Leitartikel

Abschied von Schlaraffia?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit so viel Widerstand hatten wohl Ulla Schmidt und besonders Angela Merkel kaum gerechnet: Nahezu alle gesellschaftlichen Gruppen lehnen die Eckpunkte zur Gesundheitsreform 2006 ab. Aber Vorsicht: Was alle schlecht finden, muss gar nicht automatisch nur schlecht sein.

Nüchtern betrachtet ist diese Art deutscher Einheit natürlich keine. Zu simpel wäre der Gedanke, dass Heilberufe, GKVen und Gewerkschaften aus so extrem unterschiedlichen Motiven heraus so plötzlich ein Herz und eine Seele seien. Ein solches Zweckbündnis brächte natürlich keine Unabhängigkeit ins Gesundheitswesen. Die Proteste bieten, auch wenn die Eckpunkte am USUnabhängkeitstag verkündet wurden, keinen Ansatz für eine Neuauflage der Boston Tea Party. Zu unterschiedlich sind die Interessen, als dass aus systemischen Gegnern plötzlich politische Partner werden.

Die Kritik der Heilberufe – auch an dieser Reform – ist gewohnt sachlich und erfolgt sachbezogen. KZBV und BZÄK haben in einer gemeinsamen Stellungnahme die Gefahren des Berliner Kompromiss-Modells aufgezeigt und werden auch weiterhin die Tücken der schwarz-roten Gesundheitspolitik aufzeigen.

Keine Rede davon bei den Gesetzlichen Krankenkassen. Deren Ankündigung einer Kampagne, gepuscht von IG-Metall-Chef Peters und gestützt von Arbeitnehmervertreter Ver.di, der mit dem Segen des Arbeitgebers Krankenkassen Tausende auf die Straßen Berlins und einiger Landeshauptstädte schickte, deutet eine Angst an, die man von den Kassen sonst so nicht kennt.

Wir Zahnärzte können von den Folgen der Kassenpropaganda ganze Arien singen. Sie hatten unter Gesundheitsminister Seehofer unsere ersten Versuche, ein Festzuschusssystem zu etablieren, gründlich zertrümmert. Um diese Kampagnen-Macht der Kassen weiß auch das Bundesgesundheitsministerium – und tut alles, diese Versuche im Keim zu ersticken. (Welche Furcht das BMG getrieben hat, die GKV an die kurze Leine nehmen zu wollen – oder zu sollen? – ist ein Thema für sich.)

Aber warum das Gezetere um den Gesundheitsfonds? Das Hauptargument, er werde die Kassen 30 000 Arbeitsplätze kosten, wird durch ständiges Wiederholen nicht richtiger. Mehr Bürokratie – der zweite Ansatz der Kassenkritik – als Ursache für den Arbeitsplatzabbau? Dem kann nüchterner Sachverstand kaum folgen. Die Argumentation zerfällt also beim ersten Hinschauen.

Bleibt die bequeme Warnung vor dem GKVLeistungsabbau. Dieses Argument ist schon bedeutender. Es ist aber auch das Eingeständnis, dass künftig doch wohl „alles für alle“ nicht mehr möglich sein wird. Jedenfalls ist es bemerkenswert, dass derzeit DAKChef Rebscher den Teufel an die Wand malt, während der dieser Tage in Rente gehende BEK-Chef Fiedler zur Mäßigung mahnt.

Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg hat dann auch noch einmal deutlich gemacht, warum Merkel und Schmidt sich in ihrem Kompromisspapier für eine solche Lösung stark machen: Der Fonds soll Transparenz und Wettbewerb schaffen. Man bemüht sich, die Achillesferse der Kassenkampagne freizulegen. O-Ton Steg: „Einige Kassenfunktionäre scheinen Wettbewerb und Transparenz zu scheuen wie der Teufel das Weihwasser.“ Daher weht der Wind. Wer so heftig reagiert, scheint einiges zu verlieren zu haben. Steckt dahinter vielleicht die Angst vor einem schmerzhaften Abschied aus Schlaraffia? Weg mit der wohligen Wärme aus der Strahlkraft des Wohlfahrtsstaates? Weg mit der eigenen Unberührbarkeit? Es gibt auch gute, weil doch schwerwiegendere Gründe, dem Fonds den Garaus zu machen. Die Kassen haben sich diese Gründe nicht auf die Protestbanner geschrieben. Sonst würde wohl die Allianz der selbsternannten Heilsbringer brüchig. Jeder denke sich seinen Teil.

Ob die Bundesregierung sich gegen Kassen und Gewerkschaften, deren Einflüsse bis tief ins SPD-Lager ja bekannt sind, tatsächlich durchsetzen wird, wird die Zahnärzteschaft interessiert verfolgen – ist es doch an der Zeit, dass nicht nur wie seit Jahren die Heilberufe allein gedeckelt werden, ist es doch an der Zeit, neben Heilberuflern und Patienten endlich auch einmal den Apparat des Systems in die Pflicht zu nehmen.

Abschied von Schlaraffia – schlafen kann man nicht nur auf Matratzen.

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV

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