Gastkommentar

Modell Schweiz

Ab Juli müssen die Beschäftigten Zahnersatz und Krankengeld allein finanzieren. Eine dauerhafte Entlastung der Arbeitgeber bedeutet dies aber nicht.
Dr. Dorothea Siems
Wirtschaftskorrespondentin der Welt, Berlin

Demnächst wird die zweite Stufe der Gesundheitsreform gezündet. Vom kommenden Juli an müssen die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen  zusätzlich zu ihrem Beitrag einen Obolus von 0,9 Prozent zahlen. Der Sonderbeitrag soll die Ausgaben für Krankengeld und Zahnersatz abdecken. An diesen Kosten müssen sich die Arbeitgeber künftig nicht mehr beteiligen. Die bislang hälftige Finanzierung des Krankenkassenbeitrags wird zulasten der Arbeitnehmer und Rentner verschoben, die künftig einen Anteil von rund 53 Prozent schultern.

Verständlicherweise begrüßen die Arbeitgeber die Entlastung. Auch für die freiberuflich tätigen Ärzte, Zahnärzte und anderen Heilberufe bedeutet der Schritt – sofern sie Angestellte beschäftigen – eine Reduzierung der Lohnkosten. Der Arbeitgeberanteil an den Kassenbeiträgen sinkt um 0,45 Prozentpunkte. Für die Versicherten kommt der Schritt hingegen einer einmaligen Lohnabsenkung gleich: Ihr Kassenbeitragssatz steigt um 0,45 Prozentpunkte an. Im Endeffekt zahlen die Versicherten somit mehr an ihre Krankenkassen als vor der Gesundheitsreform – trotz höherer  Zuzahlungen, Praxisgebühr und dem Streichen einiger Kassenleistungen, wie den rezeptfreien Medikamenten. Denn bislang ist die von der Politik vollmundig  versprochene Absenkung der Beiträge weitgehend ausgeblieben. Immerhin komme es mit der Verschiebung bei der paritätischen Finanzierung nun zu einer Absenkung der Lohnnebenkosten, lobt sich die Bundesregierung selbst. Das ist richtig. Allerdings ist höchst fraglich, ob die Entlastung der Wirtschaft auch von Dauer ist. Die  paritätische Finanzierung der  Sozialbeiträge  ist  schließlich  von  jeher  eine  Schimäre. Denn es ist immer der Arbeitnehmer, der mit seiner Leistung die gesamten Arbeitskosten erwirtschaften muss – ansonsten wird sein Job wegrationalisiert. Der Arbeitgeber kalkuliert stets mit den Gesamtkosten, also mit den ausgehandelten Bruttolöhnen plus Lohnnebenkosten. Umgekehrt interessiert den  Beschäftigten nur sein Nettoeinkommen. Die paritätische Finanzierung verschleiert lediglich,  wie teuer die soziale Absicherung für den Einzelnen tatsächlich ist.

Zum 1. Juli wird die Arbeitskraft in Deutschland etwas billiger. Im gleichen Maße sinkt das Nettoeinkommen eines Beschäftigten. Doch schon bei der nächsten Lohnrunde könnte dieser Effekt wieder ausgeglichen werden. Haben Gewerkschaften  oder der einzelne Arbeitnehmer eine gute Verhandlungsposition, setzen sie eine entsprechend höhere Lohnforderung durch, die den alten Zustand wieder herstellt. Sitzen hingegen die Arbeitgeber am längeren Hebel, wird es keinen Ausgleich geben. Doch in diesem Fall hätte das Arbeitgeberlager  ohnehin in Tarifverhandlungen eine Entlastung bei den Lohnkosten – etwa durch unbezahlte Mehrarbeit – durchsetzen können, wie dies in etlichen Branchen in den vergangenen Jahren schon geschehen ist.

Mit der veränderten Parität kann die Politik also keine dauerhafte Entlastung der Wirtschaft durchsetzen. Auch ein Einfrieren des Arbeitgeberanteils, wie es einige Politiker sowohl  im  Regierungslager  als auch in der Union mittlerweile fordern, ist kein Königsweg aus der chronischen Finanzmisere der Krankenkassen. Denn auch in diesem Fall könnten die Gewerkschaften bei den Lohnverhandlungen eine Kompensation für steigende Kassenbeiträge erzwingen. Nur mit einer Entkoppelung der Gesundheitsausgaben von den Arbeitskosten lässt sich eine echte und vor allem nachhaltige Entlastung der Arbeitgeber erreichen. Als Modell kann die Schweiz dienen, wo die Krankenversicherung über  einkommensunabhängige Kopfpauschalen finanziert wird.

Statt eines Kassenbeitrags, der sich nach der Höhe des Arbeitslohns richtet,  zahlt in  dem Alpenstaat jeder Erwachsene die gleiche Prämie. Der soziale Ausgleich und die Familienversicherung werden über Steuern finanziert. Im Gegensatz zum hiesigen Gesundheitssystem führen in der Schweiz steigende Gesundheitsausgaben weder zu höheren Arbeitskosten noch geht für den Beschäftigten die Schere zwischen Brutto- und Nettolohn immer weiter auseinander.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.