Propanol
\n
● Anilin, o-Toluidin
\n
Karzinome des Respirationstraktes
● C2-C8, einfache und verzweigte organische Säuren
\n
Lebererkrankungen
\n
● nicht Galle stauend: H2S, Limone
\n
● einfache biliäre Leberzirrhose: H2S
\n
● dekompensierte Leberzirrhose:
\n
C2-C5 aliphatische Säuren, Methylmercaptan (CH3SH), Ethanethiaol CH3CH2SH), Dimethylsulfid (CH3SCH3)
\n
Trimethylaminurie
● Trimethylamin
\n