Hinter den Kulissen
Thomas Grünert
Chefredakteur Vincentz Network Berlin
Nimmt man die Euphorie, mit der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt derzeit den Erfolg „ihrer“ Gesundheitsreform preist, als Indikator, so kann man das GMG gut ein Jahr nach In-Kraft-Treten als vollen Erfolg sehen. Fast vier Milliarden Überschuss bei den GKV-Kassen, neue medizinische Versorgungsformen auf dem Vormarsch und mehr Transparenz und Wettbewerb im Gesundheitswesen, bescheinigen die Jubel-Tiroler der sonst nicht gerade Lob gewohnten Ministerin. Reform-Flaggschiff Ulla kann sich wieder sehen lassen. So viel zur Kulisse. Doch hinter dem Vorhang des Berliner Polittheaters sieht die reale Welt anders aus...
Die öffentliche Entrüstung, die die Meldung von den bis rund 20 Prozent erhöhten Gehältern der Kassenschefs ausgelöst hat, mag da noch als kalkulierbare Reaktion auf eine der üblichen „Skurrilitäten“ der Gesundheitsbranche verbucht werden. Klar, dass das Füllen der eigenen Taschen bei der momentanen Wirtschaftslage kritisch gesehen wird. Es setzt falsche Signale. Andererseits sind Kassenchefs Spitzen-Manager – ihre veröffentlichten (eine Neuregelung des GMG) Gehälter sind im Vergleich keineswegs überhöht. Wenn es dagegen um die Honorierung der Leistungserbringer und das Portmonee der Bürger geht, scheint Fairness ein Fremdwort geworden zu sein.
Die Patienten sind die Zahlmeister einer Gesundheitsreform, die besser den Namen Gesundheitssystem-Finanzreform trüge. Gegen alle Lippenbekenntnisse haben sie kaum Vorteile, beispielsweise durch eine verbesserte Versorgung, mehr Transparenz oder eine größere Teilhabe an medizinischen Innovationen oder einen echten Wettbewerb im Gesundheitswesen. Im Gegenteil: Rein ökonomische Bremsen für Medikamente, Heilmittel oder medizinische Technik grenzen Innovationen zunehmend aus. Statt den Patienten die Möglichkeit von mehr Transparenz durch Kostenerstattung näher zu bringen, umgehen die Kassen dieses Thema wie der Teufel das Weihwasser.
Und Wettbewerb? Wie soll beispielsweise ein Arzt als Leistungserbringer als Wettbewerber im System auftreten, wenn Leistungen gedeckelt und budgetiert werden, Behandlungspfade zunehmend durch DMPs und DRGs betoniert werden und ärztliche Zusatzleistungen zunehmend als Geschäftemacherei angefeindet werden?
Dabei könnte gerade die Ärzteschaft mit einem Ruf glänzen, den ihr Deutschlands Wettbewerbszentrale (WBZ) bescheinigt. Von 1 700 Anfragen und Beschwerden zu Gesundheitsfragen betrafen lediglich 143 Ärzte (2003: 166), nur 15 davon Zahnärzte! In einem Punkt ist freilich ein wenig mehr Transparenz in das System eingezogen. Seit dem 1. Januar erhalten die Kassen von den KVen und KZVen nämlich Patientenbezogene Abrechnungsdaten, beziehungsweise sollen diese laut § 295 SGB V erhalten. Das gilt auch für den Zahnersatz, sofern er der Regelleistung oder gleichartiger Versorgung entspricht. Aber schon hagelt es Kritik, Zahnärzte hätten die neuen Festbetragszuschüsse zum Zahnersatz als willkommene neue Einnahmequelle missbraucht und nutzten die Unwissenheit der Patienten aus, indem sie ihnen teure und oft überflüssige Leistungen verkauften. Offenbar soll hier genau wie beim Thema Kostenerstattung der mündige Patient verunsichert werden, um auch noch die wenigen Möglichkeiten des Systems zu meiden, ärztliche Leistungen selbst zu wählen.
Bedauerlich, dass die Politik die Chance vergeben hat, mit der Ausgliederung des Zahnersatzes aus der GKV-Leistung neue Wege zu gehen, die Modellcharakter für eine wirkliche Gesundheitsreform haben könnten. Dass Bürger bereit sind, mehr Eigenleistung und Selbstbehalte zu erbringen, wenn Sie dafür auch eine bessere Versorgung und die Übersicht über Behandlungsleistungen erhalten, lässt keineswegs nur die Geduld der Patienten beim Thema Praxisgebühr und Selbstbehalt erkennen. Es wird überdies durch aktuelle Umfragen bestätigt.
Fazit:An den Folgen des GMG lässt sich gut ablesen, wie sehr Politik und Bürgerinteresse inzwischen auseinanderdriften.
Möglicherweise kann dennoch die aktuelle Studie „Vision Deutschland“ vom Institut der Deutschen Wirtschaft und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft einen Impuls vermitteln. Darin wird nämlich klar analysiert, dass in knapp 20 Jahren bei gleichem Leistungskatalog 95 Milliarden Euro (66 Prozent) mehr in das GKV-System gepumpt werden müssen – bedingt durch Demographie und medizinisch-technischen Fortschritt.
Soll Deutschland wirtschaftlich im internationalen Vergleich nicht weiter erheblich absacken, sind ohnehin Konzepte mit mehr Eigenverantwortung und Eigenleistung der Bürger gefragt – auch und vor allem im Gesundheitswesen.
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