Vom Muss zum Spaß
Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Binsenweisheit, dass erfolgreiche Unternehmen sämtliche Aktivitäten an Bedürfnissen, Wünschen und Vorstellungen ihrer Klientel ausrichten. Es fällt jedoch auf, dass Theorie und Wissenschaft den Kunden immer wieder hochstilisieren, die Realität hingegen – und dies erleben wir täglich in unserer eigenen Rolle als Verbraucher – ihn eher als Störfaktor wahrnimmt und sich mit dem Thema Zufriedenheit recht schwer tut. Man denke nur an den „Praxisdrachen“, der Kollegen und Patienten gleichermaßen die gute Laune vermiest.
Welche Voraussetzungen und Ansichten muss also eine patientenorientierte Praxis erfüllen? Welches grundlegende Verständnis ist sinnvoll, welches erforderlich?
Fifty-fifty
In der Vergangenheit galt das Verhältnis Kopf-Denken versus Bauch-Denken 80 Prozent zu 20 Prozent. Neuere Untersuchungen belegen ein Verhältnis von mindestens 50 : 50. Für die tägliche Arbeit bedeutet dies, dass Menschen gleichermaßen auf der rationalen und der emotionalen Ebene Entscheidungen treffen und geschäftlich agieren – nicht wie wir gelernt haben – sich allein auf rationale Argumente verlassen.
Diese veränderte Einstellung zur Emotion als Steuerungselement zwischenmenschlicher Beziehungen ist auch Grund dafür, dass man sich im Marketing mit dem Begriff CRM auseinandersetzt. CRM steht dabei für Customer Relationship Management und bedeutet nichts anderes als mit Emotionen und Ratio sachgerecht Klienten/Patienten an ein Unternehmen/eine Praxis zu binden.
Ein bindendes Lächeln
Für die Beratung, Behandlung und Betreuung des Patienten gelten zu den sachlichen (wie fachliche Kompetenz, verbale Kommunikation, Fakten, Therapie-Empfehlung, Kosten, Hygiene) auch die emotionalen Aspekte, unter anderem Körpersprache, Erscheinungsbild, Stimme, Atmosphäre, bildliches Denken, Sympathien sowie Farben und Formen.
Wie können aber „emotionale“ Komponenten in eine von Vertrauen und medizinischer Nähe geprägte Beziehung eingeflochten werden, die zu subjektiv verschiedenen Teilen als geschäftlich, unangenehm oder autoritär wahrgenommen wird?
Die Mittel, um die Emotion für eine Geschäftsbeziehung zu legitimieren, sind Freundlichkeit, Respekt und Service. Freundlichkeit und Respekt werden von Patienten honoriert und erwartet. Jeder, der in eine Praxis kommt, möchte zur Kenntnis genommen werden. Das fängt an mit dem Blickkontakt der Empfangsmitarbeiterin, einem Lächeln zur Begrüßung, hält an mit der Hilfsbereitschaft beim Ausfüllen des Anamnesebogens, der Führung durch die Praxis beim ersten Mal, der Information über die Dauer der Wartezeit und anderen freundlichen Gesten.
Service als Instrument des Marketings wird heute unter diesen Bedingungen ebenfalls modifiziert gesehen. Grundsätzlich gilt: Service hat nichts mit Unterwürfigkeit dem Patienten gegenüber zu tun. Auch nicht damit, ihm jeden Wunsch zu erfüllen und sich dabei zu verbiegen. Service bedeutet vielmehr, dem Kunden das Gefühl zu geben, dass er wichtig ist. Eine Helferin, die guten Service umsetzen möchte, sagt sich beim Anblick eines jeden Patienten: „Auch dieser hat noch ein Problem, das gelöst werden muss. Was kann ich tun, um dieses Problem für ihn zu lösen?“
Guter Service, hoher Wert
Service kann verschiedene Arten von Leistungen umfassen. Es kann eine kostenlose Zusatzleistung sein, zum Beispiel eine Prophylaxe- Sitzung nach Abschluss einer großen Arbeit als Dankeschön oder eine kleine Aufmerksamkeit. Es darf aber auch etwas kosten, zum Beispiel ein Reparaturservice.
Für einen guten Service sind viele Patienten bereit, zusätzlich zu bezahlen, sofern der Nutzen deutlich wird, den sie aus der Leistung erhalten. Service muss auch flexibel genug sein, um sich den verschiedenen Wünschen der Patienten anzupassen. Dazu muss man aufmerksam mit jedem Patienten umgehen. Ein einfaches und erfolgreiches Mittel ist das Zuhören und Fragen. Sehr gut funktioniert das Nachfragen schon im Anamnesebogen. Wenn zum Beispiel die Helferin den Neupatienten fragt: „Was ist Ihnen wichtig, damit Sie sich in unserer Praxis wohl fühlen?“
Umgang mit Zufriedenheit
Jede Praxis ist einzigartig und so soll es auch bleiben. Erst die richtige Mischung der Marketingmaßnahmen entscheidet über ihre Attraktivität. Die prägenden Faktoren dabei sind das Leistungsangebot, die Kommunikation mit dem Patienten, der Service und natürlich Preis und Qualität der angebotenen Leistungen.
Bei der Suche nach Maßnahmen zur Verstärkung der Patientenbindung liefert das aus Japan stammende Kano-Modell einen pragmatischen Ansatz. Es unterscheidet drei Arten von Anforderungen des Kunden respektive hier des Patienten. Der Grad ihrer Erfüllung hat einen unterschiedlichen Einfluss auf die Zufriedenheit der Patienten mit der erbrachten Leistung. Diese Differenzierung zwischen den Basis-, Leistungs- und Begeisterungs-Anforderungen der Patienten bietet eine wertvolle Strukturierungshilfe zur Entwicklung eines zukunftsorientierten „Clienting“. Hierbei ist zu beachten, dass die Anforderungen von verschiedenen Kundengruppen unterschiedlich eingestuft werden.
Strategische Vorteile aus Japan
Die strategischen Vorteile dieser Klassifizierungsmethode von Service für den Zahnarzt und das Marketing für seine Praxis sind vielschichtig:
• Leistungskomponenten identifizieren, die den größten Einfluss auf die Kundenzufriedenheit haben
• Prioritäten setzen, für die zielgruppenspezifische Weiterentwicklung des Dienstleistungsangebots einer Praxis
• Hilfe beim Ermitteln von Prioritäten zwischen alternativen Dienstleistungen, die nach ihrem Nutzen zur ufriedenheitssteigerung eingestuft werden können
• Ein zielgruppenspezifisches Angebot von Basis-, Leistungs- und Begeisterungs- Komponenten aufbauen
• Begeisterungsanforderungen entdecken und erfüllen, um als einzigartig erlebt zu werden.
Das will ein Patient immer
Basisanforderungen sind Muss-Kriterien für die Erbringung einer Dienstleistung. Ein Nicht-Erfüllen dieser Anforderungen führt zu extremer Unzufriedenheit, während die Erfüllung vom Patienten gleichsam vorausgesetzt wird und nicht zu erhöhter Zufriedenheit führt, so der Grundgedanke.
Hinter den Basisanforderungen verbergen sich eine Art von „Vermeidungsbedürfnissen“, die zwar Unangenehmes verhindern, aber leider auch nicht zu positiven Empfindungen führen. Basisanforderungen sind vom Patienten konkret geforderte Leistungen, die als selbstverständlich angenommen und auch nicht explizit verlangt werden. Sie sind in jedem Fall wettbewerbsbestimmend – wird der Patient hier enttäuscht, wandert er ab. Beispiele für Basisanforderungen an eine Praxis sind:
• Schnelligkeit der Leistungserfüllung
• reibungslose Organisation, zum Beispiel keine Wartezeiten
• gute Erreichbarkeit der Praxis
• gute Qualität
• günstige Preise
• Freundlichkeit des Praxisteams
• gepflegter Auftritt des Teams.
Das kommt gut an
Bei Leistungsanforderungen verhält sich der Grad der (Un-)Zufriedenheit mehr oder weniger proportional zum Grad der (Nicht-)Erfüllung. Sie werden in der Regel vom Patienten ausdrücklich verlangt und lassen sich meist in technisch-messbarer Weise spezifizieren. Leistungsanforderungen bieten das größte Spektrum an Möglichkeiten zur Differenzierung der Leistungen einer Praxis und damit zu deren Profilierung im Wettbewerbsumfeld.
Beispiele für Leistungsanforderungen einer Zahnarztpraxis, die nicht zwingend erforderlich, jedoch selbstverständlich geworden sind:
• Breite und/oder Tiefe des Leistungsspektrums je nach Spezialisierung
• Alles aus einer Hand oder unter einem Dach
• gute Qualität der Leistungen
• zertifizierte Materialien/Produkte
• modernste technische Ausrüstung
• ausführliche Beratung
• telefonische Erreichbarkeit
• flexible und besondere Öffnungszeiten
• geschmackvolle Einrichtung der Praxis
• eine Auswahl an Getränken.
Begeisterung pur
Die Erfüllung von „Begeisterungsanforderungen“ hat den höchsten Einfluss auf den Grad der Patientenzufriedenheit. Sie werden vom Patienten weder explizit formuliert, noch erwartet. Aber sie begeistern ihn, wenn sie erfüllt werden. Falls nicht, hat der Zahnarzt keinen Schaden, denn der Patient hatte damit ja eh gar nicht gerechnet. Diese Anforderungen sind stark emotionsbehaftet, denn Begeisterung entsteht oftmals durch die Überraschung. Die Leistungen werden mit einem Erstaunen positiv quittiert. Dies erreicht man in der Praxis insbesondere im Bereich Kontakt- und Kommunikations-Qualität, aber auch bei einer Vielzahl von ungewöhnlichen Serviceleistungen.
Beispiele für Begeisterungsanforderungen an eine Praxis sind:
• Garantieleistungen
• Nutzung neuer Medien und Technologien zur Kommunikation und Information des Patienten
• Events und Schulungen
• Verwendung einer intraoralen Kamera
• Info-Veranstaltungen zu besonderen Themen
Begeisterungsleistungen sind kurzlebiger Natur und erfordern den größten Innovationsgrad. Von ihnen geht aber auch der höchste Wirkungsgrad in Bezug auf die Kundenzufriedenheit und -bindung aus.
Mit Maximen zum Maximum
Die Zuordnung der Kundenbedürfnisse in die genannten drei Kategorien ist dabei keineswegs statisch, sondern unterliegt einem dynamischen Wertewandel. Insbesondere die Begeisterungsmaßnahmen werden durch Gewöhnungseffekte bei den Klienten zu Selbstverständlichkeiten. Ursprüngliche Begeisterungsanforderungen können, wenn alle Anbieter sie erfüllen, den Charakter von Leistungs- oder sogar Basis-Anforderung annehmen. Basisanforderungen können durch technologische Quantensprünge auch wieder Kundenbegeisterung auslösen (zum Beispiel CAD/CAM-Techniken im Dentalbereich, Lasertechniken in Zahnarztpraxen, Internet als Kommunikationsmedium).
So wie andere Unternehmen, wird in Zukunft auch die Zahnarztpraxis auf bestimmte Ziele ausgerichtet sein müssen. Die Vorgabe eines Zielsystems, das durch die Praxistätigkeit erreicht werden soll, zählt zu den zentralen Aufgaben des Zahnarztes in seiner Funktion als Behandler und Unternehmer. Neben ökonomischen Zielen, wie zum Beispiel Gewinn, Umsatz, Rentabilität, gibt es auch und gerade im Gesundheitswesen sittlich-ethische, soziale, politische und gesellschaftliche Ziele, die mit dem Betrieb einer Praxis verbunden sind.
Derartige Ziele können zum Beispiel im „Erreichen einer hohen Patientenzufriedenheit“, „Aufbau von besonderen Beziehungen zu den Patienten“ und dem Anspruch „eine Praxis mit gutem Ruf“ führen zu wollen, konkretisiert werden. Wird eine marketingorientierte Praxis unter diesen Maximen geführt, können beide Partner zufrieden sein: der Zahnarzt als Unternehmer und der Patient als sein Klient.
Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH)Sabine NemecOberdorfstr. 4763505 Langenselbold
Prof. Dr. Helmut BörkircherÖtisheimer Str. 2375443 Ötisheim