Tagung der Akademie Karlsruhe

Medizinische Rehabilitation oder mechanische Meisterleistung

Heftarchiv Zahnmedizin
Wie kann das tradierte mechanistische Krankheitsverständnis von einem medizinischen abgelöst werden? Mit dieser Fragestellung eröffnete Prof. Dr. Michael Heners die Karlsruher Konferenz 2005. Er stellte zu Beginn seines Referates fest, dass der Begriff der „Mechanischen Meisterleistung“ lediglich die Herstellung von etwas Künstlichem beschreibt.

Eine intraorale Restauration sollte als mechanische Meisterleistung darüber hinaus dem Natürlichen nahekommen und das natürliche Gleichgewicht des Patienten wieder herstellen. Diese – nicht vorhersagbare – Wiederherstellung der Integrität des Patienten ist das Ziel jeder ärztlichen Tätigkeit. Arzt und Zahnarzt beherrschen ihre Kunst. Sie kennen und steuern den Verlauf von Krankheiten, können sie jedoch nicht wegnehmen. Die ärztliche Kunst unterliegt einer Prozessualität und dadurch der Vorläufigkeit und der Begrenztheit wissenschaftlicher Erkenntnis. Wie drückt sich das ärztliche Krankheitsverständnis konkret bei der prothetischen Planung aus? Prof. Heners erläuterte dies anhand von Beispielen aus den Therapieplanungskursen der Akademie. Wenn mehrere Zahnärzte denselben Fall zur Planung vorgelegt bekommen, so weist das Ergebnis eine mehr oder weniger ausgeprägte Varianz aus. Bedeutsam ist, dass der Prozess der Planung rationalen Kriterien genügt. Dies wurde von Prof. Heners durch einen Fall veranschaulicht, der eine starke parodontale Beteiligung aufwies und schwer zu überschauen war. Er zeigte, das eine adäquate Therapieentscheidung den individuellen Nutzen der Behandlungsoptionen in Rechnung stellt und stets zu mehreren Therapiealternativen führt.

Solche Gedanken sind in der Zahnheilkunde leider noch lange nicht Allgemeingut. Der von Heners vorgestellte Fall geriet auch in die Hände eines Gutachters, der strikt mechanistisch dachte. Ein Blick in das Gutachten machte deutlich, dass eine solche Denkweise nicht zu angemessenen Lösungen führt. Zahnärztliche Fortbildung darf daher nicht nur den manipulativen Part restaurativer Therapie lehren, sondern muss ihr Augenmerk auch auf das ärztliche Denken und Entscheiden richten.

Parodontitiden per Zahnbürste heilen

Seit die Prophylaxe Mitte der 60er Jahre verstärkt Einzug in die zahnärztliche Praxis gehalten hat, konnte eine deutliche Reduzierung der Karies bei Kindern und jungen Erwachsenen erzielt werden, wie Priv.-Doz. Dr. Dr. Thomas Beikler, Münster, erklärte. Auf der anderen Seite jedoch zeigen die Prävalenzdaten zur Parodontitis beinahe unverändert, dass der Verlust parodontalen Stützgewebes die häufigste Ursache für Zahnverlust bei Erwachsenen darstellt. Der Referent verdeutlichte anhand von zwei Fallbeispielen dem Auditorium, dass weniger die Quantität, sondern vielmehr die Qualität der Plaque für die Entstehung einer Parodontitis ausschlaggebend sei.

Plaque ist kein uniformes, sondern ein hoch komplexes und dynamisches Gebilde, welches nicht durch Massezunahme, sondern durch Kolonisation mit spezifischen Erregern für Zahn und Implantat gefährlich werden kann. Den Nachweis für ein gleichartiges Kolonisations- und Infektionsmuster von Parodontitis und Periimplantitis liefert eine Studie von Bullon et al. von 2004.

Im Verlauf der Infektion werden eine Vielzahl immunologischer und inflammatorischer Prozesse in Gang gesetzt, die zum Ziel haben, die Infektion einzugrenzen und zu beherrschen. Neben der Qualität der Plaque sind die individuelle Empfänglichkeit, die genetische Prädisposition und Umwelteinflüsse beziehungsweise Grunderkrankungen, wie Rauchen und Diabetes, Faktoren, die diese Regulation stören und somit ein Voranschreiten der Erkrankung fördern. Auf Grund der komplexen Natur parodontaler Infektionen erklärt sich, dass bei bereits vorhandener Infektion eine Aufforderung zur besseren Mundhygiene, also eine Mundhygieneinstruktion und Remotivation des Patienten, nicht ausreicht. Ohne eine entsprechende Therapie kommt es zur unkontrollierten Vermehrung der Bakterien und damit verbunden zu einer Freisetzung von destruierenden Toxinen. Aber selbst die mechanische Therapie durch den Zahnarzt mit supra- und subgingivaler Entfernung des komplexen Biofilms gerät je nach Schweregrad der Erkrankung an ihre Grenzen.

Der Referent verdeutlichte noch einmal, dass Antibiotika lediglich als Adjuvans zur mechanischen Therapie in besonders schwerwiegenden Fällen angewandt werden sollten und keinesfalls als Standardtherapie angesehen werden können.

Ziel einer jeden Parodontaltherapie muss die Reduktion der Entzündung, die Suppression pathogener Erreger und die Protektion vor Infektion und dysregulatorischer Entzündung sein. Mit den heutzutage zum Einsatz kommenden parodontologischen Verfahren kann eine Parodontitis erfolgreich therapiert werden.

Endobehandlung steht und fällt mit der Desinfektion

Prof. Martin Trope, Chapel Hills, leitete seinen Vortrag mit dem Thema „Die Behandlung der Pulpitis und der apikalen Parodontitis – eine Glaubensfrage?“ mit der Einschätzung ein, dass Fortschritte in der Endodontie in Zukunft nicht in der Verfeinerung von Techniken und Apparaturen zu finden sein werden, sondern in der Nutzung regenerativer, biologischer Therapiekonzepte. Er demonstrierte dies am Beispiel der Entwicklung neuer Strategien in der Behandlung von Zähnen ohne abgeschlossenes Wurzelwachstum.

Die Schwierigkeit in der Behandlung dieser Zähne bestehe vor allem in der Desinfektion des infizierten Wurzelkanalsystems, welche in der Regel nur durch chemische Maßnahmen zu erreichen ist. Hier zeichne sich ein Paradigmenwechsel in der Wahl des Desinfektionsmittels ab. Natriumhypochlorid werde durch zweiprozentiges Chlorhexidin abgelöst, da mit Hypochlorid nur in zehn Prozent der Fälle tatsächliche Bakterienfreiheit erreicht werden könne. Desinfektionsraten von 80 Prozent werden erst durch Einlage einer Calciumhydroxidsuspension erreicht. Der Erfolg der Therapie sei jedoch auch von der Ausbildung einer Hartgewebsbarriere am Apex abhängig, da sie für einen bakteriendichten Verschluss von ausschlaggebender Bedeutung sei. Als neue regenerative Methode demonstrierte Trope einen Behandlungsansatz, der die Regeneration von Gewebe im Pulparaum zum Ziel hat. Eine solche Wiederbesiedlung des Markorgans konnte zunächst im Tierexperiment nachgewiesen werden. Für die Behandlung am Menschen gilt ein striktes Verfahrensprotokoll. Wichtig ist, wie bei jeder Behandlungsstrategie, die Desinfektion des Kanalsystems, jedoch ohne mechanische Aufbereitung. Dann muss eine Matrix vorhanden sein, in die das Gewebe hineinsprossen kann sowie ein bakteriendichter Verschluss im koronalen Bereich, der eine Reinfektion zuverlässig abwehrt. Es zeichne sich ab, dass eine Mischung aus drei Antibiotika und Natriumhypochlorid als Matrix dienen kann. Nach Applikation der Paste in das Kanalsystem wird eine Blutung induziert und nach erfolgter Koagulation bakteriendicht verschlossen. Das dann von apikal einwachsende Gewebe sei vielfältig und gleiche nicht dem Pulpagewebe. Das Verfahren hat auch in der Behandlung der artifiziell eröffneten Pulpa und der irreversiblen Pulpitis Erfolg versprechende Ergebnisse erzielt, sofern entzündete Pulpaanteile entfernt worden seien. Hier sei aber noch weitere Forschung vonnöten.

Welches Implantatsystem führt zum Therapieerfolg

Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake, Göttingen, stellte sich der Frage, ob man nur das richtige Implantatsystem kaufen müsse, um erfolgreich zu implantieren. Wie einfach wäre es dann: „Auspacken, bohren und abrechnen“; diese einfache, mechanische Vorstellung zitierte er aus einem Implantatprospekt. Mechanische Vorstellungen über den Organismus haben eine lange Geschichte, wie Schliephake mit einem Zitat aus dem Zeitalter der Aufklärung nachwies: „Der Mensch ist eine Maschine, welche so zusammengesetzt ist, dass es unmöglich ist, sich zunächst von ihr eine deutliche Vorstellung zu machen und folglich sie zu definieren.“ J. O. de la Mettrie (1709-1751).

Der Referent zeigte auf, dass wir allmählich ein komplexes Verständnis bezüglich der Implantation, periimplantärer Faserstrukturen, Implantat-Knochenkontakt und der Materialien entwickeln. Implantate haben vorhersehbare Reaktionen bei der Osteokonduktion, der initialen Reaktion zwischen Implantatoberfläche und Knochen.

1972 sei bereits festgestellt worden, dass die initialen Reaktionen zwischen einer fremden Oberfläche und der Flüssigkeit Blut physikalischer Natur und von der Materialoberflächenspannung direkt abhängig seien.

Die von Schliephake vorgestellten Untersuchungen zeigen, dass es bei einer rauen Implantatoberfläche zu einer schnelleren Zelladhäsion kommt, was zu einem besseren Kontakt zwischen Knochen und Implantat führt. Bei der biomimetrischen Beschichtung von Implantaten kommt es damit laut Schliephake zu einer wesentlichen Verbesserung der Qualität des Knochenkontaktes. Man schafft eine möglichst naturnahe Oberflächenbeschichtung, indem mineralisierte Strukturen in Kombination mit Kollagenfasern auf die Implantate aufgebracht werden und dadurch natürlichen Knochen simulieren. Der Implantatoberfläche soll somit eine eigene biologische Aktivität verliehen werden. Kommt es also doch nur auf das richtige Implantatsystem und dessen Oberflächenbeschichtung an? Für die Implantation gibt es sehr verschiedene Risikofaktoren, angefangen bei dem Patienten und seinen Erkrankungen bis hin zum Behandler. Neben den systemischen und lokalen Faktoren stellt der Behandler ein weiteres Risiko dar. Wie plant er? Wie reagiert er auf ungünstige Voraussetzungen? Wählt er die richtige Implantatlänge und den richtigen Zeitpunkt für die Implantation aus? Berücksichtigt er bei der Implantation die weitere prothetische Versorgung?

Der Referent empfiehlt den anwesenden niedergelassenen Zahnärzte bei der Wahl Ihres Implantatsystemes unbedingt darauf zu achten, dass es wissenschaftlich gut dokumentiert ist und so ausreichende Langzeitergebnisse vorhanden sind. sp/AKKA

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