Gastkommentar

Enormer Flurschaden

Heftarchiv Meinung
Die weitverbreitete Meinung, Politik sei ein eher unappetitliches Geschäft, wurde durch die Art und Weise des Zustandekommens eines Referentenentwurfs zur Gesundheitsreform wesentlich bestärkt. Dabei nährt sich die nahezu einhellig negative Bewertung nicht nur aus der Kritik am Inhalt des Machwerks, sondern bezieht sich auch auf das Verfahren. Der angerichtete Flurschaden ist enorm.

Klaus Heinemann
Freier Journalist

Das auf Grund der breiten parlamentarischen Mehrheit mit so großer Hoffnung wie auch Erwartung befrachtete Reformvorhaben ist in der öffentlichen Meinung längst durchgefallen. Die Bürger spüren, dass es den Politikern in dieser Konstellation nicht möglich ist, über ihren Schatten zu springen und einen wirklichen Systemwechsel herbeizuführen. Dieser hätte in einem mutigen Schritt hin zur Abkopplung der Beitragszahlung vom Faktor Arbeit bei gleichzeitiger Stärkung der Eigenverantwortung des Einzelnen bestehen müssen. Das hätte zugleich einer Reform der Lohn- und Einkommensteuer bedurft mit dem Ziel, dem Bürger mehr Geld in der Tasche zu lassen für autonome und eigenverantwortliche Entscheidungen.

Und nun dies: Noch höhere Steuern, noch höhere Abgaben und zugleich weitere „mutige“ Schritte hin zur Entmachtung der subsidiären Einrichtungen und Körperschaften, sprich: der Weg in die Staatsmedizin ist deutlich vorgezeichnet. Zugleich ist die Politik zu feige, diesen Schritt konsequent bis zum Ende zu gehen; sie beabsichtigt zwar, die Beitragssatzgestaltung der noch verbliebenen 210 Krankenkassen zentral gelenkt festzulegen, schafft staatsnahe Spitzenorganisationen der Kassen und der Selbstverwaltung, blutet Niedergelassene in freier Praxis schleichend aus, demotiviert unternehmende Bürger, zwingt die Private Krankenversicherung Schritt für Schritt näher an die GKV heran, scheut sich jedoch, offen von einer staatlichen Einheitsversicherung zu sprechen. So, als ob von einem Wettbewerb ernsthaft noch die Rede sein könnte.

Zugleich erging an Verbände des Gesundheitswesens die als Zumutung empfundene Aufforderung, innerhalb von vier Tagen den 542 Seiten starken Referentenentwurf einer kritischen Prüfung zu unterziehen und Stellung zu nehmen. Da fragt man sich dann doch, ob inzwischen überhaupt keine Rücksicht mehr genommen wird auf die Organisation einer pluralistisch strukturierten Gemeinschaft, ob demokratisch legitimierte Selbstverwaltungen auf diesem Marsch in den sozialistischen Zentralstaat nur noch als lästiges Relikt empfunden werden?

Die Art und Weise, wie dieses Machwerk am Parlament vorbei zusammengeschustert wurde, wie zugleich alle jene, die aus Sorge um den Erhalt einer funktionsfähigen Gesundheitsversorgung warnend, mahnend oder konstruktiv kritisierend ihre Stimme erhoben, „abgebürstet“ wurden als lästige Kritikaster – alles das stimmt höchst bedenklich. Und das sowohl hinsichtlich der Frage nach der Reformfähigkeit der (noch) großen Parteien wie auch ihrer Reformwilligkeit. Wer die Agenda dieses politischen Vorhabens verfolgte, gelangte bereits in einem recht frühen Stadium zu der Überzeugung, dass es nur noch um die bloße Sicherung einer möglichst vorteilhaften Ausgangsposition für die nächste Bundestagswahl geht.

Das lässt nichts Gutes erwarten für die noch verbliebenen Reformbaustellen auf den Feldern der Unternehmenssteuerreform, der Pflegeversicherung sowie des Arbeitsmarktes. Aber nicht nur das. Es verwischen sich auch zunehmend die Konturen der beiden Parteien, die rundgeschliffen und populistisch um die Mehrheit buhlen. Das führt zur Orientierungslosigkeit der Bürger, steigert die Politikverdrossenheit und stärkt letztlich auch die radikalen Ränder im Parteienspektrum.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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