BZÄK-Europatag

Die Krise als Chance

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Das Nein zur europäischen Verfassung in Frankreich und den Niederlanden und das Scheitern des letzten EU-Gipfels nach der Blockade durch Tony Blair – Europa steckt in einer tiefen Sinnkrise. Dennoch zeigte sich auf dem Europatag der Bundeszahnärztekammer am 29. Juni in Berlin: In der Krise steckt auch eine Chance für die Neubesinnung. Mit Diskussionen wie der in Berlin wird deutlich, dass die Zahnärzteschaft, zumindest was den heilberuflichen Bereich angeht, den europäischen Denk- und Meinungsprozess aktiv mitgestaltet. Ganz aktuelles Beispiel: die Dienstleistungsrichtlinie

„Europa ist eine Baustelle. Wir Zahnärzte sind dort emsige Mitarbeiter, und das aus voller Überzeugung.“ Mit diesen Worten begrüßte BZÄK-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp rund 80 geladene Gäste aus Politik, Verbänden, Institutionen und Wissenschaft zum dritten Europatag der Bundeszahnärztekammer in den Räumen des Informationsbüros des Europäischen Parlaments (EP) in Berlin. Angesichts des Neins der Volksbefragungen in Frankreich und den Niederlanden brennt die Frage, wie es denn jetzt mit Europa weitergehen soll, dringend unter den Nägeln. Europa zu loben, möge deshalb kühn erscheinen, sagte Weitkamp, aber der europäische Einigungsprozess würde allenfalls in seiner derzeitigen Konstruktion in Frage stehen, nicht aber in seinem Fortbestand. „Der europäische Bürger auf der Straße kann mit vielen Begriffen nichts anfangen, deshalb tun wir gut daran, uns bezüglich unserer Einschätzungen unters Volk zu mischen“, betonte er. „Es ist notwendig, ein festes Fundament zu bauen, eine Weiterentwicklung muss in Ruhe und Solidität erfolgen.“

Die derzeitigen Beratungen zur Dienstleistungsrichtlinie betrachtete Dr. Bernd Kunzmann, stellvertretender Leiter des EP-Informationsbüros, als „Baustelle, an der noch heftig gearbeitet wird.“ Der Europäische Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten seien gefragt, hier aktiv zu werden. Deswegen beglückwünschte Kunzmann die BZÄK, im Rahmen des Europatages hier mitzuwirken. Der Präsident des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB), Dr. Ulrich Oesingmann, mahnte praktisches Vorgehen und eine breit angelegte Diskussion an und bezog das auf den Einigungsprozess genauso wie auf die weitere Diskussion um die Richtlinie. An diesem Prozess würden sich die Freien Berufe noch mehr als bisher beteiligen. Er betonte die Wichtigkeit von länder- und berufsgruppenübergreifender Zusammenarbeit: „Schwarz-Weiß-Malerei hilft nicht weiter.“

Thema kommt in Gang

Prof. Dr. Ingolf Pernice, Verfassungsrechtler der Humboldt-Universität Berlin, arbeitete die positiven Aspekte heraus, die sich aus dem Nein aus Frankreich und den Niederlanden sowie des Scheitern des letzten Gipfels nach der Blockade durch Tony Blair ergeben. Die EU stecke in einer tiefen Krise, aber man habe man bewirkt, dass „das Thema Europa in Gang kommt“, es werde darüber öffentlich diskutiert. „Die Verbindung der Themen Verfassung für die EU und Finanzpolitik – wenn etwas für Europa nützlich ist, dann ist es diese Debatte.“

Mit Spannung erwartet wurde das Grundsatzreferat von Dr. Timm Rentrop, Experte des Europäischen Instituts für Öffentliche Verwaltung, Maastricht, über den EU-Binnenmarkt in der Zahnmedizin. „Was würden die Richtlinien über Diplomanerkennung und Dienstleistungsfreiheit für Zahnärzte und ihre Verwaltung wirklich verändern?“ lautete seine Fragestellung – ein differenziertes genauso wie diffiziles Thema. Er ging auf die Freizügigkeit und deren Ausnahmen oder auf den Vorrang von EU-Regeln gegenüber nationalen Regelungen ein. Anhand von vielen Beispielen verdeutlichte er die Unterschiede im Niederlassungs- und Dienstleistungsrecht und skizzierte das Procedere bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen.

Um die Auswirkungen der geplanten Dienstleistungsrichtlinie auf Leistungserbringer wie Patienten ging es in der anschließenden Podiumsdiskussion, die in gewohnt souveräner Weise von Prof. Dr. Susanne Tiemann, ehemalige Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, moderiert wurde. Dabei zeigte sich Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, MdB und Berichterstatterin zum Richtlinienentwurf im Bundestag, als Verfechterin einer grundlegenden Überarbeitung des ursprünglichen Bolkenstein-Entwurfs. Das Herkunftslandprinzip müsse verschwinden, die neue Richtlinie dürfe nicht in Bereiche der Daseinsvorsorge eingreifen und vor allem: „Der Gesundheitsbereich muss raus!“

Demgegenüber vertrat Dr. Joachim Wuermeling, Mitglied des Europäischen Parlaments (EVP/D), die Auffassung, dass dies nicht nötig sei, vielmehr sollte man die wettbewerblichen Möglichkeiten nutzen. Sein Vorschlag: Die Einführung von Klauseln, die besagen, dass die Regeln der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht durch die Richtlinie tangiert werden sollen. Im Übrigen werde die Rolle der Kommission überschätzt: „Die Entscheidung fällt im Ministerrat sowie im Europäischen Parlament.“

Dr. Frank Niggemeier, Referatsleiter Gesundheit der deutschen ständigen Vertretung bei der EU in Brüssel, betonte, dass zu diesem Zeitpunkt viele Widersprüche noch ungeklärt seien und geprüft würden. Im Rat gebe es eine starke Tendenz zur Herausnahme der Daseinsvorsorge. Bei der letztlichen Entscheidung werde dem Parlament der Vortritt gelassen.

Viel Hoffnung für die Freien Berufe sah BFBHauptgeschäftsführer RA Arno Metzler, gleichzeitig Berichterstatter zum Richtlinienentwurf für den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss. Durch die Verabschiedung der neuen Berufsqualifikationsrichtlinie sei davon auszugehen, dass viele Regelungsbereiche, die die Freien Berufe angehen, auch in die Dienstleistungsrichtlinie übernommen werden könnten.

Europarechtsexperte Prof. Dr. Burkhardt Tiemann, Geschäftsführender Direktor des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ), stellte die hypothetische Frage: „Was ist, wenn die Kommission den Entwurf zurücknimmt?“ und gab zu bedenken, dass in diesem Falle das Richterrecht des Europäischen Gerichtshofs greifen würde. „Das wird der Regulierung des Marktes nicht gerecht.“

Doch was erwarten die Zahnärzte von der neuen Dienstleistungsrichtlinie? Der Präsident des EU Dental Liaison Committee (DLC), Dr. Wolfgang Doneus, erklärte, dass sich das DLC schon lange mit dieser Frage beschäftige: „Doch wem nützt die Richtlinie?“ Sicherlich nicht dem Zahnarzt, denn die Berufsgruppe gehöre nicht primär zu den Hauptzielgruppen der neuen Regelungen, da es dort mehr um den kommerziellen Wettbewerb gehe. Zu unterscheiden sei zwischen freier Niederlassung und grenzüberschreitender Dienstleistung. Grundsätzlich sprach er sich für die Freiheit des Berufes aus, doch stelle das Gastlandprinzip die Qualität der Behandlung sicher.

BZÄK-Präsident Weitkamp konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kommission immer mehr Regularien überstülpe und forderte Klarheit: „Dienstleistung gleich Niederlassung, dann sind wir aus dem gesamten Dilemma heraus.“

BZÄK-Vizepräsident Prof. Dr. Wolfgang Sprekels, gleichzeitig Vizepräsident des DLC, betonte, dass die EU-Kommission ein Tempo vorlege, dem die Bevölkerung in den Mitgliedstaaten nicht mehr gewachsen sei (siehe dazu auch den Leitartikel Seite 6). „Geben Sie sich die Zeit, nehmen Sie sich die Zeit, geben Sie uns die Zeit“, forderte er. „Wenn Kommission und Parlament in der Lage sind, bei der Berufsqualifikationsrichtlinie Regelungen pro Daseinsvorsorge aufzustellen, warum nicht dann auch bei der Dienstleistungsrichtlinie? Es sind dieselben Ärzte und Patienten!“ Beide Institutionen seien gut beraten, das Rad nicht neu zu erfinden und die Regeln für die Berufsqualifikationsrichtlinie auch für die Dienstleistungsrichtline gelten zu lassen.

Resolution

Der Europatag gipfelte in einer Resolution „Qualität medizinischer Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt“. Darin heißt es: „Die Bundeszahnärztekammer begrüßt die am 6. Juni 2005 vom Rat verabschiedete Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen. Der bei den Berufsqualifikationen gegangene Weg sollte Vorbild auch für den derzeit im Europäischen Parlament und Rat beratenen Richtlinienvorschlag über Dienstleistungen im Binnenmarkt sein.“ Die Teilnehmer sprachen sich weiterhin aus:

• Für die Anwendung des Bestimmungslandprinzips zur Wahrung der Standards innerstaatlichen Berufs-, Sozial- und Strafrechts.

• Für einen integrierten Ansatz: Fragen der gesundheitlichen Versorgung sollen in allen Politikbereichen einbezogen werden.

• Für freiberufliche Selbstverwaltung zur Gewährleistung eines hohen Versorgungsniveaus. pr

• Die Resolution der Bundeszahnärztekammer zum Europatag findet sich im vollen Wortlaut unterhttp://www.bzaek.de.

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