Prüfsteine für die Politik
Vorbemerkung
Der zahnärztliche Berufsstand widmet sich kontinuierlich der Verbesserung der Mundgesundheit der deutschen Bevölkerung. Vor allem auf dem Gebiet der zahnmedizinischen Prävention sind – auch im internationalen Vergleich – deutliche Erfolge zu verzeichnen. Weitere Aspekte, die kontinuierlich und zielführend bearbeitet werden, sind unter anderem die Definition von Mundgesundheitszielen, die Qualitätsförderung, die Lebensqualitätsforschung, die Evidenzbasierung und die Wechselwirkungen zwischen oralen und allgemeinen Erkrankungen.
Eine qualifizierte Aus-, Fort- und Weiterbildung fördert die Qualität der zahnärztlichen Versorgung und stärkt den Wissenschaftsstandort Deutschland. Zur Förderung der Wissenschaft, zur Sicherung der präventiven Erfolge und zur Weiterentwicklung des zahnärztlichen Fachgebietes zum Wohle der Patienten fordert die Bundeszahnärztekammer entsprechende gesundheitspolitische und strukturelle Rahmenbedingungen.
Das hier vorliegende Papier versteht sich als der gesundheitspolitische Forderungskatalog der Bundeszahnärztekammer im Vorfeld der Bundestagswahlen im September 2005. Es handelt sich dabei um Forderungen und Grundsätze, an denen wir die Politik der Parteien messen und auf deren Grundlage wir die gesundheitspolitische Diskussion in der Bundesrepublik weiterführen wollen.
Gesundheitspolitik ist Zukunftspolitik – deshalb freut sich der Vorstand der Bundeszahnärztekammer auf fruchtbare und nachhaltige Gespräche mit allen, denen dieses Thema aus gesellschaftspolitischer Verantwortung heraus wichtig ist.
1. Reformen im Gesundheitswesen – die ordnungspolitische Neuorientierung ist unausweichlich
Die Bundeszahnärztekammer stellt fest, dass das deutsche umlagefinanzierte Gesundheitssystem zunehmend an Leistungsfähigkeit verliert. Dies ist insbesondere zurückzuführen auf die Konjunkturabhängigkeit der an den Faktor Arbeit gekoppelten Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und auf die Demographieanfälligkeit dieses Systems. Diese Tatsachen müssen zu einer Neuorientierung des Gesundheitswesens mit folgenden Konsequenzen führen:
■ Die Eigenverantwortung des Patienten muss durch eine konsequente Förderung präventionsorientierter Leistungen lebenslang gestärkt werden.
• Die zahnärztliche Freiberuflichkeit muss wieder gestärkt werden: Der heutige Leistungsstandard des deutschen Gesundheitswesens, das jedem Bürger eine wohnortnahe, zahnärztliche Versorgung ohne Wartelisten garantiert, beruht auf der Leistungsfähigkeit Freier Berufe.
• Ein Kernbereich an zahnmedizinischen Leistungen muss über eine konjunktur- und arbeitsmarktunabhängige Grundversicherung abgesichert werden; eine so genannte „Bürgerversicherung“ wird von der Bundeszahnärztekammer abgelehnt.
• Durch Kostenerstattung muss auch im GKV System die Transparenz des Leistungsgeschehens und geschärftes Kostenbewusstsein vermittelt werden.
• Durch befundorientierte Festzuschüsse in der gesamten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ist eine sozial gerechtere Mittelverteilung perspektivisch zu erzielen und Kostenklarheit zu stärken sowie die Teilhabe des Patienten am wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu ermöglichen.
• Die GKV muss von versicherungsfremden Leistungen und solchen Leistungsansprüchen befreit werden, die individuellen Wunschvorstellungen jenseits des solidarisch Finanzierbaren entsprechen.
2. Stärkung der zahnärztlichen Freiberuflichkeit und der freiberuflichen Selbstverwaltung
Die zahnärztliche Freiberuflichkeit, die auf professionelle Eigenverantwortung und Kompetenz, Therapiefreiheit in fachlichmedizinischer und ethisch-sozialer Bindung und die besondere Vertrauensbeziehung zum Patienten gründet, ist Voraussetzung für ein freiheitliches Gesundheitswesen. Sie ist durch zunehmende staatliche Reglementierung des zahnärztlichen Berufsbildes (Bedarfsplanung, Kooperationsbeschränkungen, Altersgrenzen, Praxisübergabeschranken, Beschränkung der gesetzlich Versicherten auf Vertragszahnärzte) und des wirtschaftlichen Umfeldes der Berufsausübung (Budgetierung, Vergütungsabsenkungen, Degression) gefährdet. Zahnärztliche Freiberuflichkeit ist darüber hinaus ein wichtiger Freiheit stiftender Wirtschaftsund Gesellschaftsfaktor, der auch jenseits des im Rahmen der GKV solidarisch finanzierten Leistungsvolumens wesentliche Wachstums- und Innovationsimpulse für das Gesundheitswesen als Versorgungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktsektor gibt. Die freiberufliche Selbstverwaltung der Kammern der Heilberufe hat sich trotz staatlicher Interventionen und Restriktionen als Garant professioneller Fachkompetenz, bedarfsgerechter und gleichmäßiger Versorgung und sozialer Verantwortung bewährt. Dies bestätigt auch das jüngste Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Selbstverwaltung entlastet den Staat, ist Ausdruck einer subsidiär gegliederten freiheitlichen Gesellschaft und bedarf des Gestaltungsraumes, um problem-, patienten- und sachnah die zahnmedizinische Versorgung sowie die Qualität der Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie der Berufsausübung zu gewährleisten und innovativ aus dem Berufsstand weiterzuentwickeln.
3. Stärkung der zahnmedizinischen Wissenschaft und Forschung
Der Wissenschaftsrat zur Weiterentwicklung der ZahnMedizin in Deutschland hat in seinem diesjährigen Gutachten Defizite in der zahnärztlichen Lehre und Forschung analysiert. Die Bundeszahnärztekammer fordert zur Sicherung einer qualifizierten Aus- und Weiterbildung an den Universitäten entsprechende finanzielle und strukturelle Ressourcen. Auch die von Berufsstand und Wissenschaft gemeinsam erarbeitete neue Approbationsordnung (AppO-Z) sollte zügig vom Gesetzgeber umgesetzt werden, um den Wissenschaftsstandort Deutschland auf dem Gebiet der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde nicht von internationalen Entwicklungen abzukoppeln.
4. Förderung der Qualität als zahnärztliche Aufgabe
Die Bundeszahnärztekammer sieht die Qualitätsförderung als ureigenste Aufgabe des zahnärztlichen Berufsstandes an. Zur Umsetzung sind nachhaltige politische Unterstützung durch geeignete freiheitliche Rahmenbedingungen notwendig. Die Bundeszahnärztekammer tritt deshalb allen politischen Bestrebungen entgegen, die Kostendämpfungspolitik und Rationierung von Leistungen unter dem Deckmantel der Qualitätssicherung betreiben. Wesentliche Grundvoraussetzung für Qualitätsförderung in der zahnmedizinischen Versorgung sind angemessene personelle und organisatorische Strukturen sowie finanzielle Ressourcen.
5. Ablehnung einer so genannten „Bürgerversicherung“
Die Bundeszahnärztekammer lehnt die Einführung einer so genannten „Bürgerversicherung“ ab. Die Bürgerversicherung als zusätzliche erwerbs- und einkommensabhängige Steuer löst weder die strukturellen noch die finanziellen Probleme der GKV. Stattdessen fordert die Bundeszahnärztekammer einen Umbau der GKV in ein System, das sich vorrangig am medizinischen Grundbedarf des Versicherten orientiert, die Eigenverantwortung des Patienten in den Vordergrund stellt und von versicherungsfremden Risiken und Zielsetzungen befreit wird.
Die schrittweise Einführung kapitalgedeckter Finanzierungsstrukturen könnte das Versicherungssystem perspektivisch demographiefester machen.
6. Befundorientierte Festzuschüsse und Kostenerstattung für den gesamten Bereich der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Ein Festzuschuss-System sollte zukünftig und schrittweise auf alle Gebiete der Zahnheilkunde ausgeweitet werden. Allen Patienten wird so der Zugang zu einer über eine funktional notwendige zahnmedizinische Versorgung hinausgehende, auf aktuellem wissenschaftlichen Niveau etablierte Zahnmedizin ermöglicht, ohne dass die Patienten den Anspruch auf eine solidarische Grundabsicherung verlieren. Durch Festzuschüsse als Steuerungsinstrument wird eine gerechte Verteilung der Mittel erreicht, so dass Diskussionen um Leistungsausgrenzungen aus dem GKV-System nicht notwendig sind.
Weiterer Kernpunkt einer Reform des Gesundheitssystems muss die Umstellung des derzeit in der GKV praktizierten Sachleistungsprinzips auf ein Kostenerstattungsprinzip darstellen. Das Gesundheitssystem kann nur durch mehr Transparenz, die mit einer Umstellung auf das Kostenerstattungsprinzip einhergeht, effizienter gestaltet werden.
Das Kostenerstattungsprinzip macht das deutsche Versicherungssystem europatauglich, indem es grenzüberschreitend die Leistungsnachfrage und -erbringung erleichtert. Die Einführung des Kostenerstattungsprinzips muss mit einer Beseitigung der Beschränkung auf die Vertragszahnärzte einhergehen. Diese Inländerdiskriminierung, die dadurch entsteht, dass GKV-Versicherte im Inland nur Vertragsbehandler aufsuchen dürfen – bei sonst freier Arztwahl im EU-Ausland – wird damit beseitigt. Im Rahmen der zahnmedizinischen Leistungen wäre eine Kostenerstattung in Höhe der Festzuschüsse zu gewähren.
7. Keine Fortsetzung der Budgetierung im Gesundheitssystem
Eine Umstellung des zahnmedizinischen Versorgungssystems auf befundabhängige Festzuschüsse mit Kostenerstattung macht jedwede Budgetierungsregelungen überflüssig.
Ärzte und Zahnärzte sind die einzigen Berufsstände, die bei Erbringung ihrer Leistung die Höhe ihrer Vergütung im ambulanten Bereich wegen der Budgetierung nicht kennen. Die Zahnärzteschaft sieht in diesem Instrument eine erhebliche qualitätsmindernde Maßnahme in der medizinischen Versorgung, da eine Rationierung medizinischer Leistungen vorgeplant ist, denn unbegrenzte medizinische Leistungen mit begrenzten finanziellen Mitteln sind betriebswirtschaftlich nicht erbringbar. Darüber hinaus hat das Gesundheitssystem eine große wirtschaftliche Bedeutung für Arbeits- und Ausbildungsplätze und als Wachstumsmarkt. Finanzielle Limitierungen führen neben medizinischen Rationierungen auch zur Vernichtung von Arbeitsund Ausbildungsplätzen, vor allem für Frauen
8. Freie Arztwahl und Patientenautonomie müssen erhalten bleiben
Die freie Arztwahl und die Selbstbestimmung des Patienten bezüglich der Leistungen, die er in einem Versorgungssystem in Anspruch nehmen will, gehören zu den Grundbedingungen eines freiheitlichen Gesundheitswesens. Die freie Arztwahl ist unerlässliche Voraussetzung für die personale Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient. Diese Grundsätze sind aktuell bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte zu beachten.
Die Freiheit der Arztwahl als elementares Recht des Patienten ist zudem durch die aktuelle Diskussion um Einkaufsmodelle der Krankenkassen, die zur Fremdbestimmung von Ärzten und Patienten führen würden, akut gefährdet.
9. Freiberuflicher Wettbewerb versus Einkaufsmonopole – Individuelle Patientenentscheidung statt kollektiver Bevormundung
Die Bundeszahnärztekammer bejaht den patientenorientierten freiberuflichen Wettbewerb, in welchem die Zahnärzte untereinander stehen sowie den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen um dem mündigen Patienten, der sich frei für den ihm nach Leistung und Preis gemäßen Arzt seines Vertrauens entscheiden und sich eigenverantwortlich seine Behandlung wählen kann.
10. Altersbegrenzungen für Vertragszahnärzte abschaffen
Der altersbedingte Ausschluss von der vertragszahnärztlichen Tätigkeit jenseits des 68. Lebensjahres nach § 95 SGB V stellt eine erhebliche Beschränkung der freien Berufsausübung dar und ist ein Verstoß gegen den Schutz des privaten Eigentums. Auch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung ist eine Aufhebung dieser Altersbegrenzung zu fordern.
11. Abbau überflüssiger staatlicher Kontrollen der Berufsausübung
Die Überbürokratisierung berührt alle Bereiche der zahnärztlichen Tätigkeit und behindert diese in hohem Maße. Deshalb fordert die Bundeszahnärztekammer, die direkte staatliche Kontrolle der zahnärztlichen Berufsausübung abzubauen. Die freiberufliche Tätigkeit beinhaltet eine Verantwortung, die es ermöglicht, dass Vorgaben von der Selbstverwaltung und den Praxen eigenverantwortlich übernommen werden können.
12. Für eine leistungsgerechte Honorierung und eine zukunftsorientierte Leistungsbeschreibung
Die Bundeszahnärztekammer fordert auf Grundlage der Neubeschreibung der präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde die ständige Aktualisierung des zahnärztlichen Leistungskataloges unter Berücksichtigung des wissenschaftlichen Fortschritts als Grundlage eines Honorierungssystems. Die Honorare in den neuen Bundesländern müssen dringend an die Honorare der westlichen Bundesländer angepasst werden, da die Kostensituation der Zahnarztpraxen in den neuen Bundesländern schon längst dem Westniveau entspricht.