Erfolge und Elend der Mykologie
Große Erfolge hat die Mykologie in der (ausländischen) Pharmaforschung erzielt. Aus der Gruppe der Azole, aus der schon seit Jahren die Therapie lebensbedrohlicher invasiver Mykosen bestritten wird, sind zwei neue, verbesserte Substanzen hervorgegangen. Auch gelang es, mit Caspofungin ein hoch wirksames Antimykotikum aus einer völlig neuen Stoffgruppe zu entwickeln, das nun gegen die gefürchteten systemischen Infektionen mit Candida spp. und Aspergillus spp. zur Verfügung steht. Kleinere Fortschritte verheißen auch Weiterentwicklungen des Bekannten. Dazu gehört eine neue Formulierung von Terbinafin gegen den weitverbreiteten Fußpilz. Das Mittel muss nur einmal auf die befallenen Stellen aufgetragen werden. Interessant könnten auch antimykotisch aktive Textilien sein, in die Silberionen – offenbar recht auswaschfest – integriert wurden. Sie könnten Sportlern eine weniger verpilzte Zukunft verheißen.
Die Mykologie leidet allerdings auch unter aktuellen Problemen. Diese behindern immer stärker den gezielten Kampf gegen invasive Mykosen. Die meisten Probleme scheinen hausgemacht zu sein, so dass in ihrem Fall eine Hoffnung auf Hilfe von außen unberechtigt ist. Da erstmals die offiziellen Vertreter des Faches offen über die sie bedrängenden Schwierigkeiten gesprochen haben, sollen diese hier auch im Vordergrund stehen.
Wirksame Medikamente, aber mühsame Heilung
Vier große Gruppen von Patienten sind inzwischen akut von invasiven Pilzerkrankungen bedroht: Tumorpatienten, Empfänger von transplantierten Organen, Patienten auf der Intensivstation und immunkompromittierte Patienten, zum Beispiel durch Infektion mit HIV oder unter Antibiotika-Therapie. Allen gemeinsam ist das Problem, dass die normalerweise sehr wirksame natürliche Abwehr gegen das Eindringen von Pilzen in den Bereich der Blutbahn und der Gewebe durch eine Schwächung des Immunsystems zumindest teilweise ausgeschaltet ist. Das Problem besteht nun darin, dass der Fokus der ärztlichen Bemühungen stets auf die Heilung der Grundkrankheit gerichtet ist. Daher wird nicht selten die oftmals schleichend beginnende Mykose so lange ignoriert, bis eine Therapie keinen Sinn mehr gibt.
Prof. Herbert Hof von der Universitätsklinik Heidelberg in Mannheim führte einige Kriterien auf, die zu einer ungezielten antimykotischen Therapie Anlass geben sollten: chronisches Fieber, Nicht-Ansprechen auf eine antibakterielle Chemotherapie, klinische Zeichen wie Abgeschlagenheit oder sichtbare Verpilzung des Ösophagus und Röntgenbefunde. Werden solche unspezifischen Befunde richtig als Folgen einer Mykose gedeutet, ist das Krankheitsbild in der Regel schon so weit fortgeschritten, dass eine wirksame Behandlung keinen Verzug mehr duldet. Das gilt insbesondere für das Einholen eines Erregerbefundes mit dem Ziel, ein spezifisch wirksames Antimykotikum einsetzen zu können. Die Erhebung dieser Befunde ist zeitaufwändig und die Befunde sind leider auch nicht selten unzuverlässig.
Daher ist der Kliniker darauf angewiesen, breit wirksame und möglichst verträgliche Antimykotika an der Hand zu haben, mit denen er Chancen auf einen Anfangserfolg hat, bis ein halbwegs verlässlicher Pilzbefund vorliegt. Hierzu gab Privatdozent Oliver Cornely von der Universität Köln ein Stufenschema an, das sich für die Therapie von invasiven Pilzinfektionen eignet:
• Erste Stufe (vor einem spezifischen Befund): Posaconazol oder Fluconazol,
• Zweite Stufe (bei Vorliegen eines Befundes): Voriconazol oder Caspofungin,
• Dritte Stufe (bei Versagen der Therapie der zweiten Stufe): Caspofungin, Posaconazol oder Voriconazol.
Wichtig ist es, auch nach der Entfieberung der Patienten die Therapie über einen möglichst monatelangen Sicherheitszeitraum weiterzuführen. Vor der Entwicklung der neuen Antimykotika stand für diese Therapie praktisch nur Amphotericin B zur Verfügung, das allerdings so wenig verträglich war, dass die Patienten oftmals schon nach wenigen Wochen irreparable Organschäden erlitten. Daher ist Amphotericin – auch in neueren liposomalen Formulierungen – in der Behandlung lebensbedrohlicher Mykosen heute nicht mehr zu empfehlen.
Desinteresse schwächt das Fach
Wie kommt es, dass in der Klinik eine verlässliche antimykotische Diagnostik so schwer zu haben ist und dass oftmals bei schwer kranken Patienten auch nicht die Verdachtsdiagnose „invasive Mykose“ gestellt wird? Prof. Johannes Müller, langjähriger Ordinarius für Mykologie an der Universität Freiburg i. Br. hat hierzu vor der Fachpresse einige Fakten erläutert. Nach seinen Worten fehlen in Deutschland (im Gegensatz zu Österreich und der Schweiz) 75 Prozent (!) der erforderlichen Labor- und Klinikkapazitäten. Für eine funktionierende mykologische Betreuung wären nach einer Analyse der Internationalen Gesellschaft für Humane und Animale Mykologie (ISHAM) – bezogen auf die in Deutschland zu versorgende Bevölkerung – 80 mykologische Laboratorien der Grundversorgung, 160 ausgebildete Mykologen, 400 mykologisch erfahrene MTAs, 16 mykologische Überwachungslaboratorien und acht mykologische Referenzlabors nötig. Deutschland steht nach dieser erst jüngst durchgeführten Analyse mit nur 25 Prozent der erforderlichen Kapazität in der Rangfolge hinter einigen Entwicklungsländern.
Nach Prof. Müller haben zwei Entwicklungen zu dieser Unterversorgung geführt: In der Vergangenheit waren vor allem die oberflächlichen Dermatomykosen im Blickpunkt. Folgerichtig stellten Hautärzte die Mykologen. Nachdem in der Klinik mehr und mehr opportunistische, invasive Mykosen auftreten, ging die praktisch-mykologische Arbeit in die Hände der Mikrobiologen über, die jedoch traditionell bakteriologisch und bestenfalls virologisch interessiert sind. So ist es zu verstehen, dass es in der medizinischen Ausbildung kaum Vorlesungen in Mykologie gibt, dass sich ambitionierte Kliniker in diesem Fach auch weder in der Dermatologie noch in der Mikrobiologie wirklich etablieren können und das Fach im Wesentlichen aus persönlichem Interesse mit führen.
Die verwendeten Tests auf invasive Mykosen sind – auch das verwundert nach Prof. Müller nicht – oft hausgemacht und in ihrer Präzision vom Anwender abhängig. Kommerziell bestehe kaum ein Motiv für die Erforschung und Entwicklung von neuen Tests, da diese nur noch rudimentär von den Kassen bezahlt würden.
Unerwünschte Abhängigkeit
Es erstaunt daher nicht, dass auch die diesjährige wissenschaftliche Tagung der Mykologen deutscher Zunge nur eine einzige Hoffnung nährte, dass sich etwas zu Gunsten der Patienten ändern könnte: Es sind die Profit-Interessen der ausländischen forschenden Pharmaindustrie, die neue, wirksamere Antimykotika entwickelt hat und für den Absatz in Deutschland die Rahmenbedingungen schaffen muss: Fortbildung der Kliniker, Laborärzte, Mikrobiologen und nicht zuletzt, die Bereitstellung zuverlässiger und schneller Labortests.
So lange eine Staatsaufgabe wie die gesundheitliche Versorgung nicht über Steuermittel, sondern über die Preise innovativer Medikamente finanziert wird, sollte man sich nicht über die Arzneimittelkosten wundern, auf die nach Prof. Müller die Kosten umgelegt werden. Die Mykologie in Deutschland ist abhängig von der Industrie. Das ist unerwünscht. Es ist aber kaum eine Initiative erkennbar, das zu ändern.
Anmerkung: Der Autor steht für Fragen zur Verfügung, auch zu den nur angedeuteten Innovationen in der Mykologie:keil@urban-vogel.de
Till Uwe Keil